In München suchen ab heute Hunderte internationale Spitzenpolitiker nach Auswegen aus den internationalen Konflikten, unter ihnen Bundeskanzler Kurz. Die Welt stehe am Rande eines großen zwischenstaatlichen Konflikts, warnt der Chef der Konferenz, Wolfgang Ischinger.
München/Wien. Wenn es etwas Stabiles gibt in der offenbar immer instabileren Weltordnung, dann ist es die Münchner Sicherheitskonferenz. Zum 54. Mal tritt sie ab dem heutigen Freitag im Hotel Bayerischer Hof zusammen. Mehr als 600 Politiker und Vertreter internationaler Organisationen haben sich angesagt – auch solche, die einander derzeit anderswo lieber nicht sehen wollen. Denn das macht den Charme der Münchner Tagung aus: Der Bayerische Hof ist so groß, so verwinkelt und so abgeschirmt vor neugierigen Augen und Ohren, dass sich dort auch Erzgegner mehr oder weniger zufällig zusammensetzen können.
Auch Sebastian Kurz wird wieder teilnehmen, heuer zum ersten Mal als Bundeskanzler. Treffen mit CSU-Chef Horst Seehofer sind ebenso geplant wie mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und dem Brexit-Chefverhandler der EU, Michel Barnier. Die Begegnung mit Andrej Babiš fällt ins Wasser; der tschechische Premier musste wegen Grippe absagen. Am Samstag wird Kurz eine Europarede halten und anschließend mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie Édouard Philippe und Mateusz Morawiecki, den Premiers Frankreichs und Polens, diskutieren. Auch ein Fernsehauftritt wird nicht fehlen, freitagabends zum Thema „Wohin steuert Europa?“ im Bayerischen Rundfunk.
"Wir haben noch nie seit dem Ende der Sowjetunion eine so hohe Gefahr einer militärischen Konfrontation von Großmächten gehabt", sagte der deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger (71) als Leiter der Sicherheitskonferenz am Freitag im Deutschlandfunk. Das Misstrauen zwischen den Militärführungen in Moskau und Washington sei abgrundtief. "Es könnte gar nicht schlimmer sein."
"Zum Abgrund wieder zurück?"
„Im vergangenen Jahr ist die Welt zu nah an einen großen zwischenstaatlichen Konflikt gerückt. Die rhetorischen Eskalationen einzelner Entscheidungsträger sind sehr besorgniserregend. Ob auf der koreanischen Halbinsel, im Golf oder in Osteuropa – wenn in aufgeladenen Situationen jemand eine falsche Entscheidung trifft, könnte das schnell eine gefährliche Kettenreaktion in Gang setzen.“ Besser also, will Ischinger sagen, man trifft sich rechtzeitig zum Reden.
1963 war die „Wehrkundetagung“ nicht zuletzt aus diesem Grund entstanden: Da hatte die Welt kurz zuvor während der Kuba-Krise in den Abgrund gestarrt. „Zum Abgrund und wieder zurück?“ lautet denn auch der Titel des heurigen Sicherheitsberichts.
Nahost und Brexit im Zentrum
Eröffnen wird Deutschlands CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. SPD-Außenminister Sigmar Gabriel wird auch dabei sein, er revidierte seine Absage; möglicherweise ist es seine Münchner Abschiedsvorstellung. Prominent vertreten ist der Nahe Osten, die wohl gefährlichste Weltkrisenregion: In München angekündigt haben sich die Regierungschefs aus Israel und dem Irak, Benjamin Netanjahu und Haider al-Abadi; hinzu kommen die Außenminister Saudiarabiens und Irans, Adel al-Jubeir und Mohammed Javad Zarif, dazu die Außenminister der Türkei und Russlands, Mevlüt Çavuşoğlu und Sergej Lawrow, sowie der Verteidigungsminister der USA, James Mattis.
Geheimdienste sind mit Spitzenvertretern dabei, genauso die Europäische und die Afrikanische Union, die Nato und die UNO, der Internationale Währungsfonds und andere Organisationen. Im Kreis der 75 Außen- und Verteidigungsminister sowie der mehr als zwanzig Staats- und Regierungschefs lässt sich auch die britische Premierministerin, Theresa May, sehen. Sie will in München mit Außenminister Boris Johnson, Handelsminister Liam Fox und Brexit-Minister David Davis darlegen, wie sich die britische Regierung den Abschied aus der EU vorstellt. (p.k./cu)
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