Der Leiter des Werkraums Bregenzerwald verantwortet den Österreich-Beitrag für die diesjährige London Design Biennale und pendelt zwischen zwei Wohnungen. Vom mobilen Lebensstil und der Kunst, sich dennoch ganz zu Hause zu fühlen.
Zur Arbeit zu pendeln ist nichts Ungewöhnliches. Der Arbeit halber zwischen zwei Wohnungen zu pendeln, schon etwas mehr. Das Ganze als Lebensstil zu kultivieren und es nicht als halbe-halbe, sondern als doppeltes Wohnen und als Privileg zu sehen, mag für viele exotisch klingen. „Für mich passt das gerade sehr gut“, meint Thomas Geisler, Mitbegründer der Vienna Design Week, Ex-Designkurator im MAK Wien, Österreich-Kommissär der London Design Biennale und seit 2016 Leiter des Werkraum Bregenzerwald in Vorarlberg. „Ich bin an zwei wunderschönen Orten zu Hause, in Schwarzenberg und in Wien.“ Dabei wohnen in seiner Wiener Mietwohnung nur seine Möbel, er selbst lebt bei Stadtbesuchen auf der Wieden bei seinem Partner in einer 1998 ausgebauten Dachgeschoß-Maisonette. „Der 360-Grad-Rundumblick ist absolut spektakulär“, so Geisler.
Edle Stücke
In Baden-Württemberg geboren, kam er 1994 nach einer Keramikerlehre an die Angewandte nach Wien. „Es war lustig, erstmals als Österreicher in Österreich zu wohnen, mein Vater stammt ja aus Rankweil.“ Seine erste Wiener Adresse: die Schubertgasse. Aufenthalte in Kopenhagen und New York (Zivildienst) folgten, in Wien dann die Franzensgasse, der Heumarkt, schließlich der Mittersteig. „Da die Wohnung meinem Partner gehört und er sie eingerichtet hat, bin ich quasi nur kuratorisch für manche Details verantwortlich.“
Einiges hat dennoch in die rund 70 Quadratmeter Einzug gehalten: Prototypen wie der aufblasbare, mittlerweile edelrostige Metallhocker von Oskar Zieta, Sessel von Arne Jacobsen – „von mir die weißen, von meinem Partner die schwarzen“, Lampen aus der Ausstellungsrequisite, ein Holzhocker aus Mali und seine jüngere Kopie aus Kork, Lobmeyr-Gläser, Stücke von Marco Dessi, Fotos aus der New Yorker Zeit von Judy Fox' lebensgroßen Terracotta-Figuren, eine Backform von Marie Rahm, Handwerk aus dem Werkraum. Die meisten der Bücher und DVDs im Regal unter den Design- und Erinnerungsstücken gehören nicht zu seiner Ausstattung. „Mein Partner ist eine Leseratte, ich komme viel zu selten dazu.“
Ein Buch habe ihn kürzlich dennoch beeindruckt: „,Aus meinem Leben‘ vom Vorarlberger Bauern und Sozialreformer Franz Michael Felder“, geschrieben 1869. „Es hat mir viel über die Geschichte und den Zugang zu den Menschen in der Region eröffnet, über das Leben am Land und in der Stadt.“ Die Orte, zwischen denen er pendelt, sind sehr verschieden – „dadurch fallen die Unterschiede stärker auf, und man lernt die Qualitäten der jeweiligen Orte zu schätzen und zu nutzen“. In Vorarlberg genieße er das ländliche Leben. „Wenn ich jetzt nach Wien komme, spüre ich die imperiale Prächtigkeit und die Urbanität dieser Stadt viel mehr. Ich bewege mich öfter abseits der alten Trampelpfade, sehe mehr Details, die mir früher nicht aufgefallen wären. Diese Wiederentdeckungen schätze ich sehr.“
Designerspielzeug
Am Mittersteig prägen Weite und Helligkeit den Raum, Türen gibt es auf den beiden Stockwerken nur zu Bad/WC. Ein zusätzliches geplantes Zimmer wurde nicht umgesetzt, um den großzügigen Raum nicht zu verkleinern. Ein zimmergroßer Einbauschrank in der unteren Etage, zugänglich von Küche und Wohnraum, schafft viel Stauraum, sodass kaum andere Schränke benötigt werden und Raum wegnehmen. Die Treppe kommt ohne Geländer aus, vom Schlafzimmer im oberen Stock aus betritt man eine kleine Terrasse. Von dort geht es dann aufs Dach – mit Blick über Wien. „Im Sommer spielt sich das Leben hier oben ab“, erzählt Geisler.
Ein besonderes Stück ist der alte Küchentisch mit neuer Glasplatte, der im Schlafzimmer mit Blumenbild und Sessel ein hübsches Ensemble abgibt. In Sichtweite davon stehen zwei aus farbigem Draht gefertigte Africars mit Schiebestiel. „Bubenspielzeug, aber ohne CO2-Ausstoß“, erklärt Geisler die Farbtupfer in Rosa und Gelb. Daneben, zeitlos, ein Tischlerstück des Quasischwiegervaters: ein Servierwagen im 60er-Jahre-Design. „Wir bringen unsere Lieblingsstücke und Geschichten zusammen und wundern uns ein wenig, wie stimmig es ist“, freut sich Geisler.
Zum Ort, zur Person
Der vierte Wiener Bezirk, Wieden, leitet sich vom Widum (immobiles Vermögen der Pfarrpfründe) des Domstifts zu Sankt Stephan ab, Grundherr weiter Teile der ehemaligen Vorstadt bis 1723.
Neue Eigentumswohnungen kosten zwischen 3231 und 5364,5 Euro/m2, gebrauchte 2094,4 bis 4879,7 Euro/m2, Miete zahlt man 8,5 bis 12,1 Euro/m2. Thomas Geisler ist unter anderem Mitbegründer der Vienna Design Week und seit 2016 Leiter des Werkraum Bregenzerwald in Vorarlberg.