Merkel vor EU-Gipfel: "Ja, die Lage ist ernst"

Angela Merkel
Angela MerkelAPA/AFP/JOHN MACDOUGALL
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Die Migration könne zu einer Schicksalsfrage für die EU werden, sagt die deutsche Kanzlerin. Nicht nur für die EU, könnte man ergänzen. Auch für Merkel. Ihr österreichischer Amtskollege Kurz glaubt indes an eine "Trendwende in der Migrationspolitik".

Der Streit um die Asylpolitik gefährdet nach Ansicht von Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Zusammenhalt in der EU. Die Migration könnte zu einer "Schicksalsfrage für die Europäische Union werden", sagte die Kanzlerin am Donnerstag im Bundestag in einer Regierungserklärung vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel.

Innenminister Horst Seehofer (CSU) fehlte während Merkels Erklärung auf der Regierungsbank. Seehofer will im Juli anordnen, dass Asylbewerber, die in anderen EU-Staaten schon registriert wurden, an der deutschen Grenze abgewiesen werden. Auf diese Maßnahme zur Begrenzung der Zuwanderung will die CSU nur verzichten, falls Merkel beim EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag eine europäische Vereinbarung zur Asylpolitik erreicht, die unter dem Strich den gleichen Effekt hätte.

Merkel dämpfte jedoch die Erwartungen an das Gipfeltreffen. Sie sagte, die EU-Staaten seien noch nicht bereit, sich auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem zu einigen. In fünf von sieben Kernfragen zur Migrationspolitik herrsche zwar inzwischen weitgehend Einigkeit. Probleme gebe es aber noch bei der Einführung gleicher Standards bei der Bearbeitung von Asylanträgen und in der Frage der "solidarischen Verteilung von Migranten und Flüchtlingen".

Deshalb sei es sinnvoll, jetzt schon eine "Koalition der Willigen" zu bilden. Diese solle sicherstellen, dass sich der Schutzsuchende, "in Europa nicht das Land aussuchen" kann, in dem er seinen Asylantrag stellt. Sie schlägt vor, afrikanischen Staaten mehr Studienplätze und Arbeits-Visa anzubieten, damit nicht mehr so viele ihr Leben auf Schlepperbooten riskieren.

Merkel rechtfertigte erneut ihre Entscheidung vom September 2015, Asylbewerber an der Grenze nicht zurückzuweisen. "Das halte ich im Rückblick auch nach wie vor für richtig", betonte sie. Sie habe damals auch nicht alleine gehandelt, wie manche behaupteten, sondern in Absprache mit den Regierungen von Ungarn und Österreich.

Gleichzeitig räumte die Kanzlerin Handlungsbedarf im Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern ein. Sie verwies auf die Tötung der 14-jährigen Susanna aus Mainz sowie auf die Schwierigkeiten bei der Abschiebung eines mutmaßlichen Ex-Leibwächters von Al-Kaida-Anführer Osama bin Laden.

Merkel appellierte an die Ministerpräsidenten der Länder, sich in der Frage der geplanten Asyl- und Abschiebezentren nicht querzustellen. Die sogenannten Ankerzentren sind eine zentrale Forderung der CSU, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurde.

Kurz hofft auf "Anlandeplattformen" außerhalb Europas

Optimistischer hat sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor dem heutigen EU-Gipfel in Brüssel gezeigt. "Ich glaube, dass es heute möglich ist, eine Trendwende in der Flüchtlings- und Migrationspolitik einzuleiten", sagte Kurz am Donnerstag vor dem Treffen der Europäischen Volkspartei (EVP) in Brüssel.

Eine Einigung des Gipfels auf "Anlandeplattformen" könne wahrscheinlich erstmals gelingen, "dass Menschen, die ihren Weg mit Schleppern nach Europa starten, nicht mehr in Europa aussteigen, sondern außerhalb von Europa". Kurz: "Das ändert alles." Für Menschen werde es dadurch weniger attraktiv, sich illegal auf den Weg zu machen. "Es entzieht den Schleppern die Geschäftsgrundlage. Es kann dazu führen, dass wir endlich das Ertrinken im Meer beenden, weil sich die Menschen gar nicht mehr auf den Weg machen, und es beendet die Überforderung in Mitteleuropa", sagte Kurz.

Die Umsetzung solcher Auffangzentren halte er für sehr realistisch, sagte Kurz. Libyen sei für die Rettung von Menschen in seinem Küstengebiet zuständig. "Natürlich ist es möglich, dass Menschen, die sich auf den Weg machen, nach Libyen zurückgestellt werden." Auch für Ägypten wäre dies möglich. "Das widerspricht auch nicht den rechtlichen Regelungen, die es gibt." Als er dies erstmals 2015 gefordert habe, sei er noch massiv kritisiert worden. "Jetzt wird das endlich möglich", so Kurz.

Zu einer möglichen Vereinbarung mit Deutschland sagte der Kanzler: "Unser Ziel ist eine europäische Lösung." Er hoffe, dass dies auch gelinge. "Die europäische Lösung kann nur einen stärkeren Außengrenzschutz, eine Stärkung von Frontex, Anlandeplattformen, Zentren, sichere Schutzzonen, egal wie man es nennen möchte, außerhalb Europas bedeuten." Natürlich sei Österreich "gegen das Weiterwinken von Migranten innerhalb der Europäischen Union, das haben wir immer eingefordert". Dies sei auch in der Dublin-Verordnung so festgeschrieben. "Dublin wurde einseitig von manchen im Jahr 2015 außer Kraft gesetzt ", betonte Kurz.

"Wir haben immer gesagt, dass die Dublin-Regeln gelten sollen, solange es nichts Besseres gibt", sagte der Kanzler. Wenn Menschen in Griechenland oder Italien oder, wo sie erstmals europäischen Boden betreten, registriert seien, dürften sie "nicht einfach weitergewunken werden", sondern müssten im Rahmen des Dublin-Verfahrens zurückgestellt werden. "Wenn man sich gemeinsam darauf einigt, das noch schneller zu machen, ist das gut. Es ist aber nur eine kleine Facette der ganzen Migrationsfrage."

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