Barrierefrei: Ohne Schwellenängste

(c) Clemens Fabry
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Hürden sollten erst gar nicht eingebaut werden. Gibt es jedoch welche, muss man sie aus dem Weg schaffen. Neu- und Umbauten im "Design für alle".

„16 Stockwerke, was für ein Ausblick!“, denkt der Besucher, der am Fenster steht. „Setz dich mal“, sagt Martin Habacher dann – und schon ist die Euphorie gedämpft. „Der Ausblick schön und gut. Nur: Ich seh ihn nicht“, so Habacher, der im Rollstuhl sitzt, leider zu tief, um aus seinem Fenster zu sehen.

Der Werbetexter hat besondere Bedürfnisse, die andere nicht haben. Vor allem beim Wohnen. Deshalb hat er sich als „Österreichs Superpraktikant“ beworben, den die ÖVP sucht. Und deshalb möchte er auch, dass sich Vizekanzler Josef Pröll eine Woche lang in den Rollstuhl setzt. Denn nicht alle können sich in seine Lage hineindenken.

Perspektivenwechsel

Es sei schwierig gewesen, die passende Wohnung zu finden, berichtet Habacher, er habe sich viele Objekte angesehen. Schlussendlich hat er sich nicht für eine barrierefreie Wohnung entschieden, sondern sich diese selbst gestaltet. Mit Erfolg: Seine Wohnung – in einem Hochhaus mit Knick im Wiener GasometerB – spielt jetzt alle Stückerln. Übrigens nicht nur für Leute im Rollstuhl.

Auf seinen erhöhten Spezialmöbeln, die er sich angeschafft hat, um den Ausblick aus dem 16. Stock doch noch genießen zu können, sitzen auch seine Freunde gerne. Schauen beim Fenster raus und trinken das eine oder andere Glaserl Wein. Doch an seine Bedürfnisse angepasst war die Wohnung nicht von vornherein. Beim ersten Rundgang war Habacher „erstmal froh, dass keine Stufe da war“, resümiert er. Erst später sei ihm bewusst geworden, was darüber hinaus alles zu beachten sei: die richtige Fensterkantenhöhe, die Höhe der Lichtschalter, des Hauptwasserhahns, des Türspions, der Klobrille. Selbst die Türen müssen im richtigen Winkel aufgehen, sagt er. Und die Küche, die hat er überhaupt gleich selbst entworfen. Doch Adaptierungen hin und her: „Eigentlich sieht doch eh alles normal aus“, sagt er. Und das ist durchaus so gewollt.

Habachers Einstellung ist kein Einzelfall, das sperrige Wort „barrierefrei“ wird nicht mehr gerne gebraucht. Man sagt heute „Universal Design“ oder „Design für alle“. Das geht nicht nur leichter über die Lippen, sondern trifft auch die Idee besser. „Denn diese Art des Wohnens geht nicht nur den Rollstuhlfahrer, sondern auch die Mutter mit Kinderwagen, den Reisenden mit Gepäck, den Übergewichtigen und die alte Frau etwas an“, sagt Architekt Andreas Kanzian. In Summe würden 30Prozent der Bevölkerung von derartigen Maßnahmen profitieren.

Eigenversuch mit Drehsessel

Doch vielen sei das gar nicht bewusst, und bei der Umsetzung hapert es sowieso, so Kanzian: „Leider wird das Thema häufig per Checkliste abgehakt. Viel wichtiger ist aber die Intelligenz der Planung.“ Dabei müsse man sich in die Situation der Beteiligten hineindenken, auf die Ebene des Sitzenden begeben – am besten im Eigenversuch mit einem Drehsessel. Die Planung sollte dabei stets von außen nach innen erfolgen. Will heißen: Bevor man sich etwa über das Mobiliar Gedanken macht, sollte man die Basics checken. Also etwa, ob der Parkplatz direkt beim Eingang liegt, ob es eine Auffahrzone gibt, ob ein Windfang mit Griffstangen, ein Türdrücker vorhanden sind. Das Maß aller Dinge ist dabei der Wendekreis des Rollstuhls. Konkret: ein Meter und 50 Zentimeter. In der Küche wiederum bieten sich Containermöbel an, die man herausrollen kann und die mit Rollstühlen „unterfahrbar“ sind. Die Nasszelle soll geräumig, das WC seitlich zu erreichen sein, das Waschbecken ebenso unterfahrbar, der Spiegel auf entsprechende Höhe klappbar. Und das Allerwichtigste: „Es darf keine Stufen geben, alles über drei Zentimeter kann man vergessen“, so Kanzian.

Dass das Ergebnis durchaus ästhetisch sein kann, davon ist Andreas Kanzian überzeugt. Er hat vor Kurzem ein Haus geplant, das völlig barrierefrei ist (siehe Fotos), aber er hat auch Erfahrung, was Adaptierungen betrifft. Was ein Umbau kostet? Im Schnitt 7000 bis 15.000 Euro, berichtet der Architekt.

Doch nicht nur an Rollstühle sollte man denken, sagt der Seniorchef des Österreichischen Hilfswerkes für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte, Peter Heinemann. Er vermittelt seit über 20 Jahren WGs für beeinträchtigte Menschen und kennt die Bedürfnisse und Neuerungen, die den Menschen den Alltag erleichtern. Beispiel? Eine Glocke, die Blitze abgibt oder Windstrom erzeugt. Doch bei all den Barrieren, die die Leute aus dem Weg schaffen, tun sie sich mit einer ganz besonders schwer, sagt er: „Mit der im Kopf.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2010)

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