Missbrauchsfälle in Deutschland: Razzia im Kloster

Zahl Missbrauchsopfer sehr viel
Zahl Missbrauchsopfer sehr viel(c) APN (Franka Bruns)
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Fast täglich werden neue Vorwürfe und Missbrauchsfälle bekannt. Das bayerische Kloster Ettal wurde von der Staatsanwaltschaft durchsucht. Unterdessen spricht man bereits von 250 Opfern.

Bei den Missbrauchsfällen in katholischen deutschen Bildungseinrichtungen muss offenbar von weit höheren Opferzahlen ausgegangen werden. Die Vorsitzende des im Jahr 2004 gegründeten Vereins ehemaliger Heimkinder e.V., Monika Tschapek-Güntner, sagte der "Berliner Zeitung": "Wir können die Zahl der Opfer gar nicht überschauen. Durch den Skandal um die Jesuitenschulen melden sich täglich auch bei uns weitere Betroffene."

Tschapek-Güntner erklärte, dass rund 70 Prozent der 450 Vereinsmitglieder sexuellen Missbrauch in einem Erziehungsheim erlitten hätten, meist in den 50er bis 70er Jahren. "Zirka 80 Prozent unserer Mitglieder waren in katholischen Heimen, die anderen in evangelischen oder staatlichen Heimen." Demnach handelt es sich um mindestens 250 mutmaßliche Opfer katholischer Erzieher, meistens Ordensbrüder, die bisher nirgends erwähnt würden.

Neue Verdachtsfälle in Bayern und Sachsen

Indes sind in neue Verdachtsfälle in Bayern und Sachsen bekannt geworden: Im katholischen Internat des Maristenordens im bayrischen Mindelheim ist der ehemalige Leiter unter Verdacht geraten. Vertreter des Ordens bestätigten der "Augsburger Allgemeinen", der langjährige Leiter des Knabeninternats sei im August 2007 nach Anzeigen zweier Internatsschüler von seinem Posten abberufen und versetzt worden. Auch die Staatsanwaltschaft Memmingen habe den Fall bestätigt. Nach deren Angaben wurde der Ordensmann zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Tat selbst habe sich im Jahr 2004 zugetragen, schreibt das Blatt.

Razzia im Kloster

Zum ersten Mal seit Beginn des Skandals gab es auch eine Razzia in einem Kloster: Am Dienstag durchsuchte die Münchner Staatsanwaltschaft das oberbayerische Kloster Ettal, wie die Deutsche Presse-Agentur dpa erfuhr. Dort sollen Schüler von Geistlichen sexuell missbraucht worden sein. "Seit Nachmittag laufen Ermittlungen vor Ort in Anwesenheit der Staatsanwaltschaft", bestätigte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München II. Ob es in der deutschen Nachkriegsgeschichte überhaupt schon einmal eine Razzia in einem Kloster gegeben habe, konnte ein Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz auf Nachfrage nicht beantworten.

Im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen an dem Benediktinerkloster wurden auch drei Mönche aus dem Kloster Wechselburg in Sachsen suspendiert und von ihren seelsorgerischen Aufgaben entbunden. Gegen sie lägen Missbrauchsvorwürfe aus ihrer Zeit an der Schule und dem Internat in Ettal vor, teilte das Bistum Dresden-Meißen am Dienstag mit. Damit wurde ein Bericht der in Chemnitz erscheinenden "Freien Presse" bestätigt.

Was genau den Männern vorgeworfen wird, wisse man nicht, sagte ein Bistumssprecher. Verdachtsfälle aus dem Kloster Wechselburg gab es bisher nach Angaben des Bistums nicht, Bischof Joachim Reinelt kündigte aber an, Anhaltspunkten auf mögliche Verdachtsfälle gründlich nachzugehen. Einer der drei Mönche sei für das Jugend- und Familienhaus des Klosters in Wechselburg verantwortlich gewesen.

Das Erzbistum München-Freising bestätigte am Dienstag einen Missbrauchsfall in einer Münchner Pfarrei. In den Jahren zwischen 2002 und 2003 habe sich ein ausländischer Ordensgeistlicher mehrmals an einem damals 13-jährigen Mädchen vergangen. Nach seiner Versetzung in eine Pfarrei in Fürstenfeldbruck und einer Bewährungsstrafe wegen sexuellen Missbrauchs kam es dort trotz eines kirchlichen Verbots für Jugendarbeit möglicherweise zu weiteren sexuellen Übergriffen auf zwei Mädchen. Der Bistumssprecher kündigte rückhaltlose Aufklärung an, der Mönch sei inzwischen in seine Heimat zurückgekehrt.

Missbrauch in niederländischem Internat

Auch in den Niederlanden wird nun wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch in einem katholischen Internat ermittelt: Der Orden Salesianer Don Boscos will Untersuchungen einleiten. Die Opfer seien ihre "größte Sorge" und sie hätten ein Recht darauf, dass das, was ihnen angetan worden sei, anerkannt werde, erklärte der Orden. Daher habe der Orden, der das Internat in der Region Arnheim leitete, die Eröffnung einer Untersuchung der Fälle entschieden.

Am Freitag hatte eine niederländische Zeitung vom Schicksal eines früheren Internatschülers berichtet, der von Geistlichen sexuell missbraucht worden sein soll. Bisher seien drei Opfer identifiziert worden, erklärte der Orden. Die Vorfälle seien zwar verjährt, da das Internat bereits 1971 geschlossen wurde. Die Untersuchung soll nun aber Aufschluss über weitere Opfer zwischen 1958 und 1971 geben. Auch die Rolle des Ordens selbst soll geprüft werden. Geleitet wird die Untersuchung demnach von der Bischofskommission "Hilfe und Recht". Die niederländische Bischofskonferenz will kommende Woche darüber befinden, ob die Untersuchung auf weitere Orden und frühere Internate ausgeweitet werden soll.

Die Salesianer Don Boscos tauchten auch im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen an katholischen Einrichtungen in Deutschland auf. Medienberichten zufolge hatten katholische Geistliche zwischen 1960 und 1975 in zwei ehemaligen Heimen des Ordens in Augsburg und Berlin junge Menschen missbraucht.

(Ag.)

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