ÖBB-Sanierung: Die Voodoo-Mathematiker

Zahlenakrobatik: Die Voodoo-Mathematiker
Zahlenakrobatik: Die Voodoo-Mathematiker(c) Die Presse (Fabry Clemens)
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Die ÖBB sind nicht mehr sanierbar: Wie die Österreicher über den Zustand der Staatsfinanzen getäuscht werden, und warum eine echte ÖBB-Reform nur ein Konkurs mit anschließender Neugründung wäre.

Ein Freund aus Jugendtagen hat sich einmal als Gastwirt versucht und dabei blöderweise Umsatz mit Gewinn verwechselt: Die gefüllte Kellnerbrieftasche wurde einfach in der Disco und im Designerladen geleert. Den traurigen Ausgang der Geschichte kann sich jeder auch ohne abgeschlossenes Betriebswirtschaftsstudium ausmalen.

Der Finanzminister und seine europäischen Amtskollegen gehen allerdings nach einem ähnlichen Kellnerbrieftaschen-Prinzip vor: Sie verklickern der Bevölkerung Budgetdefizite und Staatsschuldenstände immer in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), also zur gesamten Wirtschaftsleistung des Landes. Was sie nicht dazusagen: Das BIP können sie ebenso wenig zur Schuldentilgung heranziehen wie der Gastwirt-Freund den Umsatz. Das heißt: Sie können schon. Aber die Pleite ist dann vorprogrammiert. Was ihnen an Finanzspielraum zur Verfügung steht, sind die Staatseinnahmen.

Wenn wir die Sache also seriös betrachten, sieht die Lage der heimischen Staatsfinanzen folgendermaßen aus: Die Staatseinnahmen laut Maastricht (Bund, Länder, Gemeinden) lagen im Vorjahr bei 133 Milliarden Euro, die Ausgaben bei 142,9 Milliarden Euro – ergibt ein Defizit von 9,9 Milliarden Euro. Die Schulden des Gesamtstaates liegen derzeit bei 190 Milliarden Euro.

Wenn wir jetzt seriös rechnen, Schulden und Defizit also in Relation zu den erzielten Steuereinnahmen setzen, dann kommen wir auf eine Staatsschuldenquote von 145 Prozent und auf eine Defizitquote von 13,3 Prozent. Das sieht schon wesentlich grimmiger aus als die offiziellen 3,5 Prozent Defizit und 66,5 Prozent Staatsschuldenquote. Kommt aber der Wahrheit deutlich näher. Dass es ringsum noch wesentlich größere Schuldenhallodris gibt, ist nur ein schwacher Trost.

Die ganze Wahrheit ist das aber immer noch nicht – denn in dieser Darstellung fehlen noch die ausgegliederten Schulden. Also die Verbindlichkeiten, die ÖBB, Landesholdings und andere außerbudgetär eingehen, aber selbst weder zurückzahlen können noch wollen. Die dürften die wahre Schuldenquote (bezogen auf die Einnahmen) wohl in die Nähe der 200 Prozent bringen. Der Staat ist jetzt also in der Situation eines Familienvaters, der mit dem Zweifachen seines Jahreseinkommens in der Kreide steht und trotzdem weiter um mehr als zehn Prozent mehr verbraucht, als er einnimmt. Da würde jeder Schuldnerberater den dringenden Tipp geben, sich irgendetwas zu überlegen. Und, wenn nötig, bei den ganz großen Brocken anzufangen.

Einer dieser ganz großen Brocken ist die Bundesbahn. Und hier ist der Reformeifer überschaubar. Die Infrastrukturministerin blickt (wie die meisten ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger) offenbar nicht durch. (Das hoffen wir, denn wenn sie den Karren bewusst so an die Wand fahren würde, dann würde das wohl an fahrlässige Krida grenzen.) Und im Übrigen will es sich niemand mit dieser Bauwirtschafts- und Politgünstlingsversorgungsanstalt mit übermächtiger Gewerkschaft anlegen.

Dabei sehen die Fakten dort ziemlich finster aus:

• Die Bahn braucht (je nach Betrachtungsweise) zwischen fünf und sieben Mrd. Euro Zuschuss im Jahr, um damit gerade einmal zwei Mrd. Euro echten Marktumsatz zu erwirtschaften. Das heißt: Sie verschlingt Jahr für Jahr zwischen 3,8 und 5,2 Prozent der gesamten Staatseinnahmen.

• Der Schuldenstand der Bahn liegt derzeit bei 16 Milliarden Euro. Das sind zwölf Prozent der gesamten Staatseinnahmen. Dieser Schuldenstand wird laut Plan demnächst stark steigen. Und er wird de facto zu 100 Prozent (und nicht, wie behauptet, zu 70 Prozent) vom Bund beglichen werden.

• Eisenbahner gehen im Schnitt mit 52 in Pension, weshalb den 40.000 Aktiven rund 70.000 Pensionisten gegenüberstehen. Für die wendet der Staat (Pensionsbeiträge der Eisenbahner schon abgezogen) 1,7 Milliarden Euro auf. Im Schnitt schießt der Steuerzahler damit jedem ÖBB-Pensionisten 24.200 (!) Euro im Jahr zu. Das sind (auf zwölf Monate gerechnet, aber mehr hat das Jahr nun einmal nicht) rund 2000 Euro pro Monat.

Die Bereitschaft, auf politischer Ebene an dieser größten Geldvernichtungsmaschine des Landes irgendetwas zu reparieren, tendiert gegen null. Was nachvollziehbar ist: Ein Unternehmen mit derartigen Kennzahlen ist nicht sanierbar. Da hilft nur der Konkurs und die anschließende Neugründung eines Verkehrsunternehmens. Statt einer Wünsch-dir-was-Maschine für Gewerkschaft und Bauwirtschaft, die nicht vorhandene Milliarden sinnlos in Berglöchern verbohrt.


josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18. Februar 2010)

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