Missbrauch durch Priester: "Ärger als durch Vater"

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Experten orten Mängel bei der Prävention. Schon die Ausbildung zum Priester ziele auf Abschirmung ab. Aber ein völliges Abschotten von allen potenziellen Versuchungen sei unmöglich.

WIEN. Erhöhen Heiratsverbot für Priester, Sexualmoral und Strukturen die Wahrscheinlichkeit sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche? Der deutsche Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann bejaht diese Frage. „Die repressive Sexualmoral führt zu allen möglichen Verformungen der Triebentwicklung“, meinte er zur Deutschen Presseagentur.

Gesicherte Zahlen gibt es aber nicht. Der Psychiater Max Friedrich, der zwischen 2005 und 2009 die Ombudsstelle der Erzdiözese Wien für Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche geleitet hat, meint zur „Presse“: „Dass es in der Kirche mehr sexuellen Missbrauch gibt als sonst in der Gesellschaft, ist fantasiert, nicht wissenschaftlich gesichert.“

Ähnlich die Psychotherapeutin Rotraud Perner, die nach eigenen Angaben Opfer wie Täter behandelt hat. Sie weist aber auf einen anderen Umstand hin: „Sexueller Missbrauch in der Kirche ist das Ärgste, was passieren kann.“ Ärger als Missbrauch durch den eigenen Vater? Perner: „Das ist ärger als Missbrauch durch den eigenen Vater. Gegen den eigenen Vater kann man revoltieren, den kann man beschimpfen, den kann man verlassen. Aber bei einem Priester kommt noch eine andere Dimension der Hilflosigkeit dazu: Da ist Gott, der durch den Priester personifiziert gesehen wird.“ Sie konstatiert Verbesserungen der katholischen Kirche im Umgang mit den Opern, weniger mit den Tätern.

Gezügelte Sexualität

Was Prävention betrifft, anerkenne sie zwar das Bemühen, aber es fehle vieles. Perner: „Bei der Sexualität sind wir mitten im Kern mit dem Umgang von Energie, von Schöpfungskraft.“ Priestern fehle aber das Wissen darüber und über den Umgang mit Sexualität. Perner: „Ich nenne das das Dornröschensymptom. Man kann nicht alle Spindeln entfernen, um zu verhindern, dass sich Dornröschen sticht. Man muss sie den Umgang mit Spindeln lehren, ohne sich an ihnen zu stechen.“

Schon die Ausbildung zum Priester ziele auf Abschirmung ab. „Die jungen Männer werden zur Einsamkeit hin erzogen.“ Aber ein völliges Abschotten von allen potenziellen Versuchungen sei unmöglich. Die Psychoanalytikerin führt ein anderes Beispiel an: „Um ein Pferd zügeln zu können, darf man es auch nicht aushungern und einbetonieren. Um ein Pferd zu zügeln, muss ich alle Formen des Umgangs mit ihm kennen.“ Dasselbe gelte für die Zügelung der Sexualität. Priester müssten den Umgang für sich und auch für die Gemeindemitglieder, für die sie Verantwortung tragen, lernen. Sie habe selbst schon Priester als Sexualberater ausgebildet, es fehle jedoch eine kontinuierliche Qualifizierung.

Wie schwer der katholischen Kirche der Umgang mit dem Thema sexueller Missbrauch fällt, zeigt die Handhabe der Weitergabe von Opferzahlen. Vergangene Woche hatte „Die Presse“ in allen Diözesen (nur in Feldkirch blieb der Versuch erfolglos) die Zahl für 2009 erhoben. Nach Angaben der Leiter der Ombudsstellen oder der Pressesprecher ergab sich eine Gesamtzahl von acht Opfern. Gestern hieß es plötzlich seitens der Erzdiözese Wien zur APA, es habe 2009 österreichweit 17 Fälle gegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2010)

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