Gastkommentar

Deutschland vor der Wahl: die große Langweile

Noch nie war der Ausgang einer Bundestagswahl so vorhersehbar wie das Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz. Obwohl das für die Medienberichterstattung Gift ist, ist es für Europa eine gute Nachricht aus Berlin.

Langeweile im Fernsehen ist Gift. Das weiß auch die deutsche Bundeskanzlerin. Deshalb schont Angela Merkel die Zuschauer. Die Bitte ihres Herausforderers Martin Schulz nach einem zweiten TV-Duell perlte an der Langzeit-Bundeskanzlerin ab. „Zu dem Thema ist alles gesagt. Angela Merkel hat gerne an einem TV-Duell teilgenommen. Dieses Format hat sich bewährt. Und dabei belässt sie es“, ließ die CDU-Chefin staubtrocken ihren sozialdemokratischen Konkurrenten ausrichten.

Mit ihrer unverrückbaren Position, sich lediglich auf einen direkten Schlagabtausch mit Schulz einzulassen, hat die Bundeskanzlerin den deutschen Zuschauern und auch den Privatsendern einen großen Gefallen getan. Denn das Interesse der Wähler war ohnehin geringer als früher. Beim einzigen Kanzlerduell dieses Wahlkampfs sahen knapp eineinhalb Millionen Menschen weniger zu als noch vor vier Jahren. Die Privatsender kamen auf einen kläglichen Zuschauermarktanteil. Daher ist es kein Wunder, dass sich weder Merkel noch die privaten Kanäle nach weiteren Quotenkillern sehnen.

Nur Koalitionsfrage spannend

Das Desinteresse der Deutschen ist kein Wunder. Denn der Ausgang der Wahl steht bereits seit Wochen fest. Amtsinhaberin Merkel wird das beinahe schon bemitleidenswerte Duell mit ihrem sozialdemokratischen Herausforderer haushoch gewinnen. Laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Emnid kommen CDU/CSU auf stolze 36 Prozent. (Die SPD bringt es hingegen nur auf bescheidene 22 Prozent.)

Wenn am nächsten Sonntagabend das amtliche Endergebnis verkündet wird, bleibt nur eine spannende Frage: In welcher Koalition wird Merkel regieren? Reicht es für eine Jamaika-Koalition aus – also für ein Bündnis von Union, FDP und Grüne? Die Liberalen kommen derzeit auf neun Prozent der Stimmen, bei den Grünen sind es acht. Oder muss die Kanzlerin die Koalition mit den Sozialdemokraten fortführen? Bereits das TV-Duell glich streckenweise einem Gespräch zwischen Koalitionären.

Die gute Nachricht: Bei beiden Varianten ist keine radikale Änderung in der deutschen Politik zu erwarten. Das von Merkel geschaffene Koordinatensystem ist weitgehend unverrückbar. Es dient dazu, mit einer möglichst geringen Fehlerhäufigkeit Deutschland durch die Herausforderungen in einer zunehmend unübersichtlichen Welt zu navigieren. Mit welchen weiteren Offizieren Merkel dabei auf der Kommandobrücke steht, ist eher zweitrangig.

Zu den Phänomenen des deutschen Wahlkampfs gehört, dass die einst als Mädchen von Kohl belächelte Politikerin aus der Uckermark zu einer willens- und entscheidungsstarken Teflon-Politikerin mitbewundernswerter Standfestigkeit mutiert ist.

Die Wirtschaft brummt

Der Ausstieg aus der Atomenergie nach der Katastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima hat ihr kaum geschadet. Genauso wenig wie ihre Entscheidung, die deutschen Grenzen für rund eine Million Flüchtlinge zu öffnen.

Angesichts eines starken Wachstums der deutschen Wirtschaft, sinkender Staatsverschuldung, eines hohen Haushaltsüberschusses und einer auf historischem Höchststand befindlichen Beschäftigungsquote stellt das Migrationsproblem ökonomisch keine Herausforderung dar. Gelingt die Integration der Flüchtlinge tatsächlich, kann das sogar ein wichtiger Beitrag bei der Lösung des demografischen Problems in der Rentenfinanzierung sein.

