Bescheiden bei den Wahlzielen, selbstsicher in der Kampagne: Die Taktik der niederösterreichischen Volkspartei zeigte Wirkung. Die Partei jubelte am Sonntag über die absolute Mehrheit im Landtag.
St. Pölten. Johanna Mikl-Leitner wäre wohl zu lang gewesen, aber zum Glück hat die Landeshauptfrau einen Spitznamen: „Hanni“ halten die Funktionäre in großen Kartonbuchstaben in die Höhe. Und die Menge, hier im Cityhotel in St. Pölten, liefert die passenden Sprechchöre dazu, als die „Hanni“ einzieht: Mit beiden Daumen in der Höhe, zum Takt der Musik, tanzt Mikl-Leitner um acht Uhr abends regelrecht in die Wahlparty der ÖVP-Niederösterreich.
„Das Wir, das Miteinander hat heute gewonnen“, ruft sie von der Bühne aus – und die Menge jubelt. „Ich verspüre sehr viel Dankbarkeit für den Vertrauensvorschuss der Wähler.“ In den letzten Wochen habe man schon gemerkt: „Die Stimmung ist eine gute.“ Aber heute, mit einer absoluten Mehrheit, „ist es ein überwältigendes Ergebnis“. Das Ziel, die stärkste Landespartei zu werden, „haben wir bei Weitem erreicht“. Die Arbeit beginne am Montag – „aber der Wahlsonntag wird jetzt gefeiert.“ Die Funktionäre springen in die Höhe, liegen sich in den Armen, schreien und schlagen die Fäuste aufeinander.
Erst Innenministerin, dann erste Landeshauptfrau Niederösterreichs, zuletzt erste Spitzenkandidatin der Landes-ÖVP - nun offiziell gewählt. Johanna Mikl-Leitner hat den ersten Platz, den die ÖVP in Niederösterreich geradezu traditionell inne hat, verteidigt. Sogar die absolute Mehrheit kann Mikl-Leitner mit 49,46 Prozent der Stimmen halten. Ein Traum-Ergebnis, das nicht einmal offizielles Wahlziel war (das waren 45 Prozent) - wenn auch insgeheim darauf gehofft wurde. Dennoch, ihr "erstes Mal" - im Wahlkampf versuchte sie die Sympathie von Erstwählern zu gewinnen, indem sie betonte, dass es für beide die erste Wahl sei - führte zum Sieg. APA/HERBERT PFARRHOFER
"In einigen Tagen habe ich wohl den schwierigsten Job dieser Republik hinter mir und die schönste Aufgabe in Österreich vor mir", sagte Mikl-Leitner im April 2016 zu ihrem Wechsel aus Wien zurück nach Niederösterreich. Die neue, nicht vom Bauernbund kommende ÖVP-Landeschefin durfte sich bei ihrer Kür über 98,5 Prozent der Delegiertenstimmen freuen. Zur Landeshauptfrau wurde sie in einer Sondersitzung des Landtags mit 52 von 56 Stimmen gewählt. (c) APA
Zuvor war sie so etwas wie der Vorposten Prölls in Wien gewesen. Von ihm ins Innenressort dirigiert, vertrat die Innenministerin in der Tradition Ernst Stassers und Liese Prokops nicht nur im eigenen Ressort die Interessen ihres Bundeslands. Praktisch war dabei, dass sich Mikl-Leitner unter Michael Spindelegger auch noch die ÖAAB-Obmannschaft schnappte und ihre Machtbasis so nicht unwesentlich erweiterte. (c) APA
In den Monaten vor ihrer Rückkehr nach Niederösterreich war Mikl-Leitner fast ausschließlich mit der Flüchtlingskrise beschäftigt. Monatelang kämpfte sie mit den Ländern verbissen um jeden Quartier-Platz und nutzte die allgemeine Terror-Angst geschickt aus, um viel Geld und Personal für die Exekutive herauszuschlagen. Ihr hartes Law&Order-Image kontrastierte dabei stets stark mit Mikl-Leitners Auftreten abseits der medialen Aufmerksamkeit. Sie, die mit einer Zwillingsschwester aufwuchs, gehört zu den leutseligsten und allüren-ärmsten Politikerinnen des Landes. (c) APA
Diese Talente der studierten Wirtschaftspädagogin aus Hollabrunn erkannte man in Niderösterreichs ÖVP früh. Der damalige Landesparteisekretär Ernst Strasser engagierte sie als Marketingleiterin, wirklich auffallen konnte sie erstmals mit der Organisation der "Initiative für Erwin Pröll" bei der Landtagswahl 1993. Fünf Jahre später überantwortete ihr der Landeshauptmann die Geschäftsführung der Landespartei. Seither ist Mikl-Leitner aus dem Machtzirkel der niederösterreichischen Schwarzen nicht mehr wegzudenken, auch wenn sie bei Wirtschafts- und Bauernbund seit jeher nicht nur Freunde hat. Nach einem kurzen Intermezzo im Nationalrat holte Pröll sie 2003 zurück in die Heimat, wo sie als Landesrätin unter anderem für Europa- und Familienagenden, zuletzt auch für Soziales zuständig war. (c) APA
Ein erster Schritt in den Bund war der Posten der Vize-Parteiobfrau unter Josef Pröll. Als der damals neue ÖVP-Chef Michael Spindelegger sie ins Innenministerium rief, war die verheiratete Mutter von zwei Töchtern, die mit ihrer Familie in Klosterneuburg lebt, für Wien bereit. Ihr vielleicht größter Erfolg war da die Volksbefragung zur Wehrpflicht, für deren Erhalt sie die ÖVP an die vorderste Front schickte.
