Mays politischer Überlebenskampf

Premierministerin Theresa May steht mit dem Rücken zur Wand: Abgeordnete ihrer Tory-Fraktion planen wegen des Brexit-Entwurfs ein Misstrauensvotum.
Premierministerin Theresa May steht mit dem Rücken zur Wand: Abgeordnete ihrer Tory-Fraktion planen wegen des Brexit-Entwurfs ein Misstrauensvotum. (c) APA/AFP/BEN STANSALL (BEN STANSALL)
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Nach mehreren Ministerrücktritten und massiver Kritik an ihrem Plan zur Umsetzung des Brexit tritt die Premierministerin die Flucht nach vorn an – und sagt ihren Kritikern: M(a)y way or no way.

London. In extremer Bedrängnis ist die britische Premierministerin Theresa May in die Offensive gegangen. Mit „Ich werde meine Aufgabe erfüllen und das zu Ende bringen“, trat sie am Donnerstagabend in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz in London Spekulationen entgegen, der Brexit-Deal sei zum Scheitern verurteilt und damit auch ihr politisches Schicksal besiegelt. Zum vorliegenden Abkommensentwurf mit der EU-Kommission gebe es keine Alternative: „Der Kurs, den ich vorgegeben habe, ist der richtige“, betonte sie. „Das Volk erwartet von uns, dass wir unsere Aufgabe erfüllen.“

Zuvor waren am Donnerstagvormittag aus Protest gegen den Deal und nach der Zustimmung des Kabinetts Brexit-Minister Dominic Raab, Arbeitsministerin Esther McVey, Nordirland-Staatssekretär Shailesh Vara und Brexit-Staatssekretärin Suella Braverman zurückgetreten. Die Lage spitzte sich weiter zu, als der konservative Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg einen Antrag auf Vertrauensabstimmung über May einbrachte, die in naher Zukunft zur Ablöse durch ihre eigene Partei führen könnte.

Ungeachtet dessen trat May scheinbar ungerührt (mit Rücktritten hat May Erfahrung: in nur zwei Jahren hat sie bereits 15 Minister verloren) vors Unterhaus und verteidigte das Brexit-Abkommen, das die EU am 25. November absegnen will. Der Deal sei „im nationalen Interesse“, bedeute „die Umsetzung des Brexit-Referendums“ und gebe Großbritannien „die Kontrolle zurück – über unsere Grenzen, unser Geld und unsere Gesetze“. Sie wiederholte diese Punkte in ihrer abendlichen Pressekonferenz.

Zugleich ließ es sich die Premierministerin nach dem Tsunami an teilweise sehr persönlicher Kritik der letzten Tage nicht nehmen, ihren Kritikern zu kontern. „Im Gegensatz dazu, was manche vorgaukeln, gibt es kein anderes Abkommen, das die Entscheidung des Volkes verwirklicht.“

Demgegenüber begründete Brexit-Minister Raab seinen Rücktritt mit „zwei fatalen Fehlern“ im Abkommen: Es würde die territoriale Integrität des Königreichs infrage stellen und der Nordirland-Kompromiss drohe von einem Provisorium zu einem Dauerzustand zu werden. Raab forderte: „Wir brauchen einen neuen Kurs“, womit er ausdrücklich auch einen No-Deal einschloss. Arbeitsministerin McVey schrieb: „Wir haben von der Haltung ,Ein schlechter Deal ist schlechter als kein Deal‘ zu der Position gewechselt ,Irgendein Deal ist besser als kein Deal‘.“

„Das ist eine Horrorshow“

Raab und McVey hatten im Referendum vor zwei Jahren für den EU-Austritt geworben. Dass nun ausgerechnet der Brexit-Minister den Exit nahm, war für May mehr als nur symbolisch schmerzhaft. Ein EU-skeptischer Tory-Abgeordneter legte den Finger in diese Wunde: „Wenn selbst der zuständige Minister das Abkommen nicht mittragen kann, wie sollen wir das unseren Wählern verkaufen? Es ist eine einzige Horrorshow.“

Und trotz aller Durchhalteparolen ist sie für May mit Sicherheit nicht vorbei. Zwar erklärte der Fraktionschef der Tories, Julian Smith, die Premierministerin werde sich „nicht unter Druck setzen lassen“. Aber mit Argusaugen wurden die Schritte weiterer Brexit-Hardliner in der Regierung beobachtet. Einer ihrer Wortführer, Agrar- und Umweltminister Michael Gove, soll für die Übernahme des Amts des Brexit-Ministers verlangt haben, neue Verhandlungen mit der EU aufzunehmen. Nachdem May dies ablehnte, kursierten gestern abend Gerüchte über seinen baldigen Rücktritt. Auch Entwicklungsministerin Penny Mordaunt, eine weitere Brexit-Ultra, wurde erneut in der Downing Street gesehen.

Selbst wenn May ihre Regierung unter Kontrolle bringen sollte, droht ihr danach noch größere Gefahr aus ihrer eigenen Partei. Liegen 48 Anträge auf ein Misstrauensvotum vor, entscheidet die Fraktion mit einfacher Mehrheit über ihr politisches Schicksal. Wird sie abgewählt, müssen die Tories in den kommenden Wochen eine neue Führung suchen – während für den Brexit unaufhaltsam die Uhr tickt. Selbst Brexit-Hardliner Rees-Mogg räumte gestern ein, dass sein Vorstoß nicht unumstritten sei und auch scheitern könnte: „Es ist nicht gut, wenn man führt, und niemand folgt.“ Dieses Schicksal droht nun allerdings auch May.
Polit-Analyst Andy Scott sprach unterdessen insgesamt von einem politischen „Chaos in Shakespeare'schen Dimensionen“.

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