Marbella: Den Schinken bei Francis, den Käse bei Francisco

Die Altstadt von Marbella
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Ihre echte, temperamentvolle Seite kehrt Marbellas Altstadt im Herbst und im Frühling hervor.

Das Abendrot kam als William Turner und geht in der wilden Geste der Fauves. Zirren lodern am Himmel in Orange, Gold und Rot, Andalusien hat leidenschaftliche Noten. Sommer ist es – und in Marbella jeder vor der Tür. Zum Sundowner auf den Terrassen von Golfclubs und Jachthäfen, an Stränden bei Fisch und Meeresfrüchten, vor Restaurants und Tapasbars am Paseo Marítimo oder auf Straßen und Plätzen. Haushoch klettern Bougainvilleas die stattlichen Fassaden der Calle Ancha im Barrio Alto, der oberen Altstadt, hinauf. Im Licht der Laternen leuchtet das Magenta ihrer Blüten. Da fällt es kaum auf, dass ein Palais nebenan verlassen ist und Putz bröckelt. Vor Jahren sah man das öfter im weißen Häusergewürfel. „Lange war die Stimmung im Casco Antiguo, der Altstadt, nicht gut“, sagt Franz Josef Willmes. Der Deutsche stellte oberhalb, nahe der Plaza Santo Cristo, mit seiner spanischen Frau das elegante Boutiquehotel Claude auf die Beine – in einem Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert, das zuvor lange leer stand.

Längst hätten auf dem Land Engländer, Belgier und Deutsche begonnen, alte Häuser herzurichten, erzählen Rafaela und Francisco tags darauf bei Manchegokäse und Bier vor der Weinbar La Santa in der Straße Peral. „Bald engagierten sich auch Spanier für ihr historisches Erbe im Casco mit neuen Ideen und neuem Design,“ erzählt der waschechte Marbellero. Selbst in seiner Straße ist das nicht zu übersehen.

Alte Substanz, neue Ideen

Unten, um die Plaza de los Naranjos, liegt ein Geflecht aus schmucken kleinen Einkaufsstraßen, weiter oben wird gewohnt. Besucher könnten sich fragen, wie viele da in Zukunft noch leben werden. Wie in anderen Altstädten ziehen auch hier Junge fort, denn eng ist es, schlecht zugänglich, unkomfortabel. „Alte Mauern müssen genutzt werden, damit sie nicht verfallen. Dafür braucht man Geld, Mut und viel Geduld,“ Francisco kann ein Lied davon singen, sein altes Elternhaus wandelt er in ein kleines Hotel um, 13 Jahre hat er auf die Baulizenz gewartet. Auch das Restaurant Skina war ein Wagnis mit seinen wenigen Tischen. Versteckt liegt es in der Calle Aduar.

In dem winzigen Haus wirkt die Küche größer als der Speiseraum. Sie ist der Ort der Kreativität, Andalusien die Inspiration, die Markthalle um die Ecke ihre Quelle. Und der Guide Michelin verleiht Jahr für Jahr einen Stern. Frischer Wind weht heute durch die Gassen. Da sind Läden für spanische Weine und Olivenöle, originelle Boutiquen, die alte Bäckerei und den Gemüseladen gibt es noch. In alten Bodegas wie im El Estrecho herrscht abends reges Treiben, wenn Gäste auf Drinks und ein paar Tapas vorbeischauen, alles hausgemacht, und weiter von Bar zu Bar ziehen. Neben alteingesessenen Restaurants sind andere à la mode gestylt, dazu gibt es das Museo del Grabado (Museum zeitgenössischer Gravierkunst) in einem lichten Stadtpalast aus der Renaissance.

Tapas, Tapas, Tapas

Die Altstadt war immer anders als das Marbella der Jachthäfen, Designerläden, schnöseligen Clubs und neureichen Mätzchen wie Beachparties, bei denen an einem Nachmittag 6000 Champagner-Flaschen geleert werden. Verträumt ist die Altstadt, verspielt, sie hat Temperament. Zur Feria im Juni feiert man hier und im nahen Alamedapark, dann fliegt einem das Tremolo der Kastagnetten um die Ohren, werden Röcke geschürzt, gesungen, getanzt. Vielleicht trifft man sich deshalb gern im La Polaca. Francis Guzmán betreibt seine heimelige Bar in einem Altstadthaus mit Holztischen und Fundstücken von Flohmärkten und sonst woher. Die Bar ist eine Zeitreise ins Spanien der Siebzigerjahre. Im Radio stellt Francis auf Onda Cero Musik vor, plaudert auch von seiner Polaca, benannt nach einer Flamencokönigin, und so probieren schon einmal Hörer aus Madrid oder Santander seine Gänseleberkroketten an der Bar. Dazu eine „copa de tinto“, ein Glas Rotwein, alles schön entspannt, die Klangwolke ist hochprozentig Spanisch, am Wochenende schwingt man das Tanzbein zu Vinyl.

Ein paar Meter von der Stelle entfernt, wo Francis mit dem langen, biegsamen Messer gerade Tranchen vom iberischen Schinken säbelt, war Marbella Anfang der 1960er so gut wie zu Ende. Die Markthalle gegenüber, in der man nun zwischen Fischhändlern Austern und Cava schlürft, existierte nicht. In den Hügeln über der Stadt standen nur ein paar Villen, heute gruppieren sich zahllose zu Beverly-Hills-artigen Vierteln. Damals war die Stadt kaum mehr als der alte Kern und weiter westlich das Strandhotel Marbella Club mit seinen illustren Gästen aus aller Welt.

