Keine Zinserhöhung, noch nicht mal ein Wort in diese Richtung: EZB-Chef Mario Draghi will sich nicht in die Karten schauen lassen – er spricht sogar von einer Ausweitung der Geldflut.
Wien/Frankfurt/London. Und sie bewegt sich wieder nicht. Die Europäische Zentralbank hat die Leitzinsen am Donnerstag auf einem Rekordtief von 0,0 Prozent belassen. Das war die Entscheidung bei der Zinssitzung einen Tag nachdem die US-Notenbank Federal Reserve sehr wohl einen kleinen Zinsschritt nach oben gewagt hat. Die Börsen blieben trotz der anhaltenden Geldflut in der Eurozone vorsichtig und haben sich nicht aus der Deckung gewagt. Der DAX verlor bis zum Nachmittag knapp ein Prozent auf 13.021 Punkte, der Euro Stoxx 50 gab um ein halbes Prozent auf 3564 Zähler nach.
Dass es in Europa inzwischen einen kräftigen Aufschwung gibt, konnte die Währungshüter offenbar nicht beeindrucken. Die Notenbanker um EZB-Präsident Mario Draghi bekräftigten am Donnerstag sogar die Option, ihre besonders in Deutschland umstrittenen Anleihenkäufe nötigenfalls noch auszuweiten. Der Preisdruck im Euroraum sei immer noch verhalten, so Draghi. „Ein großes Ausmaß an geldpolitischer Hilfe ist daher weiterhin notwendig.“
Unterstützung für diese Position erhielt der Italiener von den hauseigenen Volkswirten. Diese sagten für 2020 lediglich eine Teuerung von 1,7 Prozent voraus. Damit würde die EZB auch in drei Jahren noch ihr Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent verfehlen. „Der Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik wird sehr vorsichtig vollzogen“, sagte Helaba-Volkswirt Ulrich Wortberg: „Hinweise auf eine baldige Leitzinserhöhung gibt es ebenfalls nicht.“
Aus Deutschland kamen abermals auch kritische Stimmen: „Die extrem expansive Kombination von Nullzinsen und Anleihekäufen ist eine Notfallmaßnahme, für welche die Rechtfertigung abhandengekommen ist“, sagte Friedrich Heinemann vom Wirtschaftsinstitut ZEW. Der Euro notierte unverändert bei 1,1836 Dollar. Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) und die Bank of England (BoE) ließen die Leitzinsen in ihren jeweiligen Ländern unverändert. Nach Jahren im Krisenmodus stellt die Schweizer Notenbank aber einen Kurswechsel in zwei bis drei Jahren in Aussicht. Aktuell gebe es keinen Anlass, an den rekordtiefen Zinsen von minus 0,75 Prozent zu rütteln, erklärte der Chef der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Thomas Jordan, am Donnerstag.
Doch nach den jüngsten Prognosen der Notenbank dürfte die Inflation in der Schweiz etwa Mitte 2020 über die Marke von zwei Prozent steigen – vorausgesetzt, die Zinsen bleiben unverändert. Und damit besteht für die Währungshüter Handlungsbedarf, denn sie streben eine Teuerungsrate von maximal zwei Prozent an. Aktuell liegt sie bei 0,8 Prozent.
Türkei hebt Zinsen an
In den USA hoben die Währungshüter dagegen wie erwartet die Zinsen an, zudem stellt die Notenbank Federal Reserve (Fed) drei weitere Anhebungen für 2018 in Aussicht. Einige Investoren zeigten sich dennoch enttäuscht darüber.
„Knackpunkt waren die Bedenken über die nach wie vor niedrige Inflation, weshalb wohl die Entscheidung zur Zinserhöhung nicht einstimmig ausfiel“, sagte Devisenspezialist Junichi Ishikawa vom Brokerhaus IG Securities. Anleger hätten damit gerechnet, dass die größte Steuerreform in den USA seit drei Jahrzehnten die Fed dazu zwinge, die Zinsen schneller zu erhöhen, sagte Marktanalyst Milan Cutkovic.
Erstmals seit acht Monaten straffte auch die Türkei ihre geldpolitischen Zügel. Anleger hatten sich aber mehr erhofft, die türkische Lira ging auf Talfahrt. In Norwegen legte die Krone dagegen zu, nachdem die dortige Notenbank für 2018 eine Zinsanhebung in Aussicht gestellt hatte. (ag./red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2017)