Das Versagen der russischen Spione

Polizeisperre in jener Straße in Amesbury nahe Salisbury, wo im Juli eine Frau starb, nachdem sie mit Resten des Giftes Novichok in Berührung gekommen war, das beim Anschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal in Salisbury benützt worden war.
Polizeisperre in jener Straße in Amesbury nahe Salisbury, wo im Juli eine Frau starb, nachdem sie mit Resten des Giftes Novichok in Berührung gekommen war, das beim Anschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal in Salisbury benützt worden war.(c) REUTERS (HANNAH MCKAY)
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Die Rechercheplattform Bellingcat will die Identität des zweiten Salisbury-Verdächtigen enthüllt haben. Diese und andere Enttarnungen bringen Militärgeheimdienst GRU in die Bredouille.

Moskau. Wenn die Rechercheure von Bellingcat recht behalten, dann ist der russische Militärgeheimdienst GRU (seltener auch GU genannt) ziemlich düpiert: Die Aufdecker, deren Plattform in Großbritannien gegründet wurde, haben die Identität des zweiten Mannes enthüllt, der verdächtigt wird, den russischen Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter Julia im März 2018 vergiftet zu haben.

Nach der Enttarnung von Ruslan Boschirow, der in Wirklichkeit Anatolij Tschepiga heißen soll, wurden nun belastende Details bekannt über seinen Mitreisenden, der ebenfalls auf Bildern von Überwachungskameras zu sehen ist. Auch britische Behörden gehen davon aus, dass die Identitäten der Männer gefälscht sind, haben sich jedoch noch nicht zu der Untersuchung der Gruppe geäußert.

Alexander Petrow heißt demnach Alexander Mischkin, ist 39 Jahre alt und als Arzt im Dienst des GRU tätig. Wie Bellingcat in einem ausführlichen Bericht am Dienstag darlegte, kam man durch öffentlich verfügbare Quellen, Bildvergleiche und die Befragung von Bekannten auf die Spur des Phantoms.

Angeworben im Studium

Mischkin wurde, so schreiben die Rechercheure in ihrem am Dienstag veröffentlichten Detailbericht, 1979 im Dorf Lojga im nördlichen Gebiet Archangelsk geboren. Vermutlich während seines Studiums an einer Medizinhochschule des Militärs wurde er vom GRU angeworben und in Folge mit einer neuen Identität ausgestattet: Alexander Petrow.

Seinen offiziellen Wohnsitz unter dem Namen Petrow hatte er bis September 2014 an der Moskauer Adresse des Militärgeheimdienstes an der Choroschewskoje-Chaussee. Als Agent soll er mehrere Reisen im Auftrag des vor allem im Ausland operierenden Geheimdienstes unternommen haben. Etwa in das abtrünnige moldauische Gebiet Transnistrien oder im Dezember 2013 in die Ukraine während der Maidan-Protestbewegung.

Beide Männer sind auf Videoaufnahmen zu sehen, die die britische Polizei Anfang September veröffentlicht hatte. Wenig später gaben Mischkin und Tschepiga im Interview mit dem staatlichen Fernsehkanal Russia Today an, als Touristen nach Salisbury gereist zu sein. Der Auftritt wirkte nicht sehr überzeugend. Die Reiseschilderung der beiden warf mehr Fragen auf, als sie Antworten gab.

Der Kreml wollte gestern keine Stellung zu den Veröffentlichungen nehmen. Man warte noch immer auf offizielle Informationen der britischen Seite, erklärte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow.

Allerdings dürfte sich im Hauptquartier des Dienstes mittlerweile Krisenstimmung breitmachen. Russische Medien berichteten von einem Krisenstab im GRU-Hauptquartier, „Aquarium“ genannt, am Wochenende. Auch Ablösungsgerüchte von GRU-Chef Igor Korobow machen die Runde.
Der GRU ist ohne Unterbrechungen seit der Russischen Revolution tätig. Er untersteht dem Verteidigungsminister und dem Generalstab und ist einer von drei Geheimdiensten im Land. Der GRU versteht sich vorrangig auf Cyber-Kriegsführung und Undercover-Einsätze. Ihm wird nachgesagt, seine Kader in mehreren Konfliktherden einzusetzen – etwa in der Ostukraine oder in Syrien.

Missionen missglückten

Doch zuletzt musste man peinliche Veröffentlichungen hinnehmen. Nicht nur die Mission gegen den früheren GRU-Mitarbeiter Skripal, den Präsident Wladimir Putin in der Vorwoche

vor Publikum als „Dreckskerl“ bezeichnete, ging offenbar schief.
Zuletzt machten neben den USA auch die Niederlande einen „illegalen“ Agenteneinsatz im Frühling öffentlich. Damals wollten zwei russische Hacker und zwei Begleiter einen Angriff auf die Chemiewaffen-Verbots-Organisation OPCW in Den Haag durchführen. Sie wurden geschnappt und außer Landes verwiesen. In Moskau reagierte man unterdessen mit kreativer Gegenrede: Die Russen seien auf einem „Routinetrip“ gewesen, sagte anderntags Außenminister Sergej Lawrow.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2018)

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