Und politisch? Die rechtspopulistische „Alternative für Deutschland“ (AfD), die laut Emnid derzeit mit elf Prozent der Wählerstimmen rechnen kann, muss erst ihre politische Professionalität beweisen. Es wäre nicht die erste Rechtspartei, die den Sprung in den Bundestag und Länderparlamente schafft – und dann schnell wieder weitgehend bedeutungslos wird. Beispiele dafür sind die NPD im Bundestag, aber auch die Republikaner, DVU und das kurzzeitige Hamburger Phänomen Schill-Partei in verschiedenen Landtagen.

SPD nicht mehr glaubwürdig

Wenige Tage vor der Bundestageswahl wird augenfällig, wie wenig die Sozialdemokraten ihre Kernkompetenz ausspielen konnten. Sie schafften es nicht, das Thema Gerechtigkeit in Köpfen und Herzen zu verankern. Die SPD leidet seit Jahren unter einem bedrohlichen Glaubwürdigkeitsverlust. Schließlich tragen die Sozialdemokraten aus der Sicht vieler Deutscher eine große Mitschuld an den sozialen Ungerechtigkeiten.

Ausgerechnet der SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die Sozialreformen unter dem Sammelbegriff Hartz IV – benannt nach dem wegen Untreue später verurteilen VW-Manager Peter Hartz – durchgesetzt, die sozial Schwache noch schwächer gemacht haben. Hartz IV hat zu einer sozialen Zerrissenheit in Deutschland geführt, die zum Glück in Österreich unbekannt ist.

Bezahlbare Wohnungen werden in Deutschland auf Grund der Immobilienblase immer teurer. Doch der soziale Wohnungsbau wird weiter stiefmütterlich behandelt. Ein besonders negatives Beispiel für die katastrophale Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt ist München. Dabei stellt in der bayerischen Landeshauptstadt die SPD seit Jahrzehnten den Bürgermeister.

Selbst im Abgasskandal der deutschen Autokonzerne, die mit einem riesigen Wertverlust für Dieselauto-Eigner einhergehen, haben die Sozialdemokraten keine Bella Figura gemacht. Im Gegenteil: Nicht nur Kanzlerin Merkel, sondern auch die Sozialdemokraten haben den Autobossen jahrelang blind vertraut. Das Ergebnis zum Nachteil von Millionen von Autofahrern ist bekannt.

Pragmatisch, weltoffen, rational

Während Merkel inzwischen ihren Ärger, ja Unmut über VW, Daimler, BMW & Co. öffentlich artikuliert, lavieren sich die Sozialdemokraten aus Angst vor den Gewerkschaften wenig glaubwürdig durch den größten Autoskandal der deutschen Geschichte.

Für Europa ist der in sich abzeichnende Wahlausgang in Deutschland ein gutes Ergebnis. Die von Merkel geführte neue Regierung wird auf dem Weg zu einer weiteren europäischen Integration ein verlässlicher Partner sein. Zusammen mit Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron hat sie die Chance, Sicherheit und Stabilität in der neuen Welt(un)ordnung zu vergrößern.

Der von Merkel angestoßene Prozess einer Annäherung der Balkanstaaten an die EU könnte erneut Fahrt aufnehmen. Ihr und ihren Bündnispartnern in Berlin – egal ob rot oder gelb-grün – ist gemeinsam klar, dass Wohlstand und Sicherheit nur möglich sind, wenn pragmatisch, weltoffen und rational auf die vielen Herausforderungen in Europa und der Welt reagiert wird. Deutschlands anhaltende Stabilität und Berechenbarkeit wird am Sonntag die gute Nachricht aus Berlin sein.

DER AUTOR

Dr. Hans-Peter Siebenhaar (* 1962 in Thurn, Franken) studierte Politikwissenschaft, Theater- und Kommunikationswissenschaft, Soziologie und Neuere Geschichte. Seit 2013 ist er Korrespondent des Handelsblatts für Österreich und Südosteuropa, seit 2014 Präsident des Verbandes der Auslandspresse in Wien. Im Zürcher Verlag Orell Füssli ist zuletzt sein Buch „Österreich – Die zerrissene Republik“ (271 Seiten, € 20,60) erschienen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2017)

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