Argentinien: Mauricio Macris Ritterschlag

Für Mauricio Macris Vorgängerin, Cristina Fern´andez, gibt es in Argentinien immer noch viel Zuspruch.
Für Mauricio Macris Vorgängerin, Cristina Fern´andez, gibt es in Argentinien immer noch viel Zuspruch.imago/ZUMA Press
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Der WTO-Gipfel startet in Buenos Aires. Als Anerkennung für dortige Reformen.

Buenos Aires. Es wird dieser Tage wieder Schulterklopfen geben. Seitdem Mauricio Macri vor zwei Jahren die Regierungsgeschäfte in der Casa Rosada aufgenommen hat, bekommt er aus der nördlichen Hemisphäre fast frenetischen Zuspruch. Argentiniens Präsident will, das wiederholt er stets, sein Land „in die Welt zurückführen“.

Dass an diesem Sonntag Minister aus 164 Nationen zum elften Gipfel der Welthandelsorganisation WTO ins ferne Buenos Aires reisen, ist Ausdruck dieser Wertschätzung. Ebenso die Tatsache, dass Mauricio Macri als erster Südamerikaner das Präsidium der G20-Gruppe übernehmen darf. Der Präsident könnte sich glücklich schätzen, wäre da nicht ein Detail: Bislang sind es vor allem Wolken aus warmen Worten, die über Buenos Aires abregnen. Aber Investitionen, die das Land nach jahrelangem Stillstand so dringend brauchte, bleiben aus.

Hohe Löhne, hohe Kosten

Der Grund dafür liegt in der Logik des Geschäftslebens: Produzieren in der Pampa ist zu teuer, zu umständlich, zu gefährlich. Eine Jeans kostet in Buenos Aires heute siebenmal so viel wie jenseits der Anden in Santiago de Chile. Das liegt nicht nur an den Löhnen der Arbeiter, die mehr als doppelt so hoch sind wie in anderen Ländern der Region. Die aberwitzige Differenz erklärt sich auch mit den höchsten Transportkosten des Kontinents, der massivsten Steuerbelastung ganz Amerikas, einer Inflationsrate, die immer noch die 20-Prozent-Marke übersteigt und überhöhte Finanzierungskosten verursacht. Dazu kommen exzessive Ladenmieten, abenteuerliche Gewinnmargen im Handel, eine deutlich überbewertete Währung.

Dieser toxische Kostencocktail ist Hauptgrund dafür, dass Macri es sich nicht leisten kann, in seinem Land jene Prinzipien des freien Welthandels anzuwenden, die dieser Tage in Buenos Aires gepredigt werden. Argentiniens Textilhersteller könnten nicht konkurrieren, würde Argentinien wie Chile Jeans aus China importieren.

Das soll sich ändern, das haben Macri und seine Minister mehrfach bekräftigt. Nachdem die Regierungskoalition „cambiemos“ bei den Parlamentswahlen Ende Oktober solide zulegen konnte, will sie das wahlfreie 2018 nutzen. Für eine allgemein herbeigesehnte Steuersenkung fehlt der Spielraum bei einem Budgetdefizit von wohl über sechs Prozent. Darum sollen Pensions- und Arbeitsrecht geändert werden. Vor allem will Macri eine Strategie anwenden, die er schon als Bürgermeister von Buenos Aires erfolgreich anwandte: Ausmisten.

Kampf gegen die Mafia

Anfang April ließ der gewöhnlich wenig prägnante Rhetoriker deutliche Worte fallen: „Wir können mafiöses Verhalten in Argentinien nicht länger dulden. Die Mafiosi sitzen in Gewerkschaften, Unternehmen, der Politik und der Justiz. Niemand darf hier glauben, der Herr über dieses Land und über unsere Zukunft zu sein.“ Macri war Unternehmer, Fußballboss und Bürgermeister. Er hat die Mafia selbst erlebt, erlitten und – womöglich notgedrungen – auch ernährt. Nun liegt, so berichten Medien, in seiner Schublade eine Liste mit Namen von 581 Figuren, die der Präsident am liebsten ins Weltall befördern würde, wie er in kleinem Kreis verlautbart haben soll.

