Brasilien: Lula will trotz Strafurteils wieder ans Ruder

Protest-Installation gegen die der Korruption schwer verdächtigen Ex-Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff.
Protest-Installation gegen die der Korruption schwer verdächtigen Ex-Präsidenten Lula da Silva und Dilma Rousseff.APA/AFP/CARL DE SOUZA
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Ein Berufungsgericht verhängte über Ex-Präsident Lula da Silva mehr als zwölf Jahre Haft wegen Korruption und Geldwäsche. Er will aber zur Präsidentschaftswahl heuer erneut antreten.

Brasilia/Buenos Aires. Für Lula war es das schlimmstmögliche Urteil. Die drei Richter des Berufungsgerichts in Porto Alegre beschränkten sich nicht darauf, die erstinstanzliche Verurteilung von Brasiliens sozialistischem Ex-Präsidenten aufrechtzuerhalten, sondern erhöhten die Strafe von neuneinhalb auf zwölf Jahre plus einen Monat.

Besonders eindrücklich ist das Urteil, da es einstimmig zustande kam. Nach brasilianischem Recht beschränkt diese Einigkeit der drei Berufungsrichter eine ganze Serie von Einspruchsmöglichkeiten.

In der Urteilsbegründung sahen es die Richter als erwiesen, dass der 72-Jährige, der bürgerlich Luiz Inácio da Silva heißt, und dessen Familie Nutznießer einer riesigen Wohnung an einem Badestrand nahe São Paulo waren. Die Richter verwarfen die Argumente der Anwälte, der Ex-Präsident (2003–2011) und Gewerkschafter habe die Wohnung nicht genutzt und stehe nicht im Grundbuch. Stattdessen folgten sie der Kronzeugenaussage des Exchefs des Baukonzerns OAS, Leo Pinheiro. Er hatte dargelegt, die Immobilie, die formell seiner Firma gehörte, habe de facto Lula gehört. OAS habe sie ihm überlassen – im Gegenzug für lukrative Bauaufträge des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras.

Populärster Präsident

Das erhöhte Strafmaß ist die Summe der Strafen für Korruption und Geldwäsche. Beider Delikte wurde Lula schuldig gesprochen. Zudem soll er in Haft genommen werden, sobald die noch vorhandenen Rechtsmittel erschöpft sind. Manche Juristen glauben, dass das bis Juni oder Juli eintreten kann. Andere sind skeptisch, denn es geht ja nicht um irgendeinen korrupten Politiker, sondern um den einst populärsten Präsidenten Brasiliens, dessen Beliebtheitswerte als Person vor dem Richterspruch bei immer noch 36 Prozent lagen. Trotz der erstinstanzlichen Verurteilung im Juli galt er als aussichtsreicher Bewerber für die Präsidentschaftswahl im Oktober und will trotz des Urteils antreten, wie er am Donnerstag sagte.

Diese Rückkehr scheint indes unmöglich, denn ein Gesetz mit dem Beinamen „weiße Weste“ verbietet die Wahlteilnahme von Personen, die in zweiter Instanz wegen Korruption verurteilt sind. Lula kennt das Gesetz: Es trägt seine Unterschrift.

Während die Börse in São Paulo am Mittwoch mit einem Zuwachs von 3,72 Prozent Lulas politisches Aus feierte und der Bovespa-Index auf ein Allzeithoch von 83.680 Punkten kletterte, gelobte der linke Leader vor Fans in São Paulo, bis zum Ende kämpfen zu wollen. Ob ihn das tatsächlich wieder in Amt, Würden und Immunität bringt, darf bezweifelt werden.

Gespenstischer Wahlkampf

Als sicher kann gelten, dass den bald 210 Millionen Brasilianern ein gespenstischer Wahlkampf bevorsteht. Denn die Spitze von Lulas Arbeiterpartei PT hat deutlich gemacht, dass es keinen Plan B gebe. Das dürfte heißen, dass Lula auf Basis des Urteils Wahlkampf machen wird, mit der These, Opfer einer Verschwörung von Establishment und Justiz zu sein.

Seit Monaten tourt er vor allem durch den armen Nordosten, der von den Sozialprogrammen seiner Regierung am meisten profitierte, und verkündete, man wolle ihn selbst strafen, da er den Armen eine Chance gegeben habe. Tatsächlich hat der PT-Gründer Zeit, der Termin für die Einschreibung der Kandidaten bei der Wahlbehörde ist der 15. August. Während Lulas Anwälte dort und beim Obersten Gerichtshof einschreiten werden, dürfte die PT versuchen, mit einer Kampagne Druck auf die Wahlbehörde zu machen. Dabei könnte die PT Alliierte kriegen: Die Parteien der regierenden Mitte-rechts-Koalition waren seltsam still, Präsident Michel Temer wollte am Rande des WWF in Davos keinen Kommentar abgeben. Zuvor sagte er, ihm wäre es lieber gewesen, die Wähler würden über Lula urteilen.

Korruptionssumpf total

Tatsächlich wäre die Aussicht auf ein Ende von Lulas Karriere für viele Politiker der rechten Mitte bedrohlicher als eine neue Präsidentschaft des Linken. Denn er würde dann sicher alles tun, den Ermittlungseifer der Justiz zu bremsen, und damit wohl auch in Korruptionshinsicht belastete Parteifreunde Temers retten. Nun muss Brasilias Polit-Establishment fürchten, dass im Oktober vielleicht ein Kandidat siegt, der nicht ins Schmiergeldsystem eingebunden war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2018)

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