Die San Juan dürfte einer Explosion zum Opfer gefallen sein. Hinweise kamen unter anderem von einer UN-Behörde in Wien.
Buenos Aires. Acht Tage nach Abbruch des Funkkontaktes mit der ARA San Juan muss Argentinien das Schlimmste befürchten: Die 44 meist jungen Besatzungsmitglieder in dem seit 15. November vermissten U-Boot dürften tot sein.
Am Donnerstagmittag vertiefte Marine-Sprecher Enrique Balbi eine am Vortag publizierte Information: Nur Stunden nach dem letzten Kontakt vorigen Mittwoch habe es auf der Fahrtroute einen „kurzen, heftigen Vorfall“ gegeben, der auf eine „nicht nukleare Explosion“ deute. Die Information über einen Knall etwa 60 Kilometer nördlich der Stelle, wo die San Juan ihre letzte Funkmeldung abgab, langte am Mittwoch aus den USA ein. Sie stammt wohl von Horchstationen und Seismografen mehrerer nordamerikanischer und britischer Institutionen und der US-Marine im Südatlantik und wurde am Donnerstag von der in Wien ansässigen CTBTO gegenüber Argentiniens Botschafter bestätigt. Diese UN-Organisation hat Sensoren verschiedenster Art über die Welt verteilt, um Atomtests aufzuspüren. Dazu zählen auch unterseeische Schallsensoren, von denen einer auf der britischen Besitzung Ascension Island im Mittelatlantik und einer bei den französischen Crozetinseln im südlichen Indischen Ozean anschlugen. Nachrichten über eine „hydroakustische Anomalie“ hatte die Armada Argentina offenbar schon kurz nach Verschwinden der San Juan, wollte sie aber ohne Bestätigung nicht publizieren.
Inzwischen sind sechs Schiffe vor Ort rund 430 km vor Patagonien auf Höhe von Comodoro Rivadavia, vier aus Argentinien, eines aus Chile und das norwegische Serviceschiff Skandi Patagonia, das die US-Truppe für U-Boot-Rettungen an Bord hat. Nach der Ruhe am Mittwoch kamen am Donnerstag wieder Stürme auf, die Wellen bis zehn Meter Höhe schlugen. Die San Juan folgte auf ihrer Fahrt von Feuerland nach Norden etwa einer Linie, an der der flache Festlandschelf in die Tiefsee abbricht. Weil vorigen Mittwoch dort die Wasser des Atlantiks ostwärts strömten, könnte das beschädigte oder schon zerstörte Boot in die Tiefe gedrängt worden sein. Es ist für Tiefen bis etwa 350 Meter gebaut und dürfte nicht viel mehr darüber hinaus als „Sicherheitsmarge“ aushalten; jedenfalls würde es irgendwann implodieren, sofern es nicht schon aufgerissen war.
Funkenschlag und Chlorgasvergiftung?
Man spekuliert über die Gründe der Explosion. Ausgang der Hypothesen sind die letzten Funkkontakte des Kapitäns mit seiner Leitstelle, wobei er meldete, dass über den Schnorchel Wasser eingedrungen sei und einen Kurzschluss in der Stromversorgung verursacht habe. Doch danach sendete er, das Problem sei behoben.
Nun fürchten viele Fachleute eine fatale Fehleinschätzung: Sie vermuten, dass Salzwasser im mit 960 Bleibatterien gefüllten Boden des U-Boots eine elektrochemische Reaktion ausgelöst habe, die einen gigantischen Funkenschlag mit dem stählernen Rumpf bewirkt und das Boot in eine riesige Batterie verwandelt haben könnte. Dabei, und im Kontakt mit Batteriesäure, könnten auch große Mengen Wasserstoff, vor allem aber Chlorgas ausgetreten sein. Das würde erklären, warum die Bootsführung scheinbar keine Maßnahme des Notfallprotokolls ergreifen konnte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2017)