Nobelpreis scheitert an unwürdigen Richtern

Das Spiel ist abgesagt, im nächsten Jahr gibt es ein Doppel: Seit 1943 ist kein Literaturnobelpreis ausgefallen. Zwei Preisträger gab es zuletzt 1974.
Das Spiel ist abgesagt, im nächsten Jahr gibt es ein Doppel: Seit 1943 ist kein Literaturnobelpreis ausgefallen. Zwei Preisträger gab es zuletzt 1974.APA/AFP/JONATHAN NACKSTRAND
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Im Missbrauchsskandal hat die Schwedische Akademie radikal entschieden: Der Literaturnobelpreis wird 2018 nicht vergeben, im Jahr 2019 dafür zweifach. Zuletzt fiel er vor einem Dreivierteljahrhundert aus – im Krieg.

Eigentlich dachte man bei der Regel an unwürdige Autoren, nicht unwürdige Preisrichter: „Wenn keine der in Betracht gezogenen Arbeiten die im ersten Absatz angegebene Bedeutung aufweist, ist das Preisgeld bis zum folgenden Jahr zu reservieren“, steht in den Statuten für die Vergabe des Literaturnobelpreises. Zuletzt ließ man diesen vor 75 Jahren, im Zweiten Weltkrieg, ausfallen, nun ist es wieder so weit: radikale Konsequenz aus einer radikalen Krise.

Fieberhaft hatte die Schwedische Akademie in den vergangenen Tagen darüber debattiert, ob man den Literaturnobelpreis diesen Herbst vergeben solle oder nicht. Der Sex- und Korruptionsskandal, in den die traditionsreiche Institution verwickelt ist, hat sie in ihre bisher wohl tiefste Krise und erbitterte innere Zwistigkeiten gestürzt – nur noch gut die Hälfte der 18 Mitglieder sind noch aktiv. Während die einen zuletzt in den Medien beschwichtigten, dass der Nobelpreis nicht gefährdet sei, und zu business as usual aufriefen, befürworteten andere öffentlich das Gegenteil: Zu sehr habe der Ruf der Akademie gelitten, sie müsse zuerst aus der Krise finden. Diese Fraktion hat sich nun durchgesetzt.

Der Preis werde 2018 ausgesetzt, dafür werde es 2019 zwei Preise geben, verkündete das Jury-Gremium am Freitag in Stockholm. „Wir halten es für nötig, Zeit zu investieren, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Akademie wieder herzustellen, bevor der nächste Preisträger verkündet werden kann“, begründete der Interims-Vorsitzende Anders Olsson die Entscheidung. Die bisherige Vorsitzende Sara Danius, die 2015 mit Reformzielen ihr Amt übernommen hatte, hatte im April den Vorsitz zurückgelegt.

Das schwarze „19.“ Schaf der Akademie

Was ist bisher passiert? Im November vergangen Jahres berichtete die Zeitung „Dagens Nyheter“, dass der Ehemann des Akademiemitglieds Katarina Frostenson jahrelang Frauen oder Töchter von Akademiemitgliedern und Mitarbeiterinnen belästigt oder missbraucht habe – 18 Frauen beschuldigten ihn. Die Akademie beendete daraufhin alle Beziehungen zu Arnault (der sich gern als inoffizielles „19. Akademie-Mitglied“ bezeichnete). Zwar stellte die Staatsanwaltschaft in Stockholm ihre Ermittlungen mangels Beweisen ein, eine interne Untersuchung der Akademie bestätigte jedoch „unakzeptables Verhalten in Form von unerwünschter Intimität“; davon hätten die Akademie-Mitglieder allerdings nichts geahnt. Außerdem gab es fragwürdige Geldtransaktionen: So soll Arnaults Kulturverein, bei dem auch Frostenson Teilhaberin war, Geld von der Akademie erhalten haben, über das Frostenson mitentschied. Dazu kommt, dass das Paar Namen von Nobelpreisträgern vorab ausgeplaudert haben soll.

Nicht nur, dass der Skandal das Ansehen der Akademie und damit des Literaturnobelpreises geschädigt hat: In der Frage, wie mit der Causa umgegangen werden sollte, sind die Mitglieder tief im Zwist. Als das Gremium im April in einer Abstimmung Katarina Frostenson mehrheitlich das Vertrauen aussprach, warfen drei Mitglieder aus Protest das Handtuch. In einem Kompromissversuch zogen sich dann sowohl die Vorsitzende Sara Danius als auch Frostenson zurück.

Derart dezimiert, war die Akademie nicht mehr beschlussfähig (zwölf Mitglieder müssen mindestens abstimmen). Und da ein Rücktritt von der lebenslangen Mitgliedschaft bislang nicht möglich ist, konnten die im Streik befindlichen Mitglieder nicht ersetzt werden. Schließlich schaltete sich Ende April der schwedische König ein, dessen Vorgänger Gustav II. Ende des 18. Jahrhunderts die Akademie gegründet hatte. Rücktritte sollen durch eine Reform der Statuten ermöglicht werden. Das Machtwort des Königs hätte die Akademie wieder funktionsfähig machen sollen – doch die Entscheidung von Freitag zeigt: Die Krise reicht zu tief.

Sieben Ausfälle, vier doppelte Vergaben

Unerhört ist es freilich nicht, dass es in einem Jahr keinen Preis gibt. 110 Mal ist er seit 1901 vergeben worden, sieben Mal nicht: im ersten und im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs, 1935 sowie während des Zweiten Weltkriegs (von 1940 bis 1943). Anders als diesmal wurde er in all diesen Fällen nicht im nächsten Jahr „nachgeholt“.

Außerdem gab es vier Jahre mit zwei Preisträgern. 1904 wurden Frédéric Mistral und José Echegaray gekürt, 1917 Karl Gjellerup und Henrik Pontoppidan, 1966 Shmuel Agnon und Nelly Sachs – als erste deutschsprachige Dichterin und erst sechste Frau in der Geschichte des Preises. 1974 schließlich teilten sich Eyvind Johnson und Harry Martinson das Preisgeld.

Nicht zu vergessen jene Jahre, in denen der Preis zwar vergeben, aber nicht angenommen wurde. Der für seinen Roman „Doktor Schiwago“ weltberühmte russische Autor Boris Pasternak wies ihn auf Druck des Sowjetregimes zurück, Jean-Paul Sartre tat es aus freien Stücken. („Jeder Preis macht abhängig“). PS: Elf Jahre später fragte er nach, ob er das Preisgeld doch noch bekommen könnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2018)

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