Ildikó Enyedi: Kino aus dem Schlachthof

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In Berlin hat sie den Goldenen Bären gewonnen, in Venedig saß sie in der Jury: Ildikó Enyedi steht für das sensible Kino, das derzeit aus Ungarn kommt.

Ein Spielfilm, der in einem echten Schlachthof spielt? Ildikó Enyedi hat ihn gedreht – und den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen. Im Abspann steht, dass Tiere zu Schaden kamen, wenngleich nicht zum Zwecke des Films. „Wenn man in einem Film etwas ausdrücken will, muss man ein bisschen ins Extreme gehen“, sagt sie.

Deshalb ist ihre Hauptfigur nicht einfach nur scheu, sondern hat Asperger. Und sie verbringt ihre Zeit zwar an einem ganz normalen Arbeitsplatz – aber auch an einem, an dem „dieser verstörende Kontrast unseres Lebens“ besonders sichtbar ist: Jener Kontrast, „der jede Sekunde da ist: Unerträgliche Grausamkeit neben echter Zärtlichkeit“. Viele Schlachthöfe, schilderte die ungarische Regisseurin bei einem Wien-Besuch, hätten freilich nichts mit Dreharbeiten zu tun haben wollen. Letztlich seien drei in die engere Auswahl gekommen.

„Ich wollte ein sauberes, modernes, automatisiertes Schlachthaus“, sagt die kleine, mädchenhafte 61-Jährige. „Keinen schäbigen, dunklen, osteuropäischen Ort mit blätternder Farbe an den Wänden, sondern einen Ort des politisch korrekten Tötens.“ Gewählt hat sie den Drehort dann wegen seines Direktors. Ein Mann, sagt sie, der sich bewusst gewesen sei, wie gefährlich die Arbeit dort für die Seele eines Menschen sei.

Mit welcher Präzision und Sensibilität die Ungarin an ihre Projekte herangeht, mag man an diesen Details erkennen. „Es ist kein Zufall, dass in Schlachthöfen sehr, sehr grausame Dinge geschehen“, sagt sie. „Das ist eine Reaktion der Menschen auf schrecklich Zustände. Wenn sie die Tiere schlecht behandeln, machen sie sie zum Objekt, dann wird es leichter.“ Dort, wo sie gedreht hat, war es anders. „Dort herrschte eine aus dem Bauch kommende Solidarität und Zärtlichkeit gegenüber den Tieren, die man tötete. Das war schockierend, und wichtig zu sehen.“

In dieser Umgebung lässt Ildikó Enyedi also in ihrem Film „Körper und Seele“ den halbseitig gelähmten Finanzchef Endre auf die jüngere, autistisch veranlagte Qualitätsmanagerin Maria treffen. Als die beiden entdecken, dass sie nachts das Gleiche träumen, entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte (eine Kritik dazu ist bereits erschienen). „Ich wollte Helden zeigen, die ein Risiko eingehen und sich trauen, ihr Leben zu leben.“ Der Film fand international breite Beachtung, wurde als Ungarns Kandidat für den Auslands-Oscar nominiert – und rückt eine Filmemacherin wieder in den Fokus, die schon mit ihrem Erstling „Mein 20. Jahrhundert“ 1989 in Cannes eine Goldene Kamera für den besten Nachwuchsfilm gewonnen hatte.

Längere Durststrecke

Zuletzt war es indes ruhig um sie gewesen – kein bewusster Schritt, wie sie versichert. In den Neunziger hatte sie noch alle drei, vier Jahre einen Film realisiert, „ganz okay“, wie sie findet. Dann wurden ihre Kinder geboren, „eine erfüllende Zeit“. Der Schock kam, als sie wieder arbeiten wollte, und keines ihrer Projekte realisiert wurde. „Es gibt Projekte, die gut sind, die ständig fast passieren“, erklärt sie. „Man hat also keinen Grund, sie aufzugeben.“ Man wisse schließlich, dass so etwas oft Jahre dauern kann, „und man fängt wieder und wieder an“. Fünf Projekte sind bisher solcherart gescheitert. „Aber ich hoffe immer noch, dass manche von ihnen wahr werden.“

Begonnen hatte Enyedi ihre Karriere in einer interdisziplinären Künstlergruppe, mit Mathematikern, Bildhauern und Malern. „Verschiedenste Leute haben dort zusammengearbeitet. Ich dachte immer, ich würde später immer mit dem Medium arbeiten, das gerade am besten passt.“ Erst nach ihrem ersten Spielfilm habe sie beschlossen, ganz dem Medium Film treu zu bleiben. Heute unterrichtet sie; im September saß sie in der Jury der Filmfestspiele von Venedig. „Ich bin so glücklich zu sehen, dass das Festival wieder am Leben ist“, resümiert sie. „Irgendwie ist die Energie zurück.“

Während Ungarns Politik international mit zunehmender Besorgnis verfolgt wird, überrascht das (mit Lotterie-Geld finanzierte) Kino aus Österreichs Nachbarland positiv. „Es ist schön zu sehen, dass sehr verschiedene Filmemacher in Ungarn arbeiten können. Wann immer ich auf Festivals komme, höre ich, wie glücklich wir seien, es ist lustig.“ „1945“ von ihrem Kollegen Ferenc Török lief eben in Wien auf dem Jüdischen Filmfestival. Ein wundervoller Film, wie sie findet – und ein wichtiger. „Wir Ungarn haben ein großes Paket Vergangenheit nicht aufgearbeitet.“

ZUR PERSON

Ildikó Enyedi (geb. 1955 in Budapest) wurde 1989 mit ihrem Debüt „Mein 20. Jahrhundert“ in Cannes mit einer Goldenen Kamera ausgezeichnet. Es folgten u. a. „Freischütz – Magic Hunter“ und „Simon magus“. Ihr poetisch-melancholischer Stil ist nun auch in „Körper und Seele“ präsent, der in Berlin den Goldenen Bären erhielt, der Film läuft derzeit noch im Kino. Enyedi ist mit dem deutschen Germanisten Wilhelm Droste verheiratet. Seit heuer ist sie auch Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die die Oscars vergibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2017)

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