Die scharfe Korrektur an den US-Börsen war abzusehen. Der Grund: hoch bewertete Aktien. Der Auslöser: Ängste, dass Inflation und Zinsen kräftiger steigen als erwartet - und die Macht der Algorithmen.
Die US-Wirtschaft läuft auf Hochtouren. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem historischen Tiefststand. Die Löhne steigen kräftiger als erwartet. Ein Grund zu Freude und Optimismus, oder? Nein, ein Grund zur Panik - zumindest für Aktieninvestoren. Denn das verdächtig laute Brummen des Wirtschaftsmotors weckte in der Vorwoche eine schon lange nicht mehr gekannte Sorge: die Angst, dass die Inflation unerwartet kräftig anspringt - und damit die US-Notenbank Fed gezwungen ist, die Leitzinsen schneller, stärker und öfter anzuheben als für heuer geplant.
Die "Goldlöckchen" sind ab
Im vergangenen Jahr waren die Investoren noch von einem "Goldlöckchen"-Szenario ausgegangen, der aus ihrer Sicht besten aller Welten: Die Wirtschaft wächst stark, die Unternehmen schreiben schöne Gewinne, aber die Inflation bleibt verhalten und die Finanzierungskosten niedrig. Die Folge: Aktien sind viel attraktiver als Anleihen, immer mehr Geld fließt an die Börsen, die Kurse steigen - allein 2017 legte der S&P 500 um 19 Prozent zu.
Zwar war allen schon seit der Zinswende von Ende 2016 klar, dass die Fed die Zinsen schrittweise erhöht. Aber doch in einem gemächlichen Tempo mit kleinen, gut absehbaren Schritten. Denn das Wachstumspotenzial der US-Wirtschaft ist nicht mehr so hoch wie früher, weil die Gesellschaft altert und die Produktivität nur wenig zulegt. Das dämpft auch mitten in einer Hochkonjunktur die Gefahr einer Überhitzung und damit von starker Inflation.
Tatsächlich schien die Entwicklung der Teuerungsrate den Goldlöckchen-Optimisten recht zu geben: Sie stieg auch im zweiten Halbjahr 2017 nicht über den Wunschwert von zwei Prozent.
Warnsignale schon im Jänner
Aber im Jänner wurde den Investoren die Sache dann langsam doch unheimlich. Die US-Steuersenkung im Ausmaß von 1,5 Billionen Dollar fällt mitten in eine starke Wachstumsphase. Die Renditen für langfristige Anleihen stiegen zuletzt deutlich an, auf über 2,6 Prozent - ein Warnsignal, dass Inflation und Zinsen kräftiger anziehen könnten als erwartet.
Beides fürchtet der Aktienanleger ungefähr so wie der Teufel das Weihwasser und der Vampir den Knoblauch. Denn dann erhöhen sich die Finanzierungskosten der Unternehmen, was besonders bei hoch verschuldeten Firmen die Gewinne drückt. Zudem werden Anleihen relativ zu Aktien attraktiver. Das Finanzkapital zieht sich von den Börsen zurück - die Kurse fallen.
Vier statt drei Zinserhöhungen?
Deshalb legten die Aktienmärkte schon in der Vorwoche den Rückwärtsgang an. Und dann kam da am Freitag noch so eine unerwünschte Jubelmeldung: Die Löhne der US-Arbeitnehmer steigen stärker als erwartet. Die scheidende Fed-Chefin Janet Yellen deutete zudem an, dass die Geldpolitik einen Zahn restriktiver werden könnte.
Das war das Signal zur allgemeinen Panik. Die Bären haben Blut geleckt. Das neue Szenario: Statt drei Zinserhöhungen, wie schon lange geplant und eingepreist, gibt es heuer wohl vier. Und es nicht mehr mit Sicherheit gesagt, dass bei einem Niveau von drei Prozent endgültig Schluss ist (zurzeit liegt das Band noch zwischen 1,25 und 1,5 Prozent).
Die Computer sind schuld
Ein Grund, Aktien zu verkaufen. Und hier setzen die Algorithmen ein. Viele Computerprogramme haben automatische Stop-Loss-Orders eingebaut - sprich: der Investor verkauft, wenn die anderen auch verkaufen. Dazu kommen ausgefeilte Trendfolgenstrategien von Hedgefonds, die eilig auf weiter fallende Kurse wetten - eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Vor allem der kurze Flash Crash am Montagnachmittag lässt sich damit gut erklären: Nach nur leichten Verlusten am Vormittag stürzte die Kurskurve plötzlich kurz ins Bodenlose - und erholte sich dann, weil manche Abenteurer schon wieder einen guten Einstiegszeitpunkt witterten.
Aber die Bewertung der US-Aktien ist im historischen Vergleich immer noch sehr hoch. Was nicht verwundert: Die extrem lockere Geldpolitik der Fed und aller anderen großen Zentralbanken hat die Anleger über Jahre an die Aktienmärkte und damit ins Risiko getrieben. Jetzt, nach einer langen Phase trügerischer Ruhe, wird dieses Risiko schlagend.
(gau)