Der Wahlsieg im Oktober war ein Fanal: Staatsanwälte, die lang taktiert hatten, setzten sich schlagartig in Bewegung. Minister und Funktionäre der Vorgängerregierung wurden ebenso verhaftet wie Finanzjongleure aus deren Umfeld. Ein Richter mit Millionenvermögen wurde abgesetzt, mehr als 20.000 Polizisten wurden unehrenhaft entlassen. Schwarzmarktkönige wanderten hinter Gitter, Produktfälscher, Fußballultras sowie, vorige Woche, der Vizechef des traditionsreichen Erstligisten Independiente. Verdacht: Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Wem dieser Schlag wirklich galt, wusste das Land im Nu: dem Präsidenten des Club Independiente, dem Unternehmer, Multimillionär, Clanchef Hugo Moyano, jahrzehntelang Südamerikas mächtigster Gewerkschaftsboss. Er setzte seine Macht stets ein, um den Lastwagenfahrern Vorteile zu verschaffen. Die Folge: Heute kassieren die argentinischen Chauffeure die höchsten Löhne des Kontinents, vom einst 45.000 Kilometer langen Eisenbahnnetz ist kaum ein Drittel übrig. Lang war Hugo Moyano selbst Teilhaber des Eisenbahnnetzes – und wachte über dessen fortschreitende Fäulnis.

Argentiniens Gewerkschaften sind ein Sonderfall. 40 Prozent aller Arbeitnehmer sind Mitglied in einem der etwa 3000 „sindicatos“. Diese genießen ein einzigartiges Privileg: Sie stellen ihren Mitgliedern Krankenkassen. Aber sie bieten auch Hotels, Rechtsberatung, eine Rundumversorgung. Für viele Arbeitnehmer sei das positiv, erklären Soziologen. Am gesündesten ist die Administration der Kassenbeiträge aber offenbar für die Bosse, allesamt millionenschwer, die ihre Position notfalls auch mit Gewalt verteidigen, Schusswechsel gehören zur Folklore. Ebenso der Fußball, dessen Clubs seit Jahrzehnten von gewalttätigen Fans unterwandert und ausgesaugt werden, die wiederum die Drecksarbeit für Politiker und eben Gewerkschafter ausführen. Ein brutaler und eminent teurer Klüngel.

Im September wurde Juan Pablo Medina verhaftet, der seit Anfang des Jahrhunderts sämtliche Baustellen in der Provinzhauptstadt La Plata kontrollierte. Der Ortsverbandschef der Bauarbeitergewerkschaft hatte die Spezialität, mit seinen Schlägertrupps die Fertigstellung von Gebäuden, Brücken, Spitälern und Sportstadien zu verzögern, was Projekte im Schnitt um mehr als 40 Prozent verteuerte, errechneten die Behörden. Außerdem zwang Medina den Bauunternehmern Catering und andere Services auf, die von Mitgliedern seiner Familie zu Wucherpreisen geliefert wurden. Nach Medinas Festnahme stellten die Behörden seinen Privatjet sicher, seinen Hubschrauber, mehr als 100 Autos, mehr als 20 Immobilien. Und auch er besaß einen Fußballclub.

Reiche Gewerkschaftsbosse

Überrascht waren die Argentinier weniger über solche perverse Akkumulation von Reichtum, sondern eher über die Tatsache, dass der Staat wirklich gegen Gewerkschaftsbosse vorgeht, die es bislang stets geschafft hatten, sich mit der Macht zu arrangieren. Die Medina-Verhaftung scheint Eindruck hinterlassen zu haben. Vor einer Woche stimmte das Triumvirat an der Spitze des Gewerkschaftsdachverbandes CGT tatsächlich Macris Arbeitsmarktreform zu.

Doch noch hält sich Widerstand, der angeführt wird von den Lastwagenlenkern, deren Boss heute Pablo Moyano heißt, der rabaukenhafte Sohn des Leisetreters Hugo, der mit säuselnder Stimme gewöhnlich kurze Sätze spricht wie: „Mit fünf Anrufen kann ich das Land lahmlegen.“ Nun muss Hugo Moyano abwägen. Sein Firmenimperium, teils verwaltet von der Ehefrau, teils im Namen von Strohleuten, wackelt unter gewaltigen Steuerforderungen. Schweizer Finanzbehörden registrierten schon vor Jahren ungewöhnliche Geldströme. Will er sein Imperium retten, muss sein Sohn nicht nur den Widerstand gegen die Reformen aufgeben. Die Lastwagenfahrer müssen einwilligen, die ruinösen Transportkosten zu senken.

Vorige Woche wurde auch Roberto Petrov verhaftet, Anführer der Fußball-Fans des Clubs Independiente. Petrov wehrte sich mit Schüssen gegen die Polizisten, die in seinem Landhaus später vier Millionen Pesos in bar beschlagnahmten. „El Polaco“ war der langjährige Bodyguard von Hugo Moyano, er kann sicher viel erzählen. 

AUF EINEN BLICK

Der elfte Gipfel der Welthandelsorganisation WTO startet am Sonntag in Buenos Aires. Minister aus 164 Nationen werden erwartet. Dass der Gipfel in Argentinien stattfindet, wird als Wertschätzung für die Reformbemühungen von Präsident Mauricio Macri interpretiert. Dieser hat tatsächlich schon viele Tabuthemen angepackt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2017)

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