Spielmacher alter Schule

Immer mittendrin, über jedes Detail bestens informiert: der Fußballlehrer Jupp Heynckes.
Immer mittendrin, über jedes Detail bestens informiert: der Fußballlehrer Jupp Heynckes.APA/AFP/ANDY BUCHANAN
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Die klare Handschrift des Trainers Jupp Heynckes: Seit sieben Wochen ist der FC Bayern in der Erfolgsspur unterwegs, feierte neun Siege in Folge. Die Veteranen laufen wieder, vergessen sind Krisen, Unmut oder das „ancelottinische Chaos“.

Jupp Heynckes ist zurück in seiner Geburtsstadt. Wenn auch nur für drei Tage. Nach dem mittelprächtigen 2:1 im Champions-League-Vorrundenspiel beim RSC Anderlecht reisten die Bayern von Brüssel mit dem Bus nach Mönchengladbach, zur Vorbereitung auf das wohl emotionalste Spiel seit der Rückkehr des Trainers nach München vor sieben Wochen. Mit Bayern, dem Verein, verkörpert durch Uli Hoeneß, dem er keinen Wunsch abschlagen kann, spielte er gegen Borussia, seinen Leib- und Magenverein, für den Heynckes im Team der legendären Fohlen um Günter Netzer spielte, nach dem Karriereende als Assistent von Udo Lattek arbeitete, danach als Cheftrainer, von 1979 bis 1987. Bis ihn die Bayern und der damalige Manager Hoeneß abwarben.

Sein mittlerweile viertes Engagement an der Säbener Straße sei für ihn „eine Herzensangelegenheit und ein Freundschaftsdienst“, betont der 72-Jährige. Als die Bayern Ende September mit 0:3 bei Paris SG auseinanderbrachen und Carlo Ancelotti durch zu lasches Training sowie zu riskantes Rotieren erst die Unterstützung seiner Führungsspieler und am Tag danach seinen Job verlor, funkte Hoeneß SOS – indem er auf einem Festnetzanschluss im niederrheinischen Schwalmtal anrief. Dort, in einem Bauernhaus samt Hof mit Teichlandschaft, verbrachte Heynckes mit seiner Iris glücklich die Pension. Vor viereinhalb Jahren hatte er sich im Anschluss an das historische, einzige Triple der Klubgeschichte, zurückgezogen. Die Mannschaft schenkte dem Tierliebhaber damals zum Dank einen teuren Koi-Karpfen. Er taufte ihn „Philippo“. Nach Philipp Lahm, seinem Kapitän.


Nur Übergangstrainer? Plötzlich ist Heynckes wieder mittendrin. Weil Hoeneß, seit der Rückkehr ins Präsidentenamt im November 2016 erneut der große Macher, sich durchgesetzt und den Machtkampf gegen Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge gewonnen hat, von dem man sagt, er habe die schnelle Lösung mit Dortmunds Ex-Trainer Thomas Tuchel favorisiert.

Heynckes will es noch einmal wissen. Als Übergangstrainer? Als Platzhalter? Dafür ist er sich nicht zu schade. Aber hat er wirklich nur für diese acht Monate sein Rentnerdasein unterbrochen wie er stets betont? Kann er sich länger von Frau und Hund trennen, vom geliebten Schäferhund Cando, der im Münchner Boulevard wie sein Herrchen längst eine Berühmtheit ist, mit dem so gern ausgedehnte Waldspaziergänge macht?

Lothar Matthäus, ehemals Bayern-Kapitän, würde es befürworten, bliebe Heynckes über den Mai 2018 hinaus. „Wenn er weiter Erfolg und Spaß hat, wird man mit ihm reden müssen – vielleicht sagt er dann ja. In der aktuellen Konstellation wäre es die beste Lösung. Ich sehe aktuell keinen besseren Trainer auf dem Markt.“ Weil Heynckes immer bei sich ist, seine Linie durchzieht. „Jupp arbeitet wie vor 30 Jahren, als ich unter ihm gespielt habe. Er ist offen, ehrlich, zieht konsequent sein 4-2-3-1-System durch und lässt Spieler dort spielen, wo sie stark sind.“

Erst vor sieben Wochen hatte Heynckes begonnen, das ancelottinische Chaos zu ordnen. Mit seinen „Hermanns“, den Assistenten. Peter Hermann, 65, wurde für knapp zwei Millionen Euro von Fortuna Düsseldorf weggekauft und Hermann Gerland, 63, bis Saisonende von seinem Job als Leiter des FC Bayern Campus, dem Nachwuchsleistungszentrum, abgezogen. Zusammen ist das Trainertrio 200 Jahre alt, aber Erfahrung macht den Meister. Und, es ist wieder Zug drin.


Zwölf-Stunden-Arbeitstage. Der Erfolg stellte sich schnell ein. Wachgeküsst von Heynckes, der voriges Wochenende seinen 500. Bundesliga-Sieg als Spieler und Trainer feiern durfte – im 1016. Match. Doch nicht nur Siege und Titel zählen für den Fußballlehrer, vielmehr die akribische Arbeit im Rahmen seines Zwölf-Stunden-Tages. „Ich gehe um 7.15 Uhr aus dem Hotel an die Säbener, bin abends um 20 Uhr zurück.“ In Einzelgesprächen und mit gezielten Provokationen hat Heynckes einige der Spieler, die unter seinem italienischen Vorgänger mental gelähmt und körperlich wenig austrainiert wirkten, wieder flott bekommen. Denn: „Mit Handauflegen ist es nicht getan.“ Powerpoint-Präsentationen sind ihm wichtige Hilfsmittel wie das gute, alte Kopfballpendel. Ernährungsberater dagegen hält er für „total überbewertet“.

Werte wie Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein gelten in Heynckes' Welt sehr viel. Sein Lieblingsbegriff, um den es bei der Führung der Mannschaft, dem Moderieren einer Gruppe junger Millionäre samt ihrer Eitelkeiten geht, lautet: „Gegenseitiger Respekt.“ Die Spieler folgen, schwärmen von ihm. Er strahlt Ruhe aus und kommt mit den Bossen Rummenigge und Hoeneß aus. Das ist eine bemerkenswerte Leistung.

Heynckes, im Mai 1945 als neuntes von zehn Kindern geboren und in der Nachkriegszeit unter schwierigen Bedingungen aufgewachsen, ist auch mit 72 Jahren noch topfit. Wenn er seiner Mannschaft trainingsfrei gibt, geht er in den Kraftraum, setzt sich auf den Ergometer und macht Stabilisationstraining für den Rücken. „Wenn ich 70 bin, hätte ich gern Jupps Figur“, meinte kürzlich Asket Pep Guardiola, 46. Der Mann, heute Trainer bei Manchester City, hatte im Anschluss an das Triple 2013 Heynckes' Erbe angetreten. Die Champions League konnte er mit Bayern nicht gewinnen. Nun haben sie in München die Zeit zurückgedreht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2017)

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