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Ein bisschen Gruseln mit dem netten Onkel Alice

Alice Cooper spricht von sich in der dritten Person – und hat ein neues Album herausgebracht.
Alice Cooper spricht von sich in der dritten Person – und hat ein neues Album herausgebracht. (c) Rob Fenn
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Geschichten über übersinnliche Phänomene und kritische Bemerkungen zum modernen Leben: Der bald 70-jährige Alice Cooper hat mit „Paranormal“ sein 27. Album veröffentlicht. Die gern für ihn verwendete Bezeichnung „Schockrocker“ ist freilich längst zur leeren Hülle mutiert.

Alter ist im Rock'n'Roll kein Hindernis. Das wissen die Rolling Stones, das wissen AC/DC, und das weiß auch Alice Cooper. Der bald 70-Jährige hat mit „Paranormal“ sein 27. Album herausgebracht. Kein klassisches Konzeptalbum, sondern nur lose durch den Titel zusammengehalten – weil es um Menschen geht, die alle etwas Eigenes haben. Etwas Verstörendes, etwas Schockierendes.

Der Schock gehört zur DNA des popkulturellen Phänomens Alice Cooper. Mit dem Begriff „Schockrocker“ wird er heute noch gern bedacht, auch wenn dieser längst zur leeren Hülle mutiert ist. Denn wirklich schockieren kann man mit Alice Cooper heute nur noch jene, die bei „Twilight Zone“-Folgen aus den 1950er- und 1960er-Jahren eine Gänsehaut bekommen. Natürlich, es gibt bei Konzerten Szenen, in denen er unter eine Guillotine gelegt wird und wenige Minuten später mit dem Puppenkopf in der Hand wieder auf die Bühne zurückkehrt. Aber das alles ist verpackt als Varieté, als überzeichnete Show. Darüber erschrocken sein? Eher belustigt und gut unterhalten.

Alice Cooper weiß, dass er heute niemanden mehr schockieren kann. Das war einmal in den 1970ern. Seine Shows sieht er als Rock'n'Roll-Show, bei der eben mit Elementen aus dem Horror gespielt wird. Als Theater, bei dem er die böse Figur gibt – die aber in Wirklichkeit ein netter Onkel ist, der gern ein paar Schauergeschichten erzählt. Das ist die Figur Alice, die der Pastorensohn Vincent Damon Furnier aus Detroit Ende der 1960er-Jahre erfunden hat und er bis heute als Alter Ego pflegt. Als jemand, über den er in Interviews in der dritten Person spricht.

Alles außer Schönwetter

Alice Cooper auf Schock reduzieren zu wollen, führt aber ohnehin in die Irre. „Your sister's high on angel dust, and so's your porno brother. And your phone know's more about you than your daddy or your mother“, singt er etwa in „Dead Flies“ vom neuen Album. Ein kritischer Kommentar eines reflektierten älteren Herrn über das moderne Leben. Aber natürlich, Schönwetterlieder passen nicht in sein Konzept. Da ist etwa sein Song „Fireball“, in dem ein riesiger Feuerball auf die Erde zurast – „all mighty God . . . is it today?“ Erschrocken fährt der Protagonist hoch, merkt, dass alles nur ein Traum war – doch als er zum Fenster geht, merkt er, dass der Feuerball nun wirklich kommt.

Das Augenzwinkern, der Überraschungsmoment, diese Elemente gehören auch auf dem neuen Album dazu. Textlich wie musikalisch. Da ist der 1950er-Rock'n'Roll in „Genuine American Girl“, in dem ein Mann schildert, wie er sich zur Frau schminkt, da sind Bläsereinsätze in „Holy Water“. Und natürlich, auch das ein Markenzeichen, gibt es prominente Gastmusiker. Von Roger Glover, Bassist von Deep Purple, über Billy Gibbons, Gitarrist von ZZ Top, bis zu Larry Mullen jr. von U2, der am Schlagzeug einiges beisteuert. Als zusätzlichen Retro-Gag gibt es auch zwei Nummern mit der Original-Alice-Cooper-Band, aus der der Sänger 1974 ausgestiegen ist, um als Alice Cooper solo weiterzumachen.

Aber bei all dem Namedropping, dem gitarrenlastigen und flotten Sound weitab von stumpfem Hardrock, ein bisschen gruseln darf man sich doch. Etwa im Titeltrack „Paranormal“. Da schildert ein Toter, wie er mit einem Mädchen in Verbindung bleibt – mit einer sanften Berührung oder mit dem Läuten des Telefons. „So, you're never alone. You're never alone.“ Hat der nette alte Onkel also wieder eine seiner Horrorgeschichten erzählt? Macht nichts, schlecht schlafen muss man deswegen noch lang nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2017)

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