Warum der Krieg im Jemen vor einer Kehrtwende steht

Der Bürgerkrieg im Jemen nahm am Wochenende eine dramatische Wende, seit die Allianz zwischen den schiitischen Houthi-Rebellen und Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh zerbrochen ist.
Der Bürgerkrieg im Jemen nahm am Wochenende eine dramatische Wende, seit die Allianz zwischen den schiitischen Houthi-Rebellen und Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh zerbrochen ist. (c) APA/AFP
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Ex-Präsident Saleh kündigte die Allianz mit den Houthi-Rebellen auf. Das Zerwürfnis war absehbar.

Sanaa/Tunis. Schwarze Rauchwolken standen am Himmel. Explosionen und Geschützdonner hallten über die Dächer von Sanaa. In zahlreichen Vierteln der jemenitischen Hauptstadt lieferten sich Bewaffnete erbitterte Gefechte, während sich die Bewohner in ihren Häusern verbarrikadierten. Um den Flughafen wurde am Sonntag heftig gekämpft. Schulen und Läden blieben geschlossen, Ambulanzen heulten durch die Straßen. Nach ersten Angaben kamen mehrere Dutzend Menschen ums Leben, Hunderte wurden verletzt.

Der Bürgerkrieg im Jemen nahm am Wochenende eine dramatische Wende, seit die Allianz zwischen den schiitischen Houthi-Rebellen und Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh zerbrochen ist. Auslöser des Zerwürfnisses war am Samstag ein Auftritt Salehs im Fernsehen. In seiner Rede bot er „den Brüdern der benachbarten Staaten“ an, eine neue Seite im Verhältnis miteinander aufzuschlagen, wenn die Luftangriffe und die Blockade beendet würden. „Es ist genug, was im Jemen passiert ist“, sagte der Ex-Staatschef, den Houthi-Anführer Abdul-Malik al-Houthi daraufhin als Hochverräter beschimpfte.

Die Houthi-Bewaffneten errichteten Straßensperren und griffen den Süden von Sanaa an, wo Salehs Angehörige und viele seiner Parteigänger des Allgemeinen Volkskongresses wohnen. In der Nacht zu Sonntag erklärte das Houthi-Oberkommando, man habe den im Bau befindlichen al-Barakah-Atomreaktor in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit einer Rakete beschossen, was Abu Dhabi dementierte. Saudiarabien begrüßte Salehs Wende und erklärte, diese werde „den Jemen von dem Übel irangesteuerter Milizen befreien“. Die von den UN vermittelten Friedensgespräche liegen seit August 2016 auf Eis.

Cholera-Epidemie und Hungersnot

Der zweieinhalbjährige Krieg, der im März 2015 begann, stürzte den Jemen neben Syrien in die gegenwärtig größte humanitäre Katastrophe des Globus. Nach UN-Angaben wurden bisher 8400 Menschen getötet und 48.000 verletzt. Drei Millionen Menschen verloren ihr Dach über dem Kopf und fristen ein Dasein als Binnenflüchtlinge. Schon vor dem Krieg war die Nation am Südzipfel der arabischen Halbinsel mit seinen 27 Millionen Einwohnern ein Armenhaus und musste 90 Prozent seiner Lebensmittel importieren. Seit Kriegsbeginn verhängte die saudische Kriegskoalition, zu der neben den Vereinigten Arabischen Emiraten auch Kuwait, Bahrain, Marokko, Jordanien, Sudan, Senegal und Ägypten gehören, eine strikte Blockade der wichtigsten Häfen und Flughäfen.

Nach dem Beschuss des internationalen Flughafens von Riad durch eine Houthi-Rakete am 4. November schnitt die Golfallianz das Land für drei Wochen sogar komplett von der Außenwelt ab. Den Vereinten Nationen zufolge hungern mittlerweile zwei Drittel aller Jemeniten oder sind mangelernährt. 920.000 Menschen erkrankten in den vergangenen zwölf Monaten an Cholera, mehr als 2200 starben an der Epidemie.

Das „doppelte Spiel“ Salehs

Der spektakuläre Zerfall des Houthi-Kriegsbündnisses zeichnete sich seit Längerem ab, zumal Saleh vor seinem Sturz 2012 während seiner 33-jährigen Amtszeit insgesamt sechsmal Krieg gegen die Rebellenbewegung führte. Schon im Mai 2017 wurde das tiefe gegenseitige Misstrauen offenkundig, als Saleh der von Saudiarabien geführten Allianz zum ersten Mal Gespräche anbot und die schiitische Rebellenführung vor den Kopf stieß. Im August ließ der Ex-Präsident dann demonstrativ Zehntausende seiner Parteianhänger am 35. Jahrestag des Allgemeinen Volkskongresses in Sanaa aufmarschieren und titulierte seine Houthi-Kriegspartner in einer Rede als „bewaffnete Miliz“.

Einen Monat später antworteten die Houthis mit einer eigenen Großkundgebung, an deren Rand es die ersten Gefechte und Tote gab. Ihr Verdacht, Saleh treibe ein doppeltes Spiel, wurde weiter angefacht, als Riad im Oktober trotz Luftblockade einem russischen Ärzteteam erlaubte, nach Sanaa zu reisen, um den 75-Jährigen zu operieren.

Ob Salehs Zerwürfnis mit den Houthis dem Jemen in absehbarer Zeit Frieden bringt, ist derzeit völlig offen. Denn der Konflikt könnte sich auch zu einem Dreifrontenkrieg ausweiten zwischen den Houthis, den Streitkräften von Saleh im Norden und den mit der Golfkoalition verbündeten Regierungstruppen im Süden. Dann aber könnten die eskalierenden Straßenkämpfe die Weltkulturerbe-Metropole Sanaa bald genauso schwer zerstören wie zuvor Aden und Taiz, die beiden anderen Großstädte des Landes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2017)

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