Johanna Mikl-Leitner, geboren 9.2.1964 in Hollabrunn, verheiratet, zwei Töchter, abgeschlossenes Studium an der Wiener Wirtschaftsuniversität (Mag. rer. soc. oec.), ab 1989 Lehrerin an der Handelsakademie Laa/Thaya, ab 1990 Unternehmensberaterin. Politischer Werdegang: 1995 Marketingleiterin der Volkspartei Niederösterreich, 1998 ÖVP-Landesgeschäftsführerin, 1999-2003 Nationalratsabgeordnete, 2003-2011 Landesrätin in Niederösterreich, 2011-2016 Innenministerin und Obfrau des ÖAAB, seit 2016 Chefin der ÖVP Niederösterreich und Landeshauptfrau. (c) Presse/ Michaela Seidler
Mikl-Leitner: Tiefgestapelt und trotzdem ''absolut'' gewonnen
Schon eineinhalb Stunden zuvor war Stimmung gemacht und gefeiert worden, dieses Mal für den Einzug von Sebastian Kurz: Als der ÖVP-Chef eintrifft, jubelt der Moderator von der Bühne runter: „Miteinander, Miteinander!“ Die Menge antwortet: „Niederösterreich!“ Mit einem lang gezogenen „Ohh“-Ruf machen sie noch die Welle. „Du hast das Unglaubliche geschafft und die Absolute Verteidigt – das ist beeindruckend“, wird Kurz später zu Mikl-Leitner sagen.
Taktische Bescheidenheit
Absolute oder nicht? Das war seit Wochen die Frage hier in Niederösterreich. Laut gestellt hatte sie die ÖVP aber nie, sondern immer nur hinter vorgehaltener Hand. „Schauen Sie sich um: Heutzutage sind absolute Mehrheiten nicht mehr zu erreichen“, sagte Mikl-Leitner selbst noch in den Tagen vor dem Wahlsonntag. 45 Prozent der Stimmen wären laut Mikl-Leitner jedenfalls „sensationell“, wie sie immer betonte.
Das sagte sie natürlich nicht aus Bescheidenheit, sondern aus taktischen Gründen: Sollten die Stimmen am Ende doch nicht reichen, müsste man sich so keine Niederlage vorwerfen lassen. Würde das Ziel am Ende aber doch erreicht, könnte die Partei einen Überraschungssieg feiern. So ging man auf Nummer sicher – bis zum Wahlsonntag eben. Eine strikt organisierte Partei wie die niederösterreichische ÖVP verzeiht (sich) keine Fehler.
Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat nach der ersten Hochrechnung tief durchgeatmet und festgestellt, alles erst "realisieren" zu müssen. "Ich empfinde in dieser Stunde der Freude ganz tiefe Dankbarkeit für den Vertrauensvorschuss", den ihr die Landsleute gegeben haben, lautete ihre erste Reaktion. Das sei eine Bestätigung des Kurses und "ein wunderschönes Gefühl". (c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
Mit Mikl-Leitner feierte auch Vorgänger Erwin Pröll. Er gratulierte seiner Nachfolgerin "aus tiefstem Herzen und mit ganz, ganz großer Freude". Er sprach von einem bravourösen und fehlerfreien Wahlkampf, den die Landeshauptfrau geführt habe. Prölls Resümee: "Niederösterreich bleibt weiter auf einem guten Weg." (c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
SPÖ-Spitzenkandidat Franz Schnabl sieht seine Partei durch das Wahlergebnis "gestärkt". Das Resultat für die SPÖ sei ein Zeichen, dass die Bevölkerung eine sichtbare sozialdemokratische Handschrift im Land wolle, meinte Schnabl. In den kommenden fünf Jahren wolle man rote Zeichen in Sachen Gesundheit, Kinderbetreuung oder Verkehrspolitik setzen. (c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
Zufrieden zeigte sich FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer. "Mit einer Mandatsverdoppleung sind wir alles andere als unglücklich." Faktum sei, die ÖVP hat die Absolute geholt, "das ist nun mal so", meinte er. Man habe in den vergangenen Wochen eine "Kampagne" gegen die Blauen erlebt, spielte er auf die NS-Lieder-Affäre an. Und betonte neuerlich: Man freue sich über das große Plus. Ein "starkes Signal" sah auch FPÖ-Landesparteisekretär Christian Hafenecker in der Verdoppelung der blauen Mandate. Angesichts der beispiellosen Medienkampagne der vergangenen Tage könne man über das Ergebnis "sehr glücklich" sein. Hafenecker spielte damit auf die NS-Liedgut-Affäre rund um Spitzenkandidat Udo Landbauer an. (c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
Zufriedenheit herrschte bei den Grünen, die zuletzt aus dem Nationalrat in Wien flogen. Spitzenkandidatin Helga Krismer twitterte: "Niemand glaubte mir, dass es wieder ÖVP Absolute gibt und daher Kontrolle von den Grünen notwendig ist. #danke #ltw18". Der Grüne Landesgeschäftsführer Hikmet Arslan zeigte sich "sehr glücklich" und sprach von einem wichtigen Neustart - nicht nur im Land, sondern auch in Österreich. (c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
"Es ist eine große Freude für uns dass wir vom Stand weg in den Landtag einziehen können", sagte Neos-Spitzenkandidatin Indra Collini und sprach von einem "steinigen Weg" bis dahin." Dass es nun zwei Oppositionsparteien - Grüne und Pinke - geben wird, sieht sie positiv: "Je mehr Kontrolle, desto besser." Der Neos-Abgeordnete Nikolaus Scherak sah eine "beeindruckende Leistung" beim ersten Antreten der Pinken in Niederösterreich mit Spitzenkandidatin Indra Collini (im Bild mit Neos-Chef Matthias Strolz). Die Neos hätten im Wahlkampf auf Freiheit und Kontrolle gesetzt, mit diesem Mandat sei man nun ausgestattet. (c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) meldete sich auf Twitter zu Wort und gratulierte Mikl-Leitner. Das Ergebnis zeige, dass der Weg der Volkspartei, "der neue Stil und das Miteinander von den Menschen honoriert werden." Das Ergebnis sei auch Rückenwind für die ÖVP auf Bundesebene. (c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
SPÖ-Chef Christian Kern gratulierte Franz Schnabl per Aussendung. „Die SPÖ hat ihr Potential gut ausgeschöpft. Das ist ein Aufwärtstrend, der zeigt, dass wir eine starke Sozialdemokratie in Österreich haben. Wir haben es geschafft, in Niederösterreich Nummer zwei zu bleiben und die FPÖ auf Platz 3 zu verweisen. Die FPÖ ist somit deutlich unter ihren Erwartungen geblieben“, betont Kern (c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
Für Bundesparteichef Heinz-Christian Strache hat die FPÖ bei der niederösterreichischen Landtagswahl "ein hervorragendes Ergebnis erreicht". "Unter unglaublich schwierigen Bedingungen" habe die FPÖ "die Mandats- und Stimmenzahl verdoppelt", schrieb der Vizekanzler auf Facebook. Damit habe die FPÖ in Niederösterreich das zweitbeste Ergebnis in der Geschichte der Landtagswahlen erreicht. Das Wahlergebnis ist für Strache aber auch Beleg dafür, "dass die gute Arbeit in der Bundesregierung von den Bürgern positiv angenommen wird". (c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
Kärntens ÖVP-Obmann Christian Benger zeigte sich am Sonntag angesichts der Hochrechnungen in einer ersten Reaktion hocherfreut über das Abschneiden der Volkspartei bei der Landtagswahl in Niederösterreich. "Hanni, die Kämpferin, ist Siegerin. Das zeigt: Kämpfen!" und: "Gratulation, ein großartiges Ergebnis - und das beim ersten Antreten." Zu den übrigen Parteien wollte Benger nichts sagen. (c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER)
Reaktionen: ''Hanni, die Kämpferin, ist Siegerin''
Und noch viel weniger hätte sich Mikl-Leitner selbst einen groben Schnitzer verziehen. Immerhin arbeitete sie seit Jahren auf diesen Wahlkampf, auf diesen Wahlsonntag hin. Schon lang stand fest, dass sie ihren politischen Ziehvater Erwin Pröll in Niederösterreich beerben sollte. Es war der erste Urnengang seit rund einem Vierteljahrhundert, der ohne den langjährigen Landeshauptmann stattfand. Dementsprechend groß war auch der Druck auf Prölls Nachfolgerin. Als es vergangenen April tatsächlich so weit war, und Pröll offiziell zurücktrat, war die Wahlkampfmaschinerie schon voll im Gange. Und Mikl-Leitner vollzog einen Imagewechsel.
