Türkei – Vatikan: Die Bekenntnisse des Ali Agca

(c) AP (Osman Orsal)
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Am Montag kommt der Papstattentäter von 1981 frei. Er will sich in Polen niederlassen und dort ein „perfektes Christentum“ begründen.

Rom.Die Welt scheint still zu stehen an jenem sonnigen Tag im Mai. Nur Meter trennen Mehmet Ali Agca auf dem Petersplatz vom Oberhaupt der Katholiken. Wie jeden Mittwoch hält Johannes Paul II. seine Generalaudienz ab, umgeben von zehntausenden von Menschen. Der junge Türke zielt mit seiner Pistole auf den Kopf des Papstes, doch der bückt sich im entscheidenden Moment hinunter zu einem Kind. Mehrere Schüsse fallen noch, bis Camillo Cibin, Chef der vatikanischen Polizei, den sie später in Italien den Schutzengel des Papstes nennen werden, den Unbekannten überwältigt.

An diesem Tag haben die Schutzengel versagt. Papst Johannes Paul II. bricht schwer verletzt zusammen, eine Kugel hat die Bauchdecke durchschlagen.

Karol Wojtyla, der Papst aus Polen, war am 13. Mai 1981 erst gut zwei Jahre im Amt. Seine klaren Worte gegen die „gottlose Herrschaft“ der Kommunisten und seine Unterstützung der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc reizten die Ostblockmachthaber bis in den Kreml hinein gefährlich. Das liefert bis heute den Stoff für Legenden um das Attentat. Aufgeklärt wurde es nie.

Der einzige, der die ganze Wahrheit kennt, wird am Montag das Hochsicherheitsgefängnis bei Ankara verlassen, in dem er die letzten von fast 29 Jahren Haft verbracht hat. Bei „bester Gesundheit und topfit“, wie Ali Agca die Welt bereits wissen ließ. Er hat Großes vor. In Polen will er sich niederlassen und dort ein „perfektes Christentum“ begründen, wie es die katholische Kirche seiner Meinung nach in 2000 Jahren nicht geschafft hat.

Vorher aber möchte er zurückkehren nach Rom, am Grab von Johannes Paul II. beten und sich auf dem Petersplatz öffentlich taufen lassen. Der heute 52-Jährige stammt aus einer Bauernfamilie in Anatolien und ist Muslim. Im Vatikan schweigt man vorerst lieber zu den Ankündigungen. Umso gesprächiger zeigt sich Ali Agca.

In einem Brief an die britische „Sunday Times“ stellte er in Aussicht, dass er endlich aussagen wolle über seine Motive, Auftraggeber und Komplizen. Sicher sei ein Bekenntnis „mehrere Millionen Dollar Wert“, ließ er beiläufig einfließen, und angeblich stehen auch schon Fernsehsender „von Japan bis Kanada“ Schlange. Allein die Ankündigung verschaffte Agca erneut internationale Aufmerksamkeit. Zumindest die Gesetze der Vermarktung hat er verstanden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2010)

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