Was die Wahl bedeuten kann.

Vom Geben und (Weg-)Nehmen

Der Syrer Ahmed Jaber floh vor zweieinhalb Jahren nach Österreich, nun lebt er mit seinem einjährigen Sohn in Wien.
Der Syrer Ahmed Jaber floh vor zweieinhalb Jahren nach Österreich, nun lebt er mit seinem einjährigen Sohn in Wien.(c) Katharina F.-Roßboth
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Sozialhilfe. Der Syrer Ahmed Jaber sucht einen Job – und lebt von der Mindestsicherung. Das könnte sich nach dem Sonntag ändern. Welche Auswirkungen die Wahlprogramme auf ihn hätten.

Wann Ahmed Jaber Zeit für ein Treffen hat? Eigentlich immer, außer am Vormittag. Da findet der einzige Fixpunkt seines Tages statt: Der 26-jährige Syrer besucht für drei Stunden einen Deutschkurs.

Die restliche Zeit versucht er, die Sprache auf eigene Faust zu lernen. Einfach sei das nicht, erzählt er. Einerseits gebe es niemanden, der seine Fehler ausbessern würde. Andererseits könne er sich Privatstunden nicht wirklich leisten. „Ein Lehrer verlangt 15 Euro die Stunde, mehr als viermal im Monat kann ich das nicht bezahlen“, sagt er.

Seine Deutschkenntnisse will er aber dringend verbessern. Aus mehreren Gründen. Jedes Mal, wenn Jaber Bewerbungsschreiben abschickt, „bekomme ich entweder keine Antwort oder eine Absage“. Derzeit besucht er einen Kurs für das Sprachlevel B1, „das reicht vielen nicht“. Nicht für Hilfsjobs, für die er ansucht. Und erst recht nicht für den Beruf, den er in seinem Heimatland gelernt hat: Jaber studierte in Syrien BWL und arbeitete dann als Buchhalter. Derzeit versucht er, sein Diplom beglaubigen zu lassen, „das dauert aber lang“. Auf der Uni will er sich weiter fortbilden. Die Ansprüche in Österreich seien höher, vor allem, was Fremdsprachenkenntnisse betrifft. „Falls das nicht funktioniert, möchte ich zur Polizei gehen.“

Bis dahin ist Jaber aber weiterhin arbeitslos. Vor zweieinhalb Jahren ist er nach Österreich geflohen, nun lebt er mit seiner Frau und seinem einjährigen Sohn in Wien – und von der Mindestsicherung. „Davon kann man leben, aber man muss sehr sparsam sein.“

510 Euro Mietkosten im Monat

Wie viel bekommt die Familie also? Jaber rechnet vor: „Meine Frau bekommt Kinderbetreuungsgeld, das sind im Monat rund 430 Euro.“ Zusätzlich erhält er Mindestsicherung, insgesamt machen sämtliche Leistungen für die Familie 1500 Euro im Monat aus. Ausgegeben wird das Geld hauptsächlich für die Miete: Die 37-Quadratmeter-Wohnung kostet 510 Euro monatlich. Hinzu kommen Strom, Gas (150 Euro), 37 Euro für Fahrkarten und Betriebskosten sowie Versicherung. Eingekauft wird im Sozialmarkt: „Dort gibt es Lebensmittel, die abgelaufen sind oder bald ablaufen.“

Nach dem 15. Oktober könnte sich für Jaber einiges ändern. So wie für alle anderen Flüchtlinge und/oder Mindestsicherungsbezieher. Über Menschen, die Sozialhilfe beziehen, wurde in diesem Wahlkampf lang gesprochen. Und in einzelnen Programmen viel Platz eingeräumt.

FPÖ: 830 statt 1500 Euro

Vor allem ÖVP und FPÖ wollen die Sozialausgaben kürzen – hauptsächlich für Ausländer. Wobei die Pläne der Freiheitlichen am weitesten gehen: Grundsätzlich soll die Mindestsicherung für Österreicher zur Verfügung stehen. EU-Bürger erhalten sie erst nach fünf Jahren. Damit dieser Plan den Regeln der Europäischen Union eher standhält, gilt diese Wartefrist auch für Österreicher, die das Land verlassen und zurückkehren. Damit würden Österreicher und EU-Ausländer gleich behandelt.

Und Flüchtlinge wie Jaber? Sie sollten laut FPÖ nur noch Grundversorgung erhalten. Also jene Hilfe, die Asylwerber bekommen, bis sie einen Asylbescheid erhalten. Das wären, falls keine weiteren Kürzungen beschlossen werden: 300 Euro Mietzuschuss für Familien, maximal 215 Euro Verpflegungsgeld pro Erwachsener und maximal 100 Euro für Kinder. Die Menschen sind krankenversichert, im Jahr erhalten sie maximal 150 Euro als Bekleidungshilfe. Jaber und seine Familie hätten also maximal 830 statt 1500 Euro monatlich zur Verfügung.

Der Vorschlag der Volkspartei ist ähnlich, auch sie will für EU-Bürger eine Wartefrist von fünf Jahren. Für anerkannte Flüchtlinge soll es in diesem Zeitraum eine „Mindestsicherung light“ geben: Erwachsene erhalten maximal 560 Euro im Monat, und zwar 365 Euro an Grundversorgung, 155 Integrationsbonus und 40 Euro Taschengeld. Diese Sozialhilfe gibt es allerdings nur, wenn die Person bestimmte Integrationsziele erreicht. Nach der Frist können sie die reguläre Mindestsicherung auch nur beziehen, wenn sie davon ein Jahr vollzeitbeschäftigt waren.

Mehr als 1500 Euro soll es übrigens für niemanden geben – auch nicht für Österreicher: Die ÖVP will diesen Maximalwert österreichweit für eine Familie bzw einen Haushalt einführen.

Eine einheitliche Regelung für alle Bundesländer wollen auch SPÖ, Grüne und Neos. Allerdings ohne rigorose Kürzungen. Die Kanzlerpartei will keinen Unterschied zwischen Österreichern und Ausländern machen. Als Vorlage für eine österreichweite Reform dienen für SPÖ und Grüne Vorarlberg oder Tirol: Flüchtlinge sollen eine Integrationsvereinbarung unterschreiben, die sie unter anderem zur Teilnahme an Deutschkursen verpflichtet.

Vorarlberg kürzte zuletzt allerdings auch die Geldbeträge – dafür wird der Fokus auf Sachleistungen gelegt. Für Kinder werden die Mindestsicherungssätze gestaffelt: Für die ersten drei Kinder gibt es 184 Euro, danach wird der Betrag reduziert. Für die Neos ist das der richtige Zugang, außerdem soll eine Residenzpflicht den Zuzug nach Wien begrenzen.

Jaber hätte auch eine Idee: Wer auf die Beglaubigung seines Diploms warte oder Zusatzqualifikationen für seinen Beruf erwerben wolle, sollte das volle Sozialgeld erhalten – auch wenn er für einige Stunden Hilfsjobs annehme. Es drohe sonst die Gefahr, Vollzeit irgendeinen Job annehmen zu müssen. „Dann bleibt keine Zeit mehr für Deutschkurse.“ Und er könne nie wieder als Buchhalter arbeiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2017)

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