In acht Tagen durch die Schweiz

Der Bernina-Express bei Poschiavo
Der Bernina-Express bei Poschiavo(c) Switzerland Tourism (Marcus Gyger)
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Die Grand Train Tour of Switzerland führt pünktlich und punktgenau an Orte, die sich im Gedächtnis einbrennen: zu den Bergen der Berge und Seen der Seen.

Jules Verne schickte seinen Helden Phileas Fogg in 80 Tagen um die Welt, einfach so, wegen einer Wette, nur um zu beweisen, dass es überhaupt möglich ist. Von sportlichem Ehrgeiz angestachelt, beschließen wir, in kleinerem Maßstab unser Nachbarland Schweiz in acht Tagen zu durchkreuzen – per Bahn. Finanziell möglich wird dies durch den in verschiedenen Kategorien und Preisklassen erhältlichen Swiss Travel Pass (der außer den Bahnreisen noch weitere Vergünstigungen wie etwa freie Museumsbesuche miteinschließt).

1.Tag: Luzern–Montreux

Flug nach Zürich, Zug nach Luzern. Eine Stärkung in dem lichtdurchfluteten Restaurant Tibits (in dem ausschließlich vegetarische Speisen nach Gewicht abgerechnet werden) muss noch sein, aber dann geht sie offiziell los, die Grand Train Tour of Switzerland. Der erste Abschnitt führt mit der Zentralbahn nach Interlaken. In der Ferne zeigen sich die ersten schneebedeckten Berge, die ersten Kühe. Dann fährt man gemächlich an zwei Seen vorbei, von denen wir noch nie gehört haben: Sarner- und Lungerersee, beide idyllisch. Menschen sitzen in Strandcafés, Segelboote ziehen ihre Bahn, Enten landen auf dem Wasser.

Weinzeilen und mediterrane Anmutung trotz Riesen am Horizont: Lac Léman.
Weinzeilen und mediterrane Anmutung trotz Riesen am Horizont: Lac Léman.(c) Switzerland Tourism (Jan Geerk)

In Zweisimmen wird umgestiegen in die Golden Pass Line. Überflüssig zu sagen, dass hier ebenso wie in weiterer Folge alle Anschlüsse perfekt klappen: Die Eidgenossen sind nun einmal (wohl nur konkurrenziert von den Japanern) die World Champions im Eisenbahnwesen. Der Panoramazug zuckelt ins Gebirge. Und hier beginnt dann eine der schönsten und überraschendsten Strecken der gesamten Reise. Die Fahrt durchs Berner Oberland bis Gstaad ist einfach gottvoll, und es ist schwer zu beschreiben, warum. Nichts an der Landschaft ist in irgendeiner Weise spektakulär: keine Gletscher, keine seltsam geformten Berge. Und trotzdem oder gerade deshalb wird man während der dreistündigen Durchquerung von einem unglaublichen Glücksgefühl durchflutet.

Das weltberühmte Gstaad selbst hingegen ist (zumindest vom Zugfenster aus) eine Enttäuschung: Es schaut aus wie ein riesiges Tiroler Touristendorf. Aber die Fahrt geht ohnehin weiter. Zuerst wechseln die Kühe ihre Farbe: Plötzlich sind statt weißer und braunscheckiger schwarze Exemplare vorherrschend. Vorbei an der Villa des umstrittenen Malers Balthus nähert man sich Montreux, und vor einem liegt plötzlich eine ganz ganz andere Welt: liebliche Weinberge, prächtige Schlösser und natürlich der Genfersee selbst. Nach einem Abendessen im schicken Très bettet man sein Haupt in dem traditionellen alten Grand Hôtel Suisse Majestic zur Ruhe.

