"Axolotl Roadkill": Das Berliner Wunder

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Das Debütbuch der 17-jährigen Helene Hegemann gilt als "Coming-of-age-Roman der Nullerjahre". Denn "Axolotl Roadkill" macht nervös. Sex und Drogen haben damit nur am Rande zu tun.

Eigentlich klingt es einfach: Sie ist jung, prominent und schreibt – sehr gut – über harten Sex und Drogen. Insofern:Natürlich bekommt die erst 17-jährige Berlinerin Helene Hegemann derzeit jede Menge Aufmerksamkeit.

Erklärt das aber, warum ihr Debüt „Axolotl Roadkill“ dem deutschen Feuilleton als „Coming-of-age-Roman der Nullerjahre“ gilt (es wird bereits mit dem „Fänger im Roggen“ des kürzlich verstorbenen J. D. Salinger verglichen) und sie selbst – schon jetzt – als „Sensation des Literaturjahres“? Tut es nicht. Tatsächlich findet man den Grund weniger im Rezensenten-Loblied selbst als im Gewese um den richtigen Ton der Berichte über den Jungstar (nicht zu gönnerhaft, nicht zu mitfühlend, nicht zu abgeklärt und nur ja kein Neid). Kurz: Das Mädchen mit dem dunkelblonden Haarvorhang vor dem Gesicht macht nervös. Weil sie den Arrivierten das Gefühl gibt, irgendwie alles zu durchschauen – sie, sich selbst, sogar das eigene Durchschauen. Und das nicht erst seit heute.

Denn mit ihren 17 Jahren hat Hegemann bereits ein Theaterstück geschrieben, einen Film gemacht, den Max-Ophüls-Preis bekommen. (Falls Sie kurz beeindruckt sein wollen, ist das der richtige Moment). Und sie ist so etwas wie eine tragische Bohème-Prominenz, deren Arbeiten um die eigene Biografie kreisen. Auch „Axolotl Roadkill“. Wie die Protagonistin Mifti zog Helene nach dem Tod ihrer süchtigen Mutter zu ihrem Vater, einem Vertreter der „linksresignativen Kulturszene“, nach Berlin (Carl Hegemann ist legendärer früherer Chefdramaturg der Volksbühne). Und wie Helene ist Mifti ein Wunderkind, das massiv Schule schwänzt. Im realen Leben stand deshalb die Polizei vor der Tür, drohte mit Psychiatrie.

Womit die Parallelen, wie die Autorin genervt betont, aber enden. Gut so. Denn die 16-jährige Miftie, erst von der Mutter brutal misshandelt, dann vom Vater ignoriert, lebt den permanenten Exzess. Ihr Ziel: „Jeden klaren Moment mit Ketamin oder dem Satz: ,Fünfzig Whisky Soda bitte!‘ beseitigen.“ Mit der Schwester, der „Marketingbitch“, und dem Bruder, der in einer „Offtheaterscheiße“ festsitzt, teilt Mifti eine große Wohnung – wenn sie nicht in variablen Rauschzuständen durch „Ich will ficken“-Partys wankt. Bei einem dieser Ausflüge ersteht sie auch den titelgebenden Axolotl, einen Lurch, der nie über das Larvenstadium hinauskommt, also nie erwachsen wird.

Jeder Satz ein Treffer. Der Axolotl ist eine fast süße Metapher in einer Sprachwelt, die nichts Nettes hat. Eher ist sie ein Sperrfeuer aus Slogans, Philosophie, Zynismus, Jugendsprech und Erwachsenenfloskeln. Jeder Satz ein Treffer. „Wenn man permanent damit konfrontiert wird, dass man nur ernst genommen wird, indem man anfängt so zu sprechen wie die Erwachsenen und sich ihre Verhaltensweisen und Weltsicht anzueignen, ist das wohl notwendig“, erklärt Mifti.

Die (wie die Autorin) grausam selbstreflexiv ist. Mifti hat sich durch alle Metaebenen gehantelt, sie verhandelt vor dem Leser ihr Leben auf Augenhöhe. In diesem Sinn ist das dem Roman vorangestellte Motto von Pro7 zu verstehen: „We love to entertain you“. Jeder liebt kaputte Teenager – wer weiß das besser als kaputte Teenager? Die durchschaut haben, dass es für sie keine Hilfe gibt: Weder mit Moral noch mit Psychologie ist dem Leben beizukommen. Wobei diese Erkenntnis nichts bringt: „Auch wenn man seine Situation analysieren kann ..., ist man dennoch sein Leben lang behindert.“

Im Buch führt so viel Durchblick letztlich zu Panik. Mifti fühlt sich als „Roadkill“, als angefahrenes Tier, das zwar noch lebt, aber hoffnungslos. Als Gegenwehr bleibt nur Verweigerung. Mifti lehnt alles ab: die „Normalität“, in der kein Platz für sie ist, das System Familie, das ihr die Kindheit gestohlen hat, die Schule, die spießigen Exzesse der Berliner Bohème, der sie einen Zerrspiegel vorhält, der eine selbstverliebte Erwachsenenwelt zeigt. Ein moralischer Heile-Familie-Appell ist dabei nicht inkludiert: Mifti ist „wild“ aufgewachsen und will „wild“ bleiben. Denn alles ist besser als „prolliges Funktionieren“.

Für die echte Helene freilich funktioniert es prächtig. Sie hat ihr Alternativleben gefunden, lebt in einer „kapitalismuskompatiblen Kommune“, hat Erfolg. Birgit Minichmayr hat den Roman als Hörbuch aufgenommen, auf youTube läuft eine clevere Marketing-Video-Kampagne. Darin rezitieren Volksschüler aus Miftis erstem Heroinrausch. Mal sehen, ob wir in vier, fünf Jahren in einem Debütroman von einem von ihnen darüber lesen. Und: irgendjemand nervös?

Helene Hegemann: „Axolotl Roadkill“, Ullstein Verlag, 208Seiten, 15,4 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2010)

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