Eselwandern: "Die sind nicht stur, die sind charakterfest"

Sie gehen und rasten, wenn sie wollen.
Sie gehen und rasten, wenn sie wollen.Imago
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Halifax und Hokusei begleiten die Wanderer durch die Botanik der Oststeiermark. Während Letztere sich drinnen laben, warten die zwei Esel brav vor der Konditorei. Und weiter geht's durch den Naturpark Pöllauer Tal.

Leider hat Halifax alias Faxe nie etwas von Franz Schubert gehört, sonst würde der langohrige Lausbub bestimmt nicht wie angewurzelt mitten in einem Bächlein helle stehen bleiben und ohne jede Eil nach mehr oder weniger launischen Forellen Ausschau halten. Unbeweglich. Wie eine Statue. Ohne das geringste Verlangen, seine Hufe endlich Richtung trockenes Gestade zu bewegen. Da helfen kein Ziehen, kein Zerren, weder kulinarische Bestechungsversuche in Form von Äpfeln oder Karotten noch gutes Zureden, da hilft nur noch Geduld. Eselsgeduld. Oder Taktik. Denn wenn Hokusei (kurz: Kokos), der zweite Wanderesel, auf der Suche nach botanischen Imbissen am Wegesrand auf einmal die Nase vorn hat, während man selbst sich nur nasse Hufe holt, dann ist das – zumindest aus der Sicht eines leicht verfressenen Huftiers – durchaus ein Antriebsreiz. Und es funktioniert. Faxe hat auf einmal das Nach- beziehungsweise ein Einsehen und setzt sich erneut in Bewegung.

Dass ihre Esel stur wären, lässt Carmen Dreier-Zwetti, Biologin, Naturparkführerin, Pflanzenexpertin und Eseltreiberin, aber nicht gelten. „Die sind nicht stur, die sind charakterfest“, stellt sie klar, „und die erkennen ganz genau, wie ernst man den am anderen Ende vom Strick nehmen muss.“ Die beiden Langohren erweisen sich auf der ausgedehnten Wanderung durch den Rabenwald bis zur Hirschbirnbaumallee aber nicht nur als gute Menschenkenner, sondern auch als perfekte Lehrmeister der Entschleunigung. Ein idealer Weg, um nicht nur der Natur, sondern auch sich selbst näher zu kommen. Während Carmen Dreier-Zwetti die kleine Gruppe immer wieder auf seltene Pflanzen, Besonderheiten des Waldes, architektonische Auffälligkeiten oder einen lustigen Grünspecht hinweist, wirken die Wanderer zunehmend entspannter. Man plaudert über das Leben und die Liebe, den Zustand der Welt und die Lage der Nation, legt einen Zwischenstopp auf der Streuobstwiese ein, lässt die Seele baumeln und die Gedanken schweifen.

Küken für die Fastenzeit

Wer will, kann Faxe oder Kokos auch zwischen den Ohren kraulen, das haben sie besonders gern. Dann geht es weiter, einen lauschigen Pfad hinan bis zum Öllerbauern, wo die Herbergswirtin Mia den Jausentisch bereits fürstlich mit Selbstgebackenem gedeckt hat. Und wo die Pöllauer Hirschbirne natürlich nicht fehlen darf. Als Schnaps oder auch in Form eines Hirschbirndirndls. Der ursteirische Sämling sieht zwar ein wenig nach Bratbirne aus, aber die frostharten Mostbirnen machen auch als Kletzen, Essig oder Marmelade gute Figur.

Dermaßen gestärkt tritt man den Rückweg an. Bis zur letzten kulinarischen Etappe geht's gemütlich und gemächlich bergab, während man von Dreier-Zwetti, die mit ihrem Mann selbst einen Bio-Obsthof betreibt, noch viel Wissenswertes über den Naturpark und dessen hirschbirnige Geschichte erfährt. Manche der Bäume, die es fast nur noch in diesem Tal gibt, haben bereits 200 Jahre auf den Ästen.