2.Tag: Lac Léman–Zermatt

Das Erwachen am nächsten Morgen wird man nicht so schnell vergessen. Nach dem Öffnen der Vorhänge hat man vom Balkon aus einen atemberaubenden Blick auf den Lac Léman: auf die palmenbestandene Uferpromenade, die in den Hafen einlaufenden Dampfschiffe, das gegenüberliegende, im Frühlicht funkelnde französische Ufer. Über die Maßen magisch. Vor der baldigen Weiterreise (das Programm ist streng getaktet) empfiehlt sich, wenigstens ein paar Sehenswürdigkeiten in Montreux zu besichtigen: etwa das angrenzende Palace Hotel, in dem Vladimir Nabokow seinen Lebensabend verbrachte, oder das Tonstudio, in dem Freddy Mercury sein letztes Album aufnahm.

Doch schnell weiter, die zweite Etappe der Grand Tour wartet. Bis Visp ist alles nicht sehr viel anders als am Vortag, außer dass die Kühe allmählich Schafen und Ziegen weichen, die Holzhäuser Steinhäusern und gelegentlich Pferde und Lamas auftauchen.

 Aussicht bei Interlaken
Aussicht bei Interlaken(c) Switzerland Tourism (Ivo Scholz)

Dann beginnt der Aufstieg nach Zermatt. Und man fängt an, eine unendliche Bewunderung für das Schweizer Tourismusmarketing zu hegen. Der legendäre Ort liegt nämlich unzugänglich am Ende eines erst nach einer guten Stunde erreichbaren Sacktals. Und gerade hier eine der, wenn nicht die flächengrößte globale Marke zu installieren ist eigentlich unübertroffen. Viele Einheimische verstehen den Effekt selbst bis heute nicht: „Für uns war das Hooorn immer nur ein Berg wie jeder andere. Erst die Engländer haben dann etwas Spezielles, etwas Einzigartiges daraus gemacht“, wird erklärt. Also auf zum Hörnli, zum Matterhorn, zum berühmtesten Berg der Welt, zum universell wiederkennbaren Symbol, dem Synonym, dem Logo der Schweiz.

Die Fremdenführerin erzählt, dass sie manche Ankommende (vor allem aus Asien) zuerst einmal aufklären und beruhigen muss, weil sie nicht verstehen, dass man auf das Matterhorn nicht mit der Seilbahn fahren kann. Nein, so weit ist es noch nicht. Noch können den Berg nur professionelle Alpinisten besteigen. Und somit nehmen wir Touristen mit der Standseilbahn vorlieb, die uns auf das Gornergrat bringt, von wo man einen einzigartigen Blick auf den Berg der Berge hat. Wem 500 Euro nicht zu viel sind, kann sich hier oben ein Zimmer mieten, um den Sonnenaufgang über dem Horn zu erleben. Die finanzielle Fruchtbarmachung der Unwirtlichkeit nennen das böse Zungen. Wieder zurück im Dorf, ist ein Besuch im Matterhorn-Museum unvermeidlich. Extrem faszinierend, dokumentiert zu sehen, wie durch den Spleen einiger verrückter Ausländer die Marken Matterhornund Zermattüberhaupt erst entstanden sind, und dass – trotz umfangreichster Recherchen – bis heute nicht einwandfrei erwiesen ist, was zum Absturz der Whymper'schen Seilschaft geführt hat.

Erholung von solch fundamentalen Fragen findet man im Boutiquehotel Europe (das auch einige Zimmer mit Hornblick bietet). Der Besitzer hat ein spezielles Faible: Er züchtet Schwarznasenschafe. Diesem Thema treu, ist das Hotel in Schwarz-Weiß gehalten.

3.Tag: Glacier-Express

Da eine Grand Train Tour kein Ponyhof ist, geht es in aller Herrgottsfrüh weiter. Bis Brig durchlaufen wir wieder das eher langweilige Sacktal. Bei dem kurzen Aufenthalt dort trauen wir unseren Augen nicht: Auf einem Felsen ist eine Pappendeckelkopie der Fassade des Petersdoms angebracht. Ja, wieso das denn? Ein Bahnverantwortlicher löst das Mysterium: Von hier und den Nachbarorten kam ein Großteil der päpstlichen Schweizergardisten, und daher hat man versucht, ihnen dadurch ein Denkmal zu setzen.