Hier, wo Wege manchmal so eng sind, dass zwei Passanten gerade aneinander vorbeikommen, kann man das Gefühl bekommen, auf der anderen Seite des Mittelmeeres zu sein – in Marokko. Kein Wunder. Muslimische Mauren erbauten diesen Ort und nannten ihn Marbil-ha. Mehr als 700 Jahre waren sie da, bis 1485 die Reconquista siegte, die katholischen Könige übernahmen. Marbil-ha wurde christlich und bald zu Marbella.

Die Plaza de los Naranjos, der Platz der Orangenbäume, ist die Bühne der neuen gesellschaftlichen Ordnung und wurde in das eroberte Häuser- und Wegegespinst geschlagen, hier bauten die neuen Mächte die Ermita de Santiago, die erste Kirche nach der Maurenzeit, das Rathaus und die Casa del Corregidor, hinter deren nobler Fassade der Stellvertreter des Königs in Madrid residierte. Heute ziert die Büste von Juan Carlos I. den Platz. Menschen flanieren unter Orangenbäumen. Der Himmel leuchtet orange, von der Pfarrkirche Glockengeläut, Zeit fürs Abendessen. Durch Gassen wie Tunnel führt der Weg am Rokokoportal der Kirche Nuestra Señora de Encarnación vorbei und den Festungsmauern der maurischen Burg, über kunstvoll gepflasterte Plätze, durch die gewundene Gasse Virgen de los Dolores mit ihren Patios, ihren Farbkaskaden der Bougainvilleas und der blau gewandeten Muttergottes in einer Fassade, vielleicht der malerischste Ort der Altstadt. Oben, im Barrio Alto, wird es immer stiller.

Viele wohnen hier, in Gassen voller Pflanzen und Blumen. Ein Mädchen kämmt in einem Eingang ihr Haar, eine alte Frau sitzt in Schwarz vor der weißen Häuserflucht und schaut die menschenleere Gasse hinunter. Am oberen Ende der Aduar, am Rand der Altstadt, treffen sich Einheimische in ihrer Bar Francisco. „Zu Paquito“ gehen sie „seit vielen Jahren“ – das ist ihr Ding, abseits vom Hype und einfach, dieser altmodisch gekachelte Raum mit der gefüllten Tapas-Vitrine. Russischer Salat ist darin schön aufgehäuft, knackige Tomaten liegen da. Diese schneidet Paquito nun auf, gibt einen Schuss Olivenöl darüber, belegt sie mit Sardellen, schnitzt Knoblauch darauf, reicht ein paar Löffel vom Russischen Salat als Zwischengang, Wein aus Rueda und als Hauptgang „bacalao con tomate“, alles für rund zehn Euro. Leichte Kost ist das nicht gerade. Zum Taxistand unten am Alamedapark sind es geschwinde zehn Minuten zu Fuß. Die tun jetzt gut.

An der costa del sol

Reisezeit: Mehr noch als in den vergangenen Jahren erlebt Spanien einen Besucheransturm. Schon deshalb ist es eine gute Idee, in der milden, ruhigeren Vor- und Nachsaison nach Marbella zu reisen. Wenn das wild zerklüftete Hinterland nicht in der Hitze flimmert, ist in der Altstadt schön

Platz. Prinzipiell ist diese andalusische Destination ein Ganzjahresziel, die Tage sind meist angenehm warm.

Unterwegs: Mit Taxi oder Bus bis zum Parque de la Alameda und gegenüber dem Park in die Altstadt ausschwärmen.

Übernachten:Claude***, chic in einem Palais des 17. Jahrhunderts. www.hotelclaudemarbella.comLa Villa Marbella*, in einer Nebengasse der Calle Ancha, Interieur mit einem Touch Asien. www.lavillamarbella.com

Außerhalb der Altstadt: Das bekannteste Hotel ist der legendäre Marbella Club*****, es gehört mittlerweile zu den „Leading Hotels of the World“. Mehrere Restaurants, Bars, Pools, Spa, Gym, Kid's Club und Strand, exklusive Shoppingzeile, im Schwesterhotel Puente Romano nebenan weitere gastronomische und sportliche Highlights. www.marbellaclub.com

Essen:El Estrecho, Familienbetrieb, frische, hausgemachte Tapas, gemütlich, Lázaro 12, www.barelestrecho.es.Caperuza Bistro, kreative kleine Gerichte in der oberen Altstadt,
T +34 647 33 36 38. Bar Altamirano, traditionsreich, Fisch und Meeresfrüchte, Plaza Altamirano, www.baraltamirano.es. Momo, internationale Küche, sorgfältig zubereitet, Calle Tetuán 7, www.momomarbella.es. Skina, neue spanische Küche in einem kleinem Altstadthaus, Michelinstern, Calle Aduar 12, www.restauranteskina.com

Anschauen: Pfarrkirche Nuestra Señora de la Encarnación Museo del Grabado, www.mgec.es/wp/museo. Parque de la Alameda und Avenida del Mar mit Dalí-Skulpturen

Infos:www.turismo.marbella.es www.andalucia.org 
www.andalucia.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.7.2017)

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