Gemeinden wollen deutlich mehr Geld für die Pflege

Durch die Abschaffung des Pflegeregresses droht den Gemeindekassen ein 400 Mio. Euro-Loch.
Durch die Abschaffung des Pflegeregresses droht den Gemeindekassen ein 400 Mio. Euro-Loch.(c) FABRY Clemens
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Die Pflegeregress-Abschaffung und das verpflichtende zweite Kindergartenjahr reißen große Löcher in die Gemeindekassen.

Wien. „Wer bestellt, muss auch zahlen“: Mit dieser alten Stammtischweisheit wehren sich die Gemeinden dagegen, die hohen Kosten für die knapp vor der Nationalratswahl beschlossene Abschaffung des Pflegeregresses übernehmen zu müssen. „Wir gehen davon aus, dass der Bund die Leistung erbringt, wenn er etwas verspricht“, sagte Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl am Mittwoch bei der Präsentation des Gemeindefinanzberichts 2017.

Als Abgeltung zugesagt hat der Bund 100 Mio. Euro. Und das ist nach Ansicht der Gemeindevertreter entschieden zu wenig. Nach ihren Berechnungen wird der Umstand, dass ab kommendem Jahr Privatvermögen von Pflegebedürftigen und deren Angehöriger nicht mehr zur Abdeckung der Pflegekosten herangezogen werden, Mehrkosten von 500 Mio. Euro im Jahr verursachen. Unter anderem auch deshalb, weil es zu einem verstärkten Andrang in die Pflegeheime kommen dürfte.

Zur Abdeckung der offenen 400 Mio. Euro wollen die Gemeindevertreter sofort nach dem Antritt der neuen Regierung in Verhandlungen eintreten. Sollte der Bund kein Einsehen zeigen, würden die Gemeinden nicht mehr in der Lage sein, ihre Verpflichtungen im Rahmen des Maastricht-Vertrags zu erfüllen, meinte Städtebund-Präsident Thomas Weninger.

Probleme mit der Finanzierung orten die Gemeindevertreter freilich nicht nur in der Pflege, sondern auch beim von der kommenden Regierung geplanten verpflichtenden zweiten Kindergartenjahr. Auch dessen Finanzierung werde den Finanzrahmen sprengen und gefährde die Erfüllung der Maastricht-Verpflichtungen der Gemeinden. Weninger verlangte von der Regierung eine vollständige Kompensation der „mittelbaren und unmittelbaren“ Kosten dieser Maßnahme. Riedl meinte, dass auch Elternbeiträge für dieses verpflichtende Kindergartenjahr kein Tabu sein dürfen. „In acht von neun Ländern haben wir solche Beiträge, und die Eltern sind zufrieden damit“, sagte Riedl. In so gut wie allen europäischen Ländern sei es normal, dass Eltern Beiträge für die Kindergärten leisten.

Solide Gemeindefinanzen

Mit den wirtschaftlichen Ergebnissen der Gemeinden sind deren Vertreter durchaus zufrieden: Mit einem Maastricht-Überschuss von 31 Mio. Euro hätten die Kommunen erneut einen Beitrag zur gesamtstaatlichen Konsolidierung geleistet, hieß es. Die laufende Gebarung der Gemeinden weist mit plus 1,72 Mrd. Euro den zweithöchsten Überschuss seit dem Jahr 2000 auf. Wegen der Steuerreform sei allerdings die sogenannte freie Finanzspitze (Saldo der laufenden Gebarung minus Schuldentilgung) auf 448,5 Mio. Euro zurückgegangen. Gesunken ist allerdings auch der Schuldenstand der Gemeinden, nämlich um 118,3 Mio. Euro auf 11,14 Mrd. Euro. Die Gemeinde Wien, die ja gleichzeitig Bundesland ist, ist in diesen Gemeindedaten nicht enthalten.

Sehr geholfen hat bei den guten Gemeindeergebnissen freilich auch die Nullzinspolitik der EZB: Die Gesamtbelastung durch Kreditzinsen ist seit dem Jahr 2008 von 450 Mio. Euro auf rund 150 Mio. Euro zurückgegangen. Die Durchschnittsverzinsung der Gemeindeschulden liegt nur noch bei rund 1,5 Prozent. Etwas mehr als ein Drittel aller Gemeinden zählt mit einem negativen ordentlichen Haushalt zu den „Abgangsgemeinden“, knapp zwei Drittel wirtschaften positiv. (ju)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2017)

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