Eine der schönsten Städte der Schweiz: das kompakte Chur in Graubünden.
Eine der schönsten Städte der Schweiz: das kompakte Chur in Graubünden. (c) swiss-image.ch (Markus Buehler)

Wir befinden uns jetzt im genialen Panoramawaggon eines der berühmtesten Züge überhaupt, dem Glacier-Express: Ein Name, der viel durch die Medien geistert und dementsprechende Sehnsüchte weckt. Neben uns saß eine irische Sozialarbeiterin, die lang auf diesen Tag gespart hatte, an den Fenstern drückten Japaner und Chinesen ihre Nasen platt, um alles mit dem iPad aufzunehmen.

Auf die Gefahr hin, lebenslang aus der Eidgenossenschaft verbannt zu werden, muss ich gestehen, dass ich gerade diese Strecke nicht so aufregend fand wie andere. Schon schön – aber auf der ganzen Fahrt konnte ich keinen einzigen Gletscher entdecken.

Sei's drum. Ankunft in Chur, einer archetypischen Ostschweizer Kleinstadt, gepflegt und geschichtsträchtig. Rast im uralten Romantikhotel Stern, Durchkosten der unerwarteten Bündner Spezialitäten mit den schönen Namen Capuns, Maluns und Bizochels. Alle miteinander köstlich.

4.Tag: Bernina-Express

Bei aller Zeitnot in Chur – das Bündner Kunstmuseum sollte man besuchen. Die angesehene Institution in der historischen Villa Planta wurde durch einen modernistischen Anbau (Spitzname: Waschmaschine) ergänzt und besitzt eine herausragende Sammlung. Besonders überraschend und bewegend dabei die Begegnung mit dem Werk Giovanni Giacomettis, des Vaters von Alberto, auch er ein ganz großer Künstler. Ebenso entdeckt man das Œuvre des international bekannten zeitgenössischen Churer Künstlers Not Vital.

Die Fahrt mit dem Bernina-Express von Chur nach Tirano erfüllt dann die Erwartungen, die man an den Glacier-Express hatte: Majestätische Gletscher, eisblaue Gletscherseen, schwindelerregende Viadukte, Wasserscheiden, die erhabene, aber trockene Vegetation des Engadin. Die Kameras klicken in einem fort, die iPads glühen. In Tirano muss man nach einem Mittagessen in Ai Portici (Tipp: Pizzocheri, eine lokale Spezialität) in einen Bus umsteigen, der einen durchs zersiedelte Flachland nach Lugano bringt. Wie oft man auch schon dort war, so ist diese Tessiner Stadt mit seinem südlichen Flair doch immer wieder bezaubernd. Neuester Zugang zur Stärkung der Kulturkompetenz: das LAC, ein vor drei Jahren eröffnetes Kunst- und Kulturzentrum mit Ausstellungen, Theater, Konzerten. Das Einschlafen erleichtert, sofern man der Rarität habhaft wird, der allerköstlichste Maronigrappa.

5.Tag: Nach Luzern

Trendumkehr: Von nun an geht's wieder nach Norden. Zuerst nach Bellinzona (das durchaus einen Zwischenstopp wert wäre) und dann mit dem Gotthard-Express in Richtung Luzern. Die schriftlichen und mündlichen Erläuterungen zum Bau dieser Jahrhunderttunnel sind natürlich äußerst interessant, optisch attraktiv wird es aber erst wieder ab Flüelen, wo wir (perfekte Abstimmung) auf einen historischen Raddampfer umwechseln (man muss die Schweizer darum beneiden, dass sie diese Prachtstücke nicht verschrottet, sondern liebevoll restauriert haben). Den Vierwaldstätter See umweht ein eigener Zauber, der rational nicht ganz zu erklären ist. Denn sobald man über seine Gewässer schippert, fallen alle Sorgen von einem ab, und eine ungetrübte Seelenruhe befällt einen – zumindest bis zum nächsten Landgang.

