„Das Kapital“ ist 150 – und so unverwüstlich wie der Kapitalismus

"Das Kapital".
"Das Kapital". (c) Georg Wendt / dpa / picturedesk. (Georg Wendt)
  • Drucken

Von Ökonomen verachtet, von Revolutionären verehrt: Das vor 150 Jahren erschienene Hauptwerk von Karl Marx war Ladenhüter und Bibel, erlebte Boom und Baisse. Warum der Prophet mit so vielem falsch lag und dennoch bis heute seine Jünger findet.

In den „Hamburger Nachrichten“, einem fest im Bürgertum verankerten Blatt, erschien am 13. September 1867 eine kleine Notiz: Bei einem Verlag der Hansestadt erscheine ein Werk von einem gewissen Karl Marx, mit dem Titel „Das Kapital“. Hätten die in der Zeitung blätternden Kaufleute nur eine vage Ahnung von der welthistorischen Sprengkraft dieses Buches gehabt, es wäre ihnen wohl vor Schreck das Hörnchen in den morgendlichen Milchkaffee gefallen. Freilich deutete nichts auf die künftige Karriere des Wälzers hin: Der Autor, ein aus Deutschland verbannter Berufsrevolutionär, hatte sich im Londoner Exil mit dem „Saubuch“, wie er es selbst nannte, fast zwei Jahrzehnte lang herumgeplagt. Seine Hinhaltebriefe an diverse Verleger, von denen einer nach dem anderen das Handtuch warf, würden aneinandergereiht ähnlich viel Lesestoff ergeben wie der 800 Seiten schwere erste Band (die beiden anderen folgten erst posthum). Die Startauflage von 1000 Exemplaren erwies sich als allzu mutig. Die sperrige Schrift, die ihre bestürzend lebensnahen Schilderungen des Elends englischer Fabriksarbeiter hinter dürren theoretischen Ableitungen verbirgt, war anfangs ein Ladenhüter. Umsonst rührte Friedrich Engels, Mitstreiter des Meisters, mit anonymen Rezensionen die Werbetrommel. Marx bilanzierte frustriert: Das Buch werde ihm „nicht einmal so viel einbringen, als mich die Zigarren gekostet, die ich beim Schreiben geraucht“. Wie so oft hatte er damit die Gegenwart glänzend analysiert, aber die Zukunft ganz falsch eingeschätzt.

Schrumpfende Soldaten. Sein Opus magnum wurde zur „Bibel der Arbeiterbewegung“, fast so oft verkauft und in ebenso viele Sprachen übersetzt wie ihr religionsstiftendes Pendant. Gefeiert und verachtet, ist es bis heute ein Buch geblieben, das niemanden kalt lässt – auch wenn es die wenigsten wirklich gelesen haben.Die Hauptströmung der Ökonomen freilich ging mit ihrer Grenznutzentheorie rasch über die „Kritik der Politischen Ökonomie“ hinweg. Dabei mussten Mainstream und Rebell dasselbe Phänomen erklären: die Lage der Industriearbeiter.

Marx beschrieb, wie es ihnen immer dreckiger ging, etwa anhand von Statistiken, die zeigten, dass die durchschnittliche Körpergröße der Stellungspflichtigen laufend abnahm. Zugleich häuften die Fabriksherren ungeheure Reichtümer an. Auf diese empirischen Befunde stützte er seine Werttheorie. Schon für Smith und Ricardo, den Ahnherrn der Politischen Ökonomie, lag der Wert der Waren auch in der Arbeit, die man für ihre Herstellung braucht. Bei Marx wurde sie zur einzigen Quelle des Wertes. Der Arbeiter selbst erhält aber nur den Subsistenzlohn, den er zum Überleben braucht. Den Mehrwert streift der Unternehmer ein.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.