Die Jahre als harte, kantige Innenministerin in Wien sollten in Niederösterreich nämlich vergessen werden. In der Regierung noch für ihre markigen Sprüche und harten Ansagen bekannt, wurde Mikl-Leitner betont sanfter. Statt der Asylagenden übernahm sie in Niederösterreich lieber Kultur und Gemeinden. So musste sie sich nicht mehr in erster Linie mit harten Themen konfrontieren. Sondern konnte das Bild der Landesmutter weiter ausbauen. Mikl-Leitner wiederholte fast mantraartig, dass sie in Niederösterreich auf ein neues, harmonisches Miteinander setze. Auch mit den politischen Mitbewerbern.
Kurze Kampagne
Und auch das gehörte zu einem Großteil zur Taktik. Denn hinter der Forderung eines fairen, kurzen Wahlkampf, den die ÖVP verkündete, steckte auch eine beinharte Strategie: Nachdem der Wahltag festgelegt wurde, blieb den anderen Parteien wenig Zeit, den Bekanntheitsgrad ihrer Spitzenkandidaten zu erhöhen. Die SPÖ kämpfte mit Franz Schnabl und auffälligen Plakaten um Aufmerksamkeit. Die FPÖ mit Udo Landbauer mit Angriffen gegen die Landeshauptfrau.
Am Ende wurde der Freiheitliche aber bekannter, als es der Partei wohl lieb war: Immerhin forderte nur zwei Tage vor dem Urnengang Bundespräsident Alexander Van der Bellen Landbauers Rücktritt (siehe Artikel rechts). Und Mikl-Leitner verkündete daraufhin, kein Arbeitsübereinkommen mit ihm schließen zu wollen. Das war einer der wenigen Momente, in dem sie scharf gegen den Mitbewerber vorging. Die Causa dürfte ihr am Wahltag zusätzlich geholfen haben.
20.000 Wahlhelfer
Die harmonische Landeshauptfrau, dieses Image funktionierte vor allem wegen der stramm durchgeplanten Kampagne. Immerhin investierte die Niederösterreichische ÖVP ganze sechs Millionen Euro in den Wahlkampf. So bescheiden das Wahlziel offiziell war, so selbstsicher zog die Partei in den Wahlkampf: Die ÖVP kündigte an, jeden Haushalt im Bundesland besuchen zu wollen. 20.000 Funktionäre warben insgesamt für die Partei. Einer davon war übrigens auch Pröll selbst, der im Wahlkampf eingesetzt wurde. Er gratulierte Mikl-Leitner „aus tiefstem Herzen und mit ganz, ganz großer Freude“. Er sprach von einem bravourösen und fehlerfreien Wahlkampf“. Er selbst hatte bei seiner ersten Wahl im Jahr 1993 übrigens noch 44,2 Prozent erreicht – bei seiner letzten im Jahr 2013 noch 50,8 Prozent.
Die ÖVP holt in Niederösterreich wieder die Absolute, die FPÖ verdoppelt sich fast. Die SPÖ verbessert sich nur leicht – für die Parteiführung nicht die einzige Ernüchterung an diesem Wochenende. Eine Analyse.