Sich in Luzern aufzuhalten ist immer wieder eine Freude. Die Stadt ist eine der anheimelndsten, vermittelt Geborgenheit und hat alles, was man zu einem angenehmen Leben braucht – viele Zürcher ziehen aufgrund der besseren Lebensqualität in jüngster Zeit hierher. Das Traditionshotel Schweizerhof hat seine Zimmer gerade in Themensuiten verwandelt, und hat man das Glück, das Zimmer zu beziehen, in dem Richard Wagner „Tristan und Isolde“ vollendet hat, so steht einem eine zwar unruhige, aber berauschende Nacht bevor.

6. Tag Vierwaldstätter See

Bleiben wir, entgegen unserer Rekordabsicht, einen Tag länger am Vierwaldstätter See. Gewichtiger Anlass ist das legendäre, auf einem Bergrücken gelegene Bürgenstock Resort, eine Art Welt für sich, hat nach einer 500 Millionen teuren Renovierung durch den Staatsfonds von Katar wiedereröffnet, und das Ergebnis ist ohne jeden Zweifel spektakulär. Erreichbar ist die Luxusenklave zuerst mit dem Dampfer. An der Anlegestation wird man vom Concierge erwartet, der einen mit der hoteleigenen Standseilbahn in die Lobby bringt. Angekommen, will man sein Zimmer vorerst gar nicht verlassen, denn hier breitet sich eine Aussicht aus, die sich einem lebenslang ins Hirn brennt. Von 1127 Metern blickt man auf den Vierwaldstätter See in blauer Pracht. Himmel und Wasser verschmelzen. Es ist überirdisch schön. Und selbst wenn man das Zimmer doch verlässt, will man zumindest im Resort bleiben, denn man wäre auf Monate versorgt dank mehrerer Hotels, Restaurants, Gaststuben, Aussichtstürme, Wellness- und Spabereiche, einem medizinischen Zentrum, Shops und Bars.

7.Tag: St. Gallen–Zürich

Abschiedsschmerz. Wieder zurück nach Luzern. Von dort weiter nach St. Gallen. Weltkulturerbe der Unesco und sicher eines der kulturellen Zentren des Landes. Allein schon das Stift und die großartige Klosterbibliothek lohnen den Besuch (im Sommer werden im Hof rare Opern aufgeführt). Aber auch das neu gestaltete Kunstmuseum und das ziemlich einzigartige Textilmuseum sind sehenswert.

Entlang des Bodensees erreichen wir den Ausgangspunkt, Zürich. Man sagt der Wirtschaftsmetropole ja nach, dass sie doppelt so groß wie der Zentralfriedhof wäre, aber nur halb so lustig. Davon, dass das ein altes Klischee ist, das längst von der Wirklichkeit überholt wurde, kann man sich bei einem Spaziergang durch Zürich-West (Kreis 4 und 5) überzeugen: Das sind Quartiere im Aufbruch mit zu Kunsthochschulen verwandelten Yoghurtfabriken, provisorischen Konzerthallen, unzähligen Start-ups, Bars und angesagten Restaurants. Wer es für den letzten Abend in der Schweiz lieber traditioneller mag, tut gut daran, im Zunfthaus zur Waag einzukehren. Denn nicht nur bietet diese jahrhundertealte Institution Zürcher Standards auf höchstem Niveau, sondern sie wird auch noch vom Österreicher Sepp Wimmer geführt, der sich gern zu seinen Landsleuten gesellt. Zum Übernachten angenehm ist das Boutiquehotel Townhouse zwischen Bahnhof und Bahnhofstraße.

8.Tag: Zürich

Geschafft! Wir haben die Wette mit uns selbst gewonnen. Die Schweiz ist halb umrundet. In nur acht Tagen. Vor der Rückreise lassen wir uns noch treiben, im Kunsthaus, einem der besten Museen der Moderne weltweit, Highlight ist die umfangreiche Sammlung von Arbeiten Alberto Giacomettis. Aber dann ab nach Hause mit großen Eindrücken im Gepäck.

Tipp: Wer's nicht so sportlich nehmen will, reist entspannter mit dem 16-Tage-Pass. grandtraintour.swisstravelsystem.com,www.MySwitzerland.com

Compliance: Die Reise wurde von Schweiz Tourismus unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2018)

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