Die künftige Regierungslinie des designierten Wiener Bürgermeisters wird nun immer deutlicher sichtbarer. Und sie bringt einige radikale Änderungen.
Wien. Wie wird die Linie der ersten rot-grünen Koalition auf Landesebene unter dem künftigen Wiener Bürgermeister Michael Ludwig aussehen? Was wird sich ändern? Und wie wird der neue Wiener SPÖ-Chef, der am 24. Mai Michael Häupl als Wiener Bürgermeister nachfolgt, die wichtigste rote Landespartei von Bundesparteichef Christian Kern reformieren? Seit Mittwoch gibt es darauf erste konkrete Antworten.
Schutzfunktion für Wiener
Als Stadtrat hat Michael Ludwig bei der Wohnungsvergabe (im geförderten Wohnbau) den „Wien-Bonus“ eingeführt. Wer lange in Wien lebt, wird (gegenüber neu Zugezogenen) auf der Warteliste vorgereiht – unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Dieses System soll auf andere Bereiche ausgeweitet werden. „Ich habe eine Schutzfunktion für die hier lebende Bevölkerung“, erklärte Ludwig, der diese Maßnahme mit einer Supermarktkasse verglich: Dort müsse man sich immer hinten anstellen.
Auf welche Bereiche dieser Wien-Bonus ausgeweitet wird, wird noch geprüft. Bei der roten Klausur am 15. und 16. März soll das aber diskutiert werden – ebenso wie die roten Kernthemen Arbeit, Soziales, Bildung, Sicherheit und Integration.
Skeptisch ist Ludwig bei einem Wien-Bonus im Bereich der Mindestsicherung. Er fordert eine österreichweit einheitliche Lösung.
Umgang mit Türkis-Blau
Unter Häupl lautet das Motto: Wien ist das rote Bollwerk gegen Türkis-Blau. In der Praxis bedeutete das eine ideologisch getragene, kompromisslos-harte Linie mit Frontalangriffen auf Türkis-Blau zu jeder Zeit, bei jedem Thema. Unter Michael Ludwig, der als Pragmatiker gilt, wird diese Linie adaptiert: „Der Nachteil bei einem Bollwerk ist, dass man weder rein noch raus kommt.“ Was Ludwig damit meint: Wo es inhaltliche Übereinstimmungen gibt, und wenn es im Interesse von Wien sei, werde mit der Bundesregierung geredet, um etwas für die Wiener Bevölkerung zu bewegen. „Wir werden uns aber laut zu Wort melden, wenn es gegen die Interessen von Wien geht“, so Ludwig. Damit meinte er finanzielle Kürzungen beim AMS, die Arbeitslose treffen, sowie die Themen Bildung, Arbeit und Soziales.
Eine Koalition mit der FPÖ in Wien schloss Ludwig am Mittwoch nochmals dezidiert aus.
Achse mit dem Burgenland
Dass Ludwig mit Hans Niessl bzw. dessen designiertem Nachfolger Hans Peter Doskozil sehr gut kann, ist bekannt. Am Mittwoch wurde diese Achse nochmals betont – nicht nur mit Ludwigs ausdrücklicher Wertschätzung für Doskozil: Raphael Sternfeld (40), Vizebüroleiter von Doskozil, wurde von Ludwig zum Kommunikationschef der SPÖ Wien ernannt – was dem linken Flügel nicht besonders gefallen wird, der Doskozil wegen Rot-Blau im Burgenland sehr kritisch sieht. Allerdings ist Sternfeld stark in Wien verankert. In der Josefstadt, einem urban-bürgerlichen Innenstadtbezirk ist er Vize-Parteichef der Bezirks-SPÖ, er hat Politikwissenschaft studiert mit einem Schwerpunkt in der Antisemitismus-Forschung, er war auch außenpolitischer Berater von Werner Faymann. Die Bestellung war kein Zufall, muss sich Ludwig als Landeshauptmann doch nun auch als Europapolitiker positionieren – womit er am Mittwoch schon begann.
Probleme klar ansprechen
Die Zeit, Probleme in Wien schön zu reden, ist unter Ludwig vorbei. SPÖ-Parteimanagerin Barbara Novak will ein Kopftuchverbot in Schulen und Kindergärten diskutieren – aus feministischen Gründen; und dem Zweifel, dass sechsjährige Mädchen aus religiösen Gründen freiwillig ein Kopftuch tragen. Ludwig stellte auch klar: Probleme z. B. bei der Mindestsicherung etc. müssten angesprochen und gelöst werden.
Aufwertung der Bezirke
Die Bezirke werden aufgewertet und erhalten in der SPÖ deutlich mehr Gewicht. Es soll eine Befragung der Bevölkerung geben, woraus Konzepte für SPÖ-Wahlkämpfe in Bezirken und Grätzeln entwickelt werden. Auf dieser Basis will die SPÖ bei den Bezirksvertretungswahlen 2020 Simmering und die Leopoldstadt wieder zurückerobern.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2018)