Harvey Weinstein war erst der Anfang. Der Fall hat eine Welle des Aufschreis ausgelöst. Unter „#MeToo“ posten Frauen weltweit ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt. Auch in Österreich. Schauspielerin Maxi Blaha spricht offen über das lange Ungesagte.
Sie hatte die Rolle so gut wie in der Tasche, die Gage war ausverhandelt, der Vorvertrag geschrieben. Schauspielerin Maxi Blaha, damals 29, also nicht mehr blutjung, aber noch am Anfang ihrer Karriere, sollte beim oberösterreichischen „Festival der Regionen“ die Rolle der Elektra spielen; ihre noch viel jüngere Kollegin Birgit Minichmayr Elektras Schwester Chrysothemis verkörpern.
Dem bekannten deutschen Regisseur des Stückes war es wichtig, dass Blaha die Rolle spielt, das wurde in mehreren Vorgesprächen deutlich. Er kam sogar für ein Gespräch nach Wien, die beiden trafen einander im Wiener Lokal Amacord und gegen Ende des Treffens erklärte der Regisseur, er würde gerne bei ihr übernachten. „Ich habe gesagt, ich will das nicht, mir ist das unangenehm“, erzählt Blaha heute, 16 Jahre später. „Er hat so getan, als sei meine Absage okay für ihn.“ Doch eine Weile später, kurz vor Probenbeginn, erhielt die Schauspielerin ein E-Mail von ihm mit dem Betreff „Du bist nicht mehr meine Elektra“ und sinngemäß folgender Erklärung: Weil sie keine private Nähe zugelassen habe, könne er sich keine Arbeit mit ihr vorstellen. Sie sei viel zu kalt für so eine emotionale Rolle. „Er hat mir quasi gesagt, dass ich es mir selbst zerstört habe.“
Sie nannten ihn „das Schwein“
Passiert ist das im Sommer 2001. Blaha hatte damals einen Anwalt kontaktiert, der ihr riet, auf Verdienstentgang zu klagen. Und sie hatte den Intendanten des Festivals über den Vorfall informiert, der ihr aber riet, sich still zu verhalten. Öffentlich gemacht habe sie den Vorfall schließlich nicht, „weil ich mich geschämt habe und weil ich jung war“. In den vergangenen Tagen aber sei ihr das Erlebnis wieder in Erinnerung gekommen – auch ausgelöst durch den Fall Harvey Weinstein, den die „New York Times“ und der „New Yorker“ Anfang Oktober aufgedeckt haben. Die beiden Medien berichteten über Schauspielerinnen, die von Hollywood-Produzent Weinstein sexuell bedrängt worden waren. In der Zwischenzeit wurde der Beschuldigte von seiner eigenen Firma entlassen; zahlreiche weitere Schauspielerinnen rückten mit ähnlichen Erlebnissen heraus. Ex-Mitarbeiter erzählen, fast jeder habe von Weinsteins Verfehlungen gewusst. Sie nannten ihn intern nur „das Schwein“.
Der Fall Weinstein hat etwas ausgelöst. Seit Tagen melden sich weltweit unzählige Frauen in sozialen Netzwerken und Medien zu Wort und posten unter dem Hashtag „#MeToo“ ihre persönlichen Erfahrungen von sexueller Belästigung. Darunter auch die schwedische Außenministerin Margot Wallström und die US-amerikanische Kunstturnerin McKayla Maroney. In Frankreich posten Frauen unter dem Hashtag „#balancetonporc“ („Verpfeif dein Schwein“) über ihre Erlebnisse – und die Staatssekretärin für Gleichstellung hat eine Verschärfung der geltenden Gesetze angekündigt.
Was beim Fall Weinstein auffällt: dass die Branche offenbar von seinen Verfehlungen wusste. So äußerte sich Regisseur Quentin Tarantino zerknirscht gegenüber der „Times“: Er habe genug gewusst, um mehr zu tun, als er getan habe. Auch deswegen ist Schauspielern Maxi Blaha wichtig, sich öffentlich zu äußern. In Österreichs Film- und Theaterwelt gebe es die berühmte „Besetzungscouch bei manchen Regisseuren.“ Sie kenne viele Beispiele: „Man weiß so gut wie immer, wer mit wem im Bett war.“ Öffentlich darüber geredet wird selten. Nur erfahrene Schauspielerinnen wie Senta Berger oder Ernie Mangold reden etwa in ihren Biografien mehr oder weniger deutlich darüber. Regisseurin Marie Kreutzer („Was hat uns bloß so ruiniert“, „Gruber geht“) bestätigt Blahas Beobachtungen: „In der österreichischen Filmbranche kursieren immer wieder Gerüchte über bestimmte männliche Regisseure und deren Verhalten jungen Schauspielerinnen gegenüber.“ Ihre persönlichen „#MeToo“-Erfahrungen in der Branche seien vielfältig. „Das fängt bei komischen Situationen auf der Filmakademie und in ersten Jobs an. Heute sind es häufig Kommentare, die leicht anzüglich und herabwürdigend sind, die ich viel zu oft mit Schmäh pariert oder ,überhört‘ habe. Dadurch, dass ich selbst in einer gewissen Machtposition bin, geht es häufig eher darum, mich kleiner zu machen, als mich zu benutzen.“
Sie betont aber, dass es in der Branche auch „viele Männer gibt, die an Gleichberechtigung glauben, sie leben, und die gar nicht auf die Idee kommen würden, einer Kollegin blöd zu kommen.“ Eine ehrliche Debatte über das Thema ist jedenfalls dringend notwendig, wie die Reaktionen zeigen.
Zur Person
Harvey Weinstein, * 1952, wuchs in New York in einer jüdischen Familie auf und gründete in den 1970ern das Filmstudio Miramax mit seinem jüngeren Bruder. 2005 verließen sie Miramax und gründeten ihre Weinstein Company. Weinstein ist Vater von fünf Kindern.
Maxi Blaha, *1972 in Wien, war von 1993 bis 1996 Ensemblemitglied im Burgtheater, danach durchgehend in festen Engagements und Hauptrollen an den Landestheatern Coburg, Schwaben, Tübingen sowie am Linzer Landestheater. Aktuell tourt sie mit einem Theatersolo als Klimt-Gefährtin Emilie Flöge durch Europa. Sie ist mit dem Schriftsteller Franzobel verheiratet und Mutter eines Sohnes. Infos unter: www.maxiblaha.at
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2017)