Ausgefallene Studienfächer: Kein Artenschutz

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Die Ökonomisierung der Hochschulen könnte traditionelle Studiengänge gefährden.

So schön und trotzdem Mauerblümchen: Manche Masterstudien werden „Orchideenfächer“ genannt. Was liebevoll klingt, ist meist weniger zärtlich gemeint. Zumindest wenn Finanzminister von ihnen und den Kosten sprechen, die sie verursachen. Japanologie, Judaistik, Orientalistik, Indogermanistik und viele andere – ausgefallen erscheinen sie alle, obwohl viele länger zur Bildungslandschaft gehören als einige überlaufene Disziplinen. Die Öffentlichkeit registriert sie kaum, die Personal-Recruiter genauso wenig, befürchten Experten. Trotzdem sind sie nicht wegzudenken aus dem Portfolio der Studiengänge, obwohl sie nur enge fachliche Nischen besetzen – oder auch gerade deswegen.

„Orchideenfächer“ – das Wort hört Artur Mettinger, Vizerektor der Universität Wien, nicht so gern. Lieber ist ihm: „Fächer mit geringen Studierendenzahlen“. Egal, wie sie heißen, erhalten will er sie in jedem Fall. Viele hätten ja auch lange Tradition an den Universitäten, etwa die Indogermanistik: „Sie hat zwar im Masterbereich nicht sehr viele Studierende, aber an der Universität Wien eine 150-jährige Tradition“, so Mettinger. Viel kürzer jedoch könnte die Ablaufzeit für jene „Orchideen“ sein, die gerade erst erfunden wurden: wie etwa das Masterstudium „Transkulturelle Fachkommunikation“, eine der Masterstudien-Abzweigungen am Institut Translationswissenschaft in Graz. Der Studienplan wurde mangels Nachfrage wieder zurück in die Schublade gelegt.

Spezialist oder Generalist

Ein einziger Studierender absolviert gerade das Masterstudium Judaistik in Graz – das bedeutet: unschlagbare Qualität in der Betreuung. Weniger Aufmerksamkeit bekommen die Absolventen wohl später von den Personalchefs der Unternehmen, die nach dem Studium für das bezahlen sollen, was sie in den Orchideenstudien gelernt haben. Man müsste die Fächer „nach ihrer ,Employability‘, also Beschäftigungsfähfigkeit, scannen“, sagt Helmut Guggenberg, Soziologe und Experte für Hochschulforschung an der Universität Klagenfurt. Es komme darauf an, ob die Recruiter Generalisten oder Spezialisten suchen. Nach dem Bachelor verzweigen sich die Studiengänge in Spezialisierungen, manchmal so fein verästelt, dass sie direkt in Berufsprofilen auf dem Arbeitsmarkt münden – so zumindest die Idee. „Doch manchmal zählt für Personalisten gar nicht das Fach“, meint Guggenberger, „sie suchen oft Generalisten, die lernfähig und in der Lage sind, vernetzt und transdisziplinär zu denken.“

Die Hochschulen im Wettbewerb

Wo heute Absolventen noch in keine Nischen passen, könnten bald neue für sie entstehen, meint Guggenberger. „Schließlich ist der Arbeitsmarkt dynamisch.“ Zeiten und Bedarf ändern sich schneller, als neue Studienpläne beschlossen werden können. 2001 hatte Finanzminister Karl-Heinz Grasser die Orientalistik als quasi-entbehrliches „Orchideenfach“ abqualifiziert. Nach dem elften September fand die Disziplin plötzlich ganz andere Beachtung. „Auch die Quantenphysik war noch Anfang des 20. Jahrhunderts ein Orchideenfach“, so Guggenberger.

„Ökonomisierung der Universitäten nennt man in der Hochschulforschung den laufenden Prozess“, erklärt Guggenberger. Willkommen auf dem freien Markt: Die Hochschulen „produzieren“ Absolventen, die Studiengänge werden zu „Produkten“ und Erfolg sowie Qualität lassen sich mittlerweile durch Bilanzen beziffern. „Das Wissenskapital wird auf Zahlen umgelegt“, so Guggenberger. Absolventenzahlen, Drop-out-Zahlen, Studienanfängerzahlen – all diese könnten zu den natürlichen Feinden der bedrohten Masterstudienarten werden.

Mettinger sieht allerdings keine Gefahr: „Zahlen als Entscheidungsgrundlage wären bei traditionellen Fächern wie etwa Indogermanistik unsinnig“, meint der Vizerektor der Uni Wien, „denn auch die Wechselbeziehung zwischen den Fächern ist wichtig. In einem reichhaltigen Angebot ist die Chance von interdisziplinärer Arbeit größer.“ Man müsse aufpassen, historisch gewachsene Dinge nicht leichtfertig zu zerstören, „nur weil die Zahlen suboptimal sind“. Die Universität Wien werde sich bemühen, „die Palette der kleinen Fächer aufrechtzuerhalten“. Schließlich gebe es „eine Reihe von Studien, die nur dort angeboten werden“.

„Orchideen“ als Imagefaktor

Auch Guggenberger sieht Chancen für Nischenfächer im Wettbewerb der Hochschulen, schon allein durch die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“: „Hochschulen konkurrieren um verschiedene Dinge, die finanziellen Resourcen etwa, um Studierende, aber letztlich auch um Aufmerksamkeit.“ Und auffallen könne man besonders gut mit „Ausgefallenem“, wie es Guggenberger formuliert. Gerade werde auch vor diesem Hintergrund an der Uni Klagenfurt über die Daseinsberechtigung des Studiums „Angewandte Musikwissenschaft“ diskutiert. „Orchideenfächer“ könnten zum Imagefaktor der Hochschulen werden. „Für die Uni Wien ist es klar, dass wir gerade im geisteswissenschaftlichen Bereich eine Aufgabe haben“, so Mettinger.

Während traditionelle Fächer auf neue Nischen am Arbeitsmarkt warten, versuchen manche Masterstudien der Fachhochschulen, bestehende zu füllen. Viele Studiengänge laufen auf definierte Berufsfelder und Aufgaben hinaus. Bei hochspezialisierten Masterstudien wie etwa „Internationales Weinmarketing“ an der FH Burgenland oder „E-Health“ an der FH Joanneum in Graz scheint der Berufsweg vorgegeben. Wie auch beim jungen „Orchideen“-Masterstudium der Universität Wien, zumindest geografisch: „Wirtschaft und Gesellschaft Südostasiens“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2010)

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