Frankreichs Staatschef legt Ideen für die Zukunft der EU vor. Seine Vorschläge zur Eurozone zielen darauf ab, Deutschland möglichst wenig zu verschrecken.
Paris. Die lang erwartete Rede zur Zukunft Europas, die Emmanuel Macron am gestrigen Dienstag in einem Festsaal der Pariser Universität Sorbonne hielt, begann mit einer präsidialen Verspätung – doch dann zog der französische Staatschef alle inhaltlichen Register. In einem gut einstündigen Parforceritt entwarf der 39-jährige Macron die Vision eines „vereinten Europas, das schützt“ und dessen geteilte Souveränität die Handlungsspielräume der Unionsmitglieder erweitert. Die Vorlesung vor Studierenden war in erster Linie an alle Partner der EU gerichtet. Macron lieferte dabei keine fixfertige Gebrauchsanweisung, sondern eher eine Methode, mit der der französische Präsident trotz der wachsenden Skepsis oder Resignation in zahlreichen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einen Sinn und eine Zukunft geben möchte. Die Zusammenarbeit ist für ihn nicht bloß eine schöne Idee, sondern der einzige Ausweg. Als Bereiche einer solchen engeren Kooperation nennt Macron fünf „Baustellen“: die Verteidigung und den Kampf gegen Terrorismus, den Klimawandel, die digitale Revolution, die Migrationspolitik und die Wirtschafts- und Handelsfragen.
Vor allem die Ausführungen zur fünften und letzten Baustelle wurden mit Ungeduld erwartet – schließlich hatte Macron im Vorfeld der deutschen Bundestagswahlen mit der Idee einer vollintegrierten Eurozone samt Finanzminister und Budget in der Größenordnung von mehreren Prozentpunkten der Wirtschaftsleistung aufhorchen lassen. Seine gestrigen Ausführungen waren jedenfalls weniger ambitioniert und zeugten vom Bemühen, Frankreichs wichtigsten Partner möglichst wenig vor den Kopf zu stoßen. So sprach Macron lediglich von einem „substanziellen Budget im Herzen der Eurozone“ und sparte konkrete Zahlen aus, betonte die Notwendigkeit von Investitionen und beteuerte, keinesfalls „alte Schulden“ der Eurozonenmitglieder in einen Budgettopf werfen zu wollen.
Angesichts der neuen politischen Realitäten in Berlin ist diese Vorsicht verständlich: Die Idee einer Vergemeinschaftung der Schulden bleibt eine rote Linie für die FDP von Christian Lindner, mit dem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen mit den Grünen auf eine Koalition einigen möchte. Macron kündigte jedenfalls prophylaktisch seine Flexibilität an: „Ich kenne keine roten Linien, sondern nur den Horizont.“
CO2-Importzölle und Google-Steuer
Die Linie von Macrons Horizont umfasst jedenfalls viele Reformvorschläge der EU-Kommission, beispielsweise zum Aufbau einer Sicherheitsunion und einer gemeinsamen Asylbehörde, sowie generell mehr innereuropäische Solidarität im Umgang mit Flüchtlingen und Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika. Finanzieren möchte er diese Initiative mit den Einnahmen aus einer EU-Finanztransaktionssteuer.
Apropos Einnahmen: Im Bereich der gemeinsamen Klimapolitik fordert der französische Präsident CO2-Importzölle, um Europas Industrien vor unlauterem (und „schmutzigem“) Wettbewerb zu schützen. Ebenfalls auf der Agenda steht ein europäischer „Evergreen“: die Harmonisierung der Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern. Innerhalb von vier Jahren wolle er diese Angleichung zwischen Deutschland und Frankreich herbeiführen, kündigte Macron an – was, so die unausgesprochene Erwartung, einen Anpassungsdruck innerhalb der Eurozone erzeugen soll. Und zu guter Letzt brachte Frankreichs Staatschef die Idee einer gemeinsamen Besteuerung der (hauptsächlich US-amerikanischen) Internetunternehmen ins Spiel – das so lukrierte Geld könnte zur Finanzierung des Eurozonenbudgets genützt werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2017)