EU-Austritt: Dublin gegen Londons Brexit-Linie

Dominic Raab, Großbritanniens Brexit-Minister, drängt auf eine Lösung im Streit um die innerirische Grenze.
Dominic Raab, Großbritanniens Brexit-Minister, drängt auf eine Lösung im Streit um die innerirische Grenze. (c) APA/AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS
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Irland weist neue Forderungen aus London scharf zurück, die Vereinbarung zur Beibehaltung einer offenen Grenze auf der Insel nach Belieben wieder aufkündigen zu können.

London. Die Verhandlungen zum britischen EU-Austritt kriechen auch in der Schlussphase im Krebsgang dahin. Auf Berichte über einen substanziellen Fortschritt folgt unweigerlich die nächste fundamentale Unstimmigkeit. Vehement wandte sich Irland gestern, Dienstag, gegen britische Forderungen zum umstrittenen Thema der inneririschen Grenze. Ein einseitiges britisches Recht für einen Ausstieg „könne es nicht geben“, betonte der irische Ministerpräsident, Leo Varadkar, nach einem Telefonat mit der britischen Premierministerin, Theresa May.

Irland sah sich zu einer Intervention von höchster Stelle genötigt, nachdem ein Brief des britischen Brexit-Ministers, Dominic Raab, bekannt geworden war, indem er das Recht Londons eingefordert hatte, eine Vereinbarung über die Vermeidung einer harten Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland einseitig aufkündigen zu können. Der irische Außenminister, Simon Coveney, erwidert postwendend: „Eine zeitlich befristete Auffanglösung oder eine Vereinbarung, die von Großbritannien einseitig aufgekündigt werden kann, wird von Irland oder der EU niemals akzeptiert werden.“

Die Frage der Auffanglösung bleibt das Kernproblem zwischen London und Brüssel. Beide Seiten haben sich dazu verpflichtet, die Rückkehr zu einer kontrollierten Grenze auf der irischen Insel zu verhindern. Umstritten ist aber, ob nach Ablauf der vereinbarten Übergangsfrist 2020 und dem Abschluss eines Handelsabkommens nur Nordirland oder das gesamte Vereinigte Königreich in der EU-Zollunion bleiben soll. Die EU-Seite hat bereits in ihrer Position festgelegt, dass sie einen „Backstop“ haben möchte, also eine Klausel, mit der Nordirland im Notfall in der Zollunion verbleiben kann, wenn Großbritannien aus dieser aussteigt. Dies würde aber eine kontrollierte Grenze zum Rest des Königreichs bedeuten.

Die Position Raabs, die er schon in der Vorwoche in einem Gespräch mit Coveney eingenommen hatte, wurde offenbar gezielt geleakt, nachdem am Wochenende die „Sunday Times“ berichtet hatte, „Mays geheimer Brexit-Deal“ sei „praktisch fertig“. Demzufolge will die Premierministerin als Notfalllösung ganz Großbritannien in einer Zollunion mit der EU belassen. Kritiker wie Ex-Außenminister Boris Johnson reagierten umgehend und heftig: Eine derartige Vereinbarung wäre „absolut ekelhaft“, und würde „die permanente Knechtschaft“ bedeuten.

May will heute, Dienstag, erneut mit ihrem Kabinett zu Beratungen zusammentreffen. Nach Informationen der „Sunday Times“ will sie die Hardliner mit einer kompromisslosen Freihandelsposition für sich gewinnen und ihnen damit die Zustimmung für die Auffanglösung abringen. Raab hingegen vertritt eine offenbar härtere Position. Über seine politischen Motive hieß es gestern in London: „Das ist die Art von Brief, die man schreibt, um später einmal etwas in der Hinterhand zu haben.“

Brüssel dementiert Lösung

Die Pattstellung bei der Nordirland-Grenze verhindert weiterhin eine Verhandlungslösung über den Brexit. Nach Angaben von May sind andernfalls bereits „95 Prozent“ vereinbart. In der Londoner City sorgt in der Vorwoche das Gerücht für Hochstimmung, auch in der sensiblen Frage des Finanzsektors habe man einen Durchbruch erzielt. Das wurde umgehend in Brüssel dementiert, während die Regierung in London zu allen Berichten monoton mitteilt: „Wir machen gute Fortschritte, aber es bleibt noch einiges zu erledigen.“

Offensichtlich ist, dass mit gezielten Leaks die politische Stimmung getestet werden soll. May hat starken Widerstand in der eigenen Partei, zugleich sind die Brexit-Hardliner aber weit davon entfernt, sie entmachten zu können. Die EU muss bis Freitag entscheiden, ob noch vor Ende November ein Gipfel für das Absegnen einer Vereinbarung einberufen werden kann. In London hielt sich Chefunterhändler Oliver Robbins permanent für die Abreise nach Brüssel bereit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2018)

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