Diplomatische Offensive gegen Trumps Alleingang

Palästinensische Jugendliche bewerfen in Bethlehem im Westjordanland israelische Soldaten unter anderem mit Steinen.
Palästinensische Jugendliche bewerfen in Bethlehem im Westjordanland israelische Soldaten unter anderem mit Steinen.APA/AFP/MUSA AL SHAER
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Die Demonstrationen gegen Jerusalem als Hauptstadt fielen kleiner aus als erwartet, dennoch gibt es mehrere Tote. Mike Pence will noch heuer in den Nahen Osten reisen.

Jerusalem. Vor dem Damaskus-Tor halten rund zwei Dutzend berittene Grenzpolizisten Wache, und in der Altstadt ist das israelische Sicherheitspersonal mit Helmen und schusssicheren Westen deutlich aufgestockt zu Fuß unterwegs. Auch am zweiten Tag nach der Erklärung von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Jerusalems anzuerkennen, bleibt die Lage in den Palästinensergebieten angespannt. Vier Tote meldete der Rote Halbmond im Gazastreifen bis Samstag Nachmittag. Wie die radikalislamische Hamas berichtet hat, handelt es sich bei zwei Männern um aktive Kämpfer der Kassam-Brigaden, ihres militärischen Flügels. Israelische Kampfjets flogen die nächtlichen Angriffe aus Vergeltung für mehrere Raketenangriffe, die die Hamas zuvor auf die Stadt Sderot abgefeuert hatte. Menschen kamen bei dem Raketenbeschuss nicht zu Schaden.

„Jerusalem war immer arabisch und wird es immer bleiben“, sagt Maslim Barakan. Der 26-jährige Palästinenser kommt zweimal pro Woche zur al-Aksa-Moschee in Jerusalems Altstadt und kehrt nach dem Gebet bei Abu Shukri ein, der nur etwa hundert Meter vom österreichischen Hospiz entfernt einen Imbiss unterhält. Am Wochenende wird es immer wieder laut vor Shukris Tür. „Mit unserer Seele und unserem Blut“ wollen die Demonstranten, die sich mit den israelischen Grenzschützern heftige Wortgefechte geben, „für Jerusalem kämpfen“. Barakan wischt trotz der Kundgebung vor der Tür unaufgeregt mit der Pita über seinen Hummusteller. „Al Kuds“, er benutzt den arabischen Namen für Jerusalem, „gehört uns, so war es immer schon.“ Ein Zusammenleben der beiden Völker schließt er aus.


„Tag des Zorns“. Ein paar Tausend Menschen versammelten sich an diversen Orten im Westjordanland, um gegen Trump und Jerusalem als israelische Hauptstadt zu demonstrieren. Das ist für einen „Tag des Zorns“, den die Hamas ausgerufen hat, oder gar eine neue Intifada nicht viel. Doch der harte Kern des palästinensischen Widerstandes steckte Reifen, US-Flaggen und Plakate mit dem Bild Trumps in Brand. In Bethlehem kam es zu Steinwürfen am militärischen Kontrollpunkt. Am Grab der Rachel versuchten Soldaten, den Protest mit Gummigeschossen aufzulösen. Parallel zu den Demonstrationen liefen die diplomatischen Anstrengungen auf Hochtouren, um die schlimmsten Folgen des Alleingangs von Trump zu verhindern. Acht Mitgliedsstaaten des UN-Sicherheitsrats hatten zu einer außerordentlichen Sitzung gerufen. Nickolay Mladenov, UN-Sonderbeauftragter für den nahöstlichen Friedensprozess, erklärte per Videoschaltung, dass Jerusalem „vermutlich das emotional am schwersten beladene Thema und der schwierigste“ von allen Konfliktpunkten ist, die im Rahmen einer Endstatuslösung geklärt werden müssen. Mladenov warnte davor, dass unilaterale Entscheidungen, die den Status von Jerusalem verändern, „die aktuellen Friedensanstrengungen massiv unterminieren“ und das „potenzielle Risiko gewaltvoller Eskalationen“ bergen.

Als „extrem bedauernswert“ betrachtet auch der palästinensische UN-Gesandte Rijad Mansur die Erklärung Trumps, die „zu einer kompletten Destabilisierung“ führen könnte. Mansur wiederholte die Position von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, für den sich Trump als Vermittler im Friedensprozess disqualifiziert habe. Abbas hat bereits angekündigt, dass er US-Vizepräsident Mike Pence, der noch vor Jahresende in den Nahen Osten reisen will, nicht treffen werde.

In Kairo trafen die Außenminister der Arabischen Liga zu Sonderberatungen zusammen. Jordanien, Ägypten und andere Staaten hatten den US-Präsidenten noch im Vorfeld seiner Jerusalem-Erklärung vor unilateralen Schritten gewarnt. Die zwei Nachbarstaaten Israels sollen eine zentrale Rolle bei neuen direkten Friedensgesprächen haben, die Trump in Kürze in die Wege leiten will. Für Israel ist die Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt „ein Meilenstein für Israel, für Frieden und für die Welt“, so der UN-Gesandte Danny Danon. Nach Aussagen von US-Außenminister Rex Tillerson könnten vor dem Umzug des diplomatischen Corps von Tel Aviv nach Jerusalem indes noch mindestens zwei Jahre vergehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2017)

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