Andrew Brunson: Der Mann im Zentrum der US-Türkei-Krise

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Vor 23 Jahren zog der US-Bürger in die Türkei, um dort missionarisch tätig zu werden. Er ist zum Spielball im Kräftemessen zwischen dem türkischen Präsidenten Erdogan und Donald Trump geworden.

"Du bist alles, alles wert. Meine Tränen, meinen Schmerz - ich biete sie dir dar, nun lehre mich dir nachfolgen im Leid!" Mit diesen Liedzeilen meldete sich Andrew Craig Brunson aus seiner türkischen Haft zu Wort. Eingesperrt in eine Zelle mit 21 anderen, die eigentlich nur für acht Personen bestimmt war. Der US-Bürger ist zu einem Spielball im Kräftemessen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit seinem US-Konterpart Donald Trump geworden.

Die jüngste Eskalationsstufe bilden die am Montag in Kraft getretenen US-Zölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei - ein ungewöhnlicher Schritt unter Nato-Partnern. Erdogan drohte daraufhin mit einem Boykott von Elektrogeräten aus den USA. Die USA könnten den Druck auf die Türkei aber weiter erhöhen, sollte Brunson weiter in der Türkei festgehalten werden. "Die Regierung bleibt in dieser Sache hart", sagte ein Vertreter des US-Präsidialamtes der Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag. US-Präsident Donald Trump fühle sich verpflichtet, Brunson zurück in die USA zu holen. Trump sei ziemlich frustriert, sagte seine Sprecherin Sarah Sanders.

Dabei scheint der Geistliche alles andere als bedeutend zu sein: Aufgewachsen als ältestes von sieben Kindern einer streng religiösen Familie aus dem Bundesstaat North Carolina im Bible-Belt der USA, war er Mitte der 1990er Jahre gemeinsam mit seiner Ehefrau in die Türkei gezogen. Dort lebte der heute 50-Jährige mit seinen drei Kindern in Izmir, der drittgrößten Stadt des Landes. In der als liberal geltenden Metropole an der türkischen Ägäis-Küste gründete Brunson eine "Auferstehungskirche". Sehr erfolgreich war er mit seiner missionarischen Tätigkeit nicht: Seine Gemeinde, die zur presbyterianischen Kirche gehört, zählte nur 25 Mitglieder.

21 Jahre verbrachte Brunson bereits in der Türkei, als er 2016 nach dem gescheiterten Putsch gegen Erdogan festgenommen wurde. Die Vorwürfe: Er habe die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) unterstützt und geplant, einen "christlichen Kurdenstaat" im Irak und in Syrien zu errichten. Im Auftrag der CIA und als Anhänger der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen habe er sich an der Planung des Putschversuches beteiligt. Seit dem heurigen Frühjahr - nach monatelanger Verzögerung - wird Brunson daher in der Türkei der Prozess gemacht. Brunson wies vor Gericht alle Vorwürfe zurück. Erst am Dienstag legte er erneut Berufung ein.

Ein Prozess mit fragwürdigen Indizien

Als Schauprozess mit fragwürdigen Zeugen und wenigen Beweisen kritisieren sein Anwalt und seine Unterstützer das Verfahren. So sei ein Foto von Maqluba, einem Gericht aus Fleisch und Reis, darunter gewesen, das ihm seine Tochter geschickt habe. Die Speise soll unter den Gülen-Anhängern populär sein. Als ein Grund für die Verhaftung wird auch angeführt, dass Brunson Bibelkurse auf Kurdisch anbot. Zudem erklärte er bei der Verhandlung, er sei oft in den Süden der Türkei gefahren, der vor allem von Kurden bewohnt wird, um dort Flüchtlinge aus Syrien zu betreuen.

Das American Center for Law and Justice (ACLJ), das sich für seine Freilassung einsetzt, wirft der Türkei vor, Brunson sei nur wegen seines Glaubens und seiner Herkunft verhaftet worden. "Er scheint nur festgehalten zu werden, weil er ein amerikanischer Bürger ist. Ein Mann des Glaubens, der mit einer Reihe von Landsmännern in Kontakt war, um ihnen zu helfen, ihren Glauben zu bewahren", meinte auch der US-Botschafter in der Türkei, John R Bass.

Die Missionierung ist in der Türkei seit 2003 zwar nicht mehr verboten, wird aber von der überwiegend muslimischen Bevölkerung nicht gern gesehen. Im Rahmen der Türkisierungspolitik am Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich die frühere christliche Mehrheit im Land drastisch dezimiert. Der Anteil der Christen in der Bevölkerung ist von 20 auf heute 0,2 Prozent gesunken.

Erdogan spekuliert auf Tauschgeschäft

In den Augen der Evangelikalen in den USA gilt Brunson daher als Märtyrer. Mit Leichtigkeit konnten sie lautstarke Unterstützung im Weißen Haus für sich akquirieren - konservative Presbyterianer wie Brunson sind eine wichtige Wählerschicht für Donald Trump. Als "unschuldigen Mann des Glaubens", als "großartigen Christ", als "Familienmensch" bezeichnete der US-Präsident den Geistlichen auf der Kurznachrichtenplattform Twitter.

Über Monate hinweg erhöhte die US-Regierung den Druck auf Ankara, Brunson zu entlassen. Dass selbst die Sanktionen Erdogan nicht zum Einlenken bewegen, hat auch einen politischen Grund. Er spekulierte wohl auf ein Tauschgeschäft: Brunson gegen Gülen. In einer Rede in Ankara im Mai stärkte Erdogan diesen Verdacht. "Sie sagen: ,Gebt uns den Pastor.' Aber ihr habt auch einen Pastor. Gebt uns den, dann machen wir diesem hier den Prozess und geben ihn euch dann."

Die Zeit im türkischen Gefängnis hat Brunson zugesetzt. Er soll 25 Kilogramm verloren haben. Daher durfte er die Haftanstalt im Juli verlassen und steht nun unter Hausarrest, bis sein Prozess im Oktober fortgesetzt wird. In einem Brief an seine Anhänger zeigte er sich damals enttäuscht über den langsamen Fortgang der Verhandlungen. "Ich fühle mich schwach, aber ich schaue weiter zu Jesus."

(me)

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