Die Gratwanderung des Kanzlers im Kreml

Sebastian Kurz und Wladimir Putin unterhielten sich bei ihrer Unterredung im Kreml großteils auf Deutsch. Der Kanzler sprach über Politik und die Ukraine, der Gastgeber lieber über die Wirtschaft und Gasdeals.
Sebastian Kurz und Wladimir Putin unterhielten sich bei ihrer Unterredung im Kreml großteils auf Deutsch. Der Kanzler sprach über Politik und die Ukraine, der Gastgeber lieber über die Wirtschaft und Gasdeals.BUNDESKANZLERAMT/DRAGAN TATIC
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Sebastian Kurz erinnert Putin im Kreml an dessen weltpolitische Verantwortung. Die Message kommt teilweise an. Doch noch lieber reden die Russen über Energiedeals.

Moskau. Bekanntlich lässt Wladimir Putin seine Gäste gern warten. Dass er Bundeskanzler Sebastian Kurz gestern im Kreml mit nur fünf Minuten Verspätung empfing, darf daher getrost als Zeichen der Wertschätzung gelten. Putin und Kurz verschwanden zudem zu einem 45-minütigen Vieraugengespräch in deutscher Sprache, bevor ein Arbeitsmittagessen in großer Runde abgehalten wurde.

Zum Mahl hatte der Kreml Schwergewichte aus Politik und vor allem Wirtschaft geladen: Neben dem russischen Vizepremier Dmitrij Kosak, dem Minister für Wirtschaftsentwicklung, Maxim Oreschkin und Energieminister Alexander Nowak waren auch Gasprom-Chef Alexej Miller und Rosnef-Boss Igor Setschin anwesend, der sich aber nicht zu Wort meldete. Wie gewohnt suchen die Russen die Zusammenarbeit mit anderen Staaten am liebsten über konkrete Projekte – etwa beim geplanten Ausbau der Breitspurbahn bis nach Wien oder dem laut Putin „rein kommerziellen“ Pipelineprojekt North Stream 2, zu dem sich auch Kurz klar positiv äußerte. Die österreichische Bundesregierung unterstütze das Projekt, weil es seine Diversifikation der Energierouten bedeute, sagte er. Bedenken einzelner Staaten müssten aber noch ausgeräumt werden. Die Ukraine findet North Stream 2 weniger lustig; denn ihr Energiekorridor wird künftig umgangen.

Putin betonte in der Pressekonferenz einmal mehr, dass Russland ein „verlässlicher Lieferant von Gas“ sei. Er blickte damit seinem Besuch in Wien im Juni entgegen, zur Feier des 50-jährigen Bestehens des Gasliefervertrags zwischen Österreich und der Sowjetunion. Ein Wirtschaftsforum soll die geplante Visite in Wien abrunden, bei der Putin, sollte er im März wiedergewählt werden, wohl auch von Bundespräsident Alexander van der Bellen empfangen wird.

In Moskau sprachen Kurz und Putin über die Einrichtung eines österreichisch-russischen Zivilgesellschaftsforums, ähnlich dem deutsch-russischen Petersburger Dialog. Und er fragte bei Moskau um Unterstützung in Migrationsfragen an. Offenbar soll es dabei um die Abschiebung von Tschetschenen gehen.

Kurz wollte mit seinem Besuch aber auch gemeinsame politische Interessen mit Moskau ausloten. Es sei notwendig, auch in schwierigen Zeiten den Dialog mit Russland fortzusetzen, erklärte er vor seinem Treffen im Kreml. Russland als Partner in Krisenherden – eine knifflige Aufgabe, wenn man an Syrien und die Ukraine denkt.

Wien „steht bereit“ für Einsatz

In der Ukraine könnte laut Kurz die von Moskau und Kiew gewünschte UN-Blauhelmtruppe so ein Ansatzpunkt sein. Freilich sind sich die Verhandler der USA und Russlands in vielen Details noch uneinig – etwa, was Ausstattung, Einsatzgebiet und genaue Funktion der UN-Soldaten anlangt. Putin ließ durchblicken, dass er für eine Minimalvariante zu haben sei. Kurz befürwortet eine mögliche Beteiligung an der Mission. Wien „stehe bereit“, das habe er auch innerhalb der Bundesregierung besprochen.

Derzeit ist Österreich mit 1000 Soldaten in verschiedenen Friedenseinsätzen aktiv; die Zahl soll dem Vernehmen nach nicht erhöht werden, also wird – sollte es soweit kommen – eine Neuverteilung der Kräfte vorgenommen werden müssen. In einem vor Kurzem veröffentlichten internationalen Bericht war von einer möglichen Truppenstärke von bis zu 20.000 Mann die Rede gewesen. Zur Durchsetzung eines nachhaltigen Waffenstillstandes und der Erfüllung des Minsker Abkommens bekannten sich in Moskau sowohl Kurz als auch Putin. Doch bekanntlich funktioniert Minsk nur auf dem Papier.

Auch bezüglich des Bürgerkriegslandes Syrien wollte der ÖVP-Politiker die EU-Position im Kreml vertreten. Er hatte sich vorab mit europäischen Partnern abgesprochen. „Moskau hat hier eine Verantwortung, dass das Blutvergießen beendet wird“, sagte Kurz, der an Russland als „Supermacht mit großem Einfluss auf das Assad-Regime“ appellierte. Benötigt würden humanitäre Korridore im Kriegsgebiet. Der Kreml-Chef reagierte hier eher unwillig – und sprach vom Einfluss der „Terroristen“ in den umkämpften Zonen.

Treffen mit Menschenrechtlern

Der Kanzler traf abseits des offiziellen Programms auch Vertreter der russischen Zivilgesellschaft in der österreichischen Botschaft. Der Kreml wusste Bescheid. „Ich halte nicht nur in Österreich Kontakt mit der Zivilgesellschaft, sondern auch im Ausland“, erklärte Kurz. Unter den Gesprächspartnern waren Lew Gudkow vom unabhängigen Umfrageinstitut Lewada-Zentrum, die Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa von der Organisation Memorial und Roman Udot von der Wahlbeobachter-NGO Golos.

Kurz' Besuch sei für den Kreml sehr wichtig, resümiert der Analyst des Moskauer Carnegie-Zentrums, Andrej Kolesnikow. „Putin benötigt im Westen Partner, potenzielle Verhandler von europäischer Seite“, sagt Kolesnikow. „Vielleicht wird er so einen Partner in Kurz finden.“ Die Länge der Gespräche im Kreml spricht jedenfalls dafür.

AUF EINEN BLICK

Anlässlich eines Arbeitsbesuchs traf Bundeskanzler Sebastian Kurz den russischen Präsidenten Wladimir Putin und andere hohe Beamte am Mittwoch im Kreml. Neben Bilateralem wollte Kurz mit Putin über Lösungen für Konfliktherde wie die Ukraine und Syrien sprechen. Mit Moskau solle der Dialog aufrechterhalten werden, man müsse thematische Überschneidungen suchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2018)

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