Ein kurzer Einkehrschwung bei der Ölmühle Fandler – und zum Abschluss gibt's frisch geschlüpfte Küken von der Konditorei und Lebzelterei Ebner. Wie bitte? Wer will, kann hier nämlich nicht nur schlemmen (vor allem die Steirertorte zählt zum kalorischen Pflichtprogramm), sondern auch Hand anlegen und Fingerspitzengefühl beim Verzieren der Lebkuchen erproben: Die legendären „Piperln“ (Küken) zum Reinbeißen gibt allerdings nur in der Fastenzeit, dafür nach großväterlicher Rezeptur und mit echter Schoko- und Buttercreme. Die Esel müssen draußen bleiben. Aber das ist den zehn Jahre alten Bengeln egal. Das frische Gras im Schlosspark ist ihnen ohnedies lieber.

Pöllau in der Oststeiermark, idyllisch und ein wenig verborgen zwischen Apfelland und Joglland gelegen, ist nicht nur für seine Hirschbirnen und den Naturpark bekannt. Vor allem kennt man das wunderbare Augustiner-Chorherrenstift, eine der größten barocken Kirchen des Landes – der steirische Petersdom.

Optik, Zeit und Strahlung

Umgeben von einer prächtigen botanischen Anlage mit Wurzelschaugarten verbirgt sich im ersten Stock des Schlosses eine weitere Preziosität: das erste europäische Zentrum für Physikgeschichte, verbunden mit einer Victor-Franz-Hess-Forschungs- und Gedenkstätte. Allein schon die altehrwürdigen Räumlichkeiten von Echophysics lohnen einen Rundgang. Die Exponate, Erklärungen und Einsichten interessieren selbst absolut unbedarfte Gemüter, was diese Materie betrifft. Von der Urgeschichte des Universums über das Prinzip der Radioaktivität bis zur kosmischen Strahlung versucht die Ausstellung zu erhellen. Dazu vermittelt sie Erkenntnisse über Optik, Zeitmessung und Mineralien. Initiator und Koordinator der Ausstellung „Strahlung – der ausgesetzte Mensch“, Peter Maria Schuster, hat keine Mühe gescheut.

Blicke werden in den Kosmos geworfen, und in die Anfangszeit der Wissenschaft. Kurios ist das Bizykel des Ludwig Boltzmann, faszinierend sind die Mechanismen der Antikythera, ein astronomischer und kalendarischer „Computer“ aus hellenistischer Zeit, beschämend die Tatsache, dass der steirische Nobelpreisträger Victor Franz Hess (1936 für die Entdeckung der kosmischen Strahlung) die Geldsumme des Preises in Deutsche Reichsschatzscheine umtauschen musste, um eine Ausreisebewilligung zu erlangen. Hess wurde aus politischen Gründen entlassen. Ein dunkles Stück Geschichte, neben dem die Strahlung etwas verblasst. Aber vermutlich ist Echophysiks gerade deshalb so ergreifend, weil nicht nur die Physik, sondern auch die Zeit mit ihren Menschen im Mittelpunkt steht. Und das bewegt dann doch.

DURCH DIE OSTSTEIRISCHE BOTANIK

Eselwandern: Carmen Dreier-Zwetti veranstaltet Eselwanderungen zu jeder Jahreszeit. Termin nach Wunsch.

Biologischer Obstbau Wieden 171 in Pöllau, Tel.: 03335/4683, 0676/3600571

Einkehren: Café-Konditorei Lebzelterei, Ebner Lamberggasse 31 in Pöllau, www.steirertorte.at

Beim Öllerbauern, Martin Heil, Rabenwald 97 in Pöllau, www.oellerbauer.at

Anschauen: Ölmühle Fandler, Prätis 1 in Pöllau, www.fandler.at

Museum Echophysics (European Centre for the History of Physics), Ausstellung im Schloss Pöllau, www.echophysics.org

Naturpark Pöllauer Tal: Rund um die Gemeinde Pöllau. Hübsche Landschaft mit Hügeln und Mischwäldern (Hirschbirnwanderweg, ab Schlosspark Pöllau, 4,5 Stunden), gute Vermittlung durch Naturpark-Führer und Ort, wo die Pöllauer Hirschbirne g. U. wächst. www.naturpark-poellauertal.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2018)

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