Kinder kriegen bringt weniger Geld und Pensionseinbußen

Wer länger in Karenz geht, fällt danach oft um Gehaltserhöhungen um.
Wer länger in Karenz geht, fällt danach oft um Gehaltserhöhungen um. (c) APA/DPA/Wolfram Steinberg
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Die ÖVP fordert von Sozialpartnern, dass Karenzen besser angerechnet werden. Die SPÖ will Gesetze.

Wien. Manchmal sind zwar alle einer Meinung, sich dann aber doch nicht einig. Das ist auf politischer Ebene gerade der Fall, wenn es um die Anrechnung von Karenz- und Kinderbetreuungszeiten geht.

Wie das gehandhabt wird, ist maßgeblich dafür verantwortlich, wie viel Urlaubsanspruch und welche Kündigungsfristen Eltern haben. Wie ihre Lohnvorrückungen ausfallen und damit in weiterer Folge einmal die Höhe ihrer Pension. Derzeit gibt es große Unterschiede – und darum sehen eigentlich alle Parteien Handlungsbedarf.

Die ÖVP hat zuletzt am Rand einer Parlamentsdebatte einen für ÖVP-Verhältnisse eher ungewöhnlichen Vorschlag gemacht. Klubchef August Wöginger rückte aus, um sich für eine bessere Anrechnung von Karenzzeiten einzusetzen. Oder besser gesagt, um die Sozialpartner aufzurufen, dies in den Kollektivvertragsverhandlungen zu tun.

Die SPÖ, die Arbeiterkammer und der Gewerkschaftsbund begrüßten die Idee. Prinzipiell. Mit dem Weg zum Ziel war man aber nicht einverstanden. Die Regierung solle den Sozialpartnern keine Handlungsanweisungen geben, sondern selbst handeln. Zum Beispiel die Forderungen in Form eines Gesetzes in die Tat umsetzen. Die Verhandlungsergebnisse von rund 800 Kollektivverträgen abzuwarten sei überflüssig.

Viele Branchen, viele Regeln

Dass man dort eher keine einheitlichen Regelungen schaffen wird, ist absehbar. Denn auch in der Vergangenheit war die Karenzzeitenanrechnung Gegenstand von Verhandlungen – und die Ergebnisse fielen sehr unterschiedlich aus. Es gibt Branchen, in denen großzügig angerechnet wird. Dazu gehören etwa die Elektro- oder die chemische Industrie mit 22 Monaten pro Kind. Bauindustrie und -gewerbe rechnen 24 Monate an. Bei Banken und Bankiers gibt es sogar eine volle Anrechnung.

Bei vielen anderen Gewerben gilt allerdings nur die gesetzliche Mindestanrechnung von zehn Monaten. Betroffen sind vor allem jene Branchen, in denen besonders viele Frauen arbeiten. Handwerk und Gewerbe zum Beispiel.

Welchen Unterschied die Anrechnung machen kann, zeigt ein Beispiel der Gewerkschaft aus dem Handel. Von den rund 400.000 Angestellten sind dort fast zwei Drittel Frauen. Im Handel gibt es seit dem 1. Dezember 2017 Möglichkeiten, Karenzen im Ausmaß von bis zu 22 Monaten pro Kind anrechnen zu lassen, vorher waren es zehn. Karin F. arbeitet seit knapp sechs Jahren in einem Betrieb, verdient 1781 Euro brutto und wird schwanger. Sie geht 18 Monate in Karenz. Weil ihr diese 18 Monate nun angerechnet werden – und sie deswegen auch im Gehaltsschema vorrückt, bekommt sie bei ihrem Wiedereinstieg 1980 Euro. Ohne die neue Anrechnung im Kollektivvertrag würde sie nur 1806 Euro bekommen.

Hochgerechnet auf ein Jahr sind das inklusive Sonderzahlungen 2436 Euro brutto – viel Geld bei einem so niedrigen Gehalt. Und das wirkt sich auch auf die Höhe der Pension aus.

Wirtschaft nicht begeistert

Bisher scheiterte die höhere Anrechnung bei Verhandlungen maßgeblich an der Arbeitgeberseite, für die das ein Kostenfaktor ist. Auch jetzt werden die neuen Vorstöße der Bundesregierung nicht unbedingt mit Wohlwollen aufgenommen.

Die oberösterreichische Wirtschaftskammerpräsidentin, Doris Hummer, machte ihrem Ärger in einem Schreiben an Bundeskanzler Sebastian Kurz Luft. „Die Wirtschaft wurde völlig unvermittelt und geradezu überfallsartig mit der Absicht der Bundesregierung konfrontiert, Karenzzeiten bis zu 24 Monate auf alle dienstzeitabhängigen Ansprüche anrechnen zu wollen. Ein Vorhaben, das die ohnehin hohen Kosten des Faktors Arbeit weiter nach oben treibt und die Arbeitgeber massiv belastet.“

Es ist nicht das erste Mal, dass die Wirtschaft beziehungsweise die Sozialpartner von Türkis-Blau mit Ratschlägen überrascht wurden. So wurde vor einigen Wochen öffentlich ausgerichtet, dass die Lohnerhöhungen dieses Jahr saftig auszufallen haben. Immerhin habe man Hochkonjunktur, und das sollte auch bei den Menschen ankommen, so die Argumentation.

Auf einen Blick

Karenzzeitanrechnung. Wie gut Kindererziehungszeiten für Vorrückungen, Urlaub, Entgeltfortzahlung, Kündigungsfristen oder Abfertigungen angerechnet werden, ist je nach Branche sehr unterschiedlich. Gesetzlich ist ein Minimum von zehn Monaten vorgesehen. Die ÖVP forderte nun die Sozialpartner auf, in den Kollektivvertragsverhandlungen für bessere Anrechnung zu sorgen – nicht unbedingt zur Freude der Wirtschaftsvertreter, die diese Gremien auch bestücken. Es bedeute für Arbeitgeber eine weitere Verteuerung des Faktors Arbeit, so die Argumentation. Die SPÖ, die Arbeiterkammer und die Gewerkschaft fordern die Regierung auf, nicht immer nur andere zum Handeln aufzufordern, sondern das selbst zu tun. Eine bessere Anrechnung könnte auch gesetzlich verankert werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2018)

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