Das Weiße Haus wirft Damaskus vor, einen Giftgasangriff zu planen und kündigt harsche Konsequenzen an. Moskau protestiert.
Kairo/Damaskus. So scharf und direkt hat Donald Trumps Regierung dem syrischen Diktator Bashar al-Assad noch nie gedroht. Man habe mögliche Hinweise, dass das Regime erneut einen Giftgasangriff und damit einen Massenmord an Zivilisten vorbereite, erklärte Sean Spicer, Sprecher des US-Präsidenten, in Washington. Sollte das Regime dieses Vorhaben ausführen, würden Assad und seine Militärs dafür „einen hohen Preis“ bezahlen – Sätze, die sofort neuen Streit zwischen Washington und Moskau entfachten. Empört wies der Kreml am Dienstag „die Drohungen gegen die legitime syrische Führung“ zurück.
Nach Angaben des Weißen Hauses sind die derzeitigen Aktivitäten ähnlich wie vor dem Angriff am 4. April auf die Ortschaft Khan Sheikhun in der Provinz Idlib, bei dem mindestens 87 Menschen starben, darunter viele Kinder. Als Reaktion ordnete Trump damals Vergeltungsschläge an und löste damit die erste direkte militärische Konfrontation der USA mit dem Assad-Regime aus. Kriegsschiffe im Mittelmeer feuerten 59 Marschflugkörper auf die syrische Luftwaffenbasis Shayrat ab, von wo laut den USA der Jet mit der Giftgasrakete an Bord startete.
Luftschlag gegen Gefängnis
Vergangene Woche kam es zu einem weiteren Zusammenstoß: Ein US-Kampfflugzeug schoss eine syrische Maschine ab, die mit den USA verbündete Einheiten der Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF) attackiert hatte. Inzwischen beeilte sich Pentagon-Chef Jim Mattis zu versichern, die USA hätten nicht vor, sich tiefer in den syrischen Bürgerkrieg hineinziehen zu lassen. Der Fokus liege auf der Bekämpfung des Islamischen Staates (IS), erklärte Mattis gegenüber Journalisten auf einem Flug nach Europa. Ziel sei es, den syrischen Bürgerkrieg mit diplomatischen Mitteln beizulegen.
Die von den USA bewaffneten und trainierten Kämpfer der SDF, in denen vor allem Kurden aktiv sind, belagern seit drei Wochen die syrische IS-Hochburg Raqqa. Teilweise drangen sie bereits auf das Stadtgebiet vor.
Seit Beginn der Raqqa-Offensive am 6. Juni flogen die USA und ihre Verbündeten mindestens 384 Luftangriffe, bei denen mehr als 700 Zivilisten starben, das sind 35 am Tag. Ein Angriff in der Nacht auf Dienstag galt dem IS-Gefängnis in Mayadin. Dabei wurden nach Angaben der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte 42 Gefangene und 15 IS-Kämpfer getötet.
Streit um C-Waffeneinsatz
Der französische Geheimdienst hat zu dem Giftgasangriff im April auf die Ortschaft Khan Sheikhun ein umfangreiches Dossier erarbeitet. Die zusammengetragenen Fakten lassen aus Sicht von Paris keine Zweifel zu, dass das Assad-Regime das Nervengas Sarin gegen die Bewohner einsetzte. Damaskus bestreitet das und spricht von einer „hundertprozentigen Erfindung“. Die Version der syrischen und auch russischen Regierung lautet, dass bei einem Bombentreffer von den Rebellen gelagerte C-Waffen und Chemikalien freigesetzt worden seien. Auch der US-Journalist Seymour Hersh bezweifelt nun in einem Artikel, dass es einen Giftgasangriff der Syrer gegeben habe. Trump habe den Vergeltungsluftschlag befohlen, obwohl ihm die Militärs davon abgeraten hätten, so Hersh.
Damaskus beharrt darauf, 2013 alle C-Waffen an die internationale Kontrollbehörde, die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), abgegeben zu haben. Deren Chef, Ahmet Üzümcü, jedoch sprach in seinem 75-seitigen Abschlussbericht im Juli 2016 von einem „beunruhigenden Muster unvollständiger und unzutreffender Angaben Syriens zu seinem Chemiewaffenprogramm“. Syriens Erklärungen hätten „signifikante Lücken“ und spiegelten „nicht den vollen Umfang und die Natur meldepflichtiger Aktivitäten“ wieder, hieß es in dem Text. Ähnlich äußerte sich kürzlich auch US-Verteidigungsminister Mattis: Er habe keinen Zweifel, dass Syrien chemische Waffen zurückgehalten habe.
AUF EINEN BLICK
Die US-Regierung hat eine massive Warnung an das syrische Regime gerichtet. Laut dem Sprecher des Weißen Hauses bereitet Damaskus einen erneuten Giftgasangriff auf Zivilisten vor. Sollte das Regime diese Attacke durchführen, werde es einen „hohen Preis“ dafür zahlen. Das syrische Regime wies bisher alle Vorwürfe zurück, dass es – etwa im Ort Khan Sheikhun im April – C-Waffen eingesetzt habe.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2017)