Die Leere hinter dem Wundermann Berlusconi

Die niedrige Wahlbeteiligung und der Triumph der Populisten zeigen: Italien traut Rom nicht mehr.

Auf den ersten Blick könnte man fast glauben, dass Italiens Premier Silvio Berlusconi tatsächlich Wunder wirken kann, wie er es schon selbst öfter behauptet hat. Denn wie sonst soll der überraschende Sieg seiner Regierungskoalition bei den Regionalwahlen erklärt werden? Erwartet hätte man eine schallende Ohrfeige für das Mitte-rechts-Bündnis. Angesichts des Skandalreigens der letzten zwei Jahre. Berlusconi war vor allem mit Ehekrisen, sexuellen Eskapaden, Korruptionsprozessen und Mafiavorwürfen beschäftigt, mit Hasstiraden gegen Justiz und Opposition, mit Maulkorb-Erlässen für kritische Medien. Zum Regieren blieb da wenig Zeit.

Dabei wäre genau das dringend notwendig gewesen. Zwar ist ein Staatsbankrott wie in Griechenland derzeit keine Gefahr. Doch gut steht das „bel paese" ganz und gar nicht da. Und das seit Jahren.

Früher als andere Länder ist Italien in die Rezession geschlittert - und kam dabei noch aus einer wirtschaftlichen Stagnation. Bereits 2008 schrumpfte das BIP um ein Prozent, 2009 sank es um weitere fünf. Die Arbeitslosigkeit steigt, Nominallöhne stagnieren, und die Kaufkraft sinkt dramatisch. Opfer der Entwicklung ist vor allem der Mittelstand, der zunehmend abrutscht. Mehr als 13 Prozent der Familien leben unter der Armutsgrenze, viele wissen nicht, wie sie es bis zum Monatsende schaffen sollen. Kein Wunder, dass der Konsum nicht in Gang kommt. Hoffnungslos ist die Lage vor allem für viele junge Menschen. Eine Zukunft kann Italien ihnen nicht bieten. In einigen Regionen hat jeder zweite Jugendliche keinen Job. Die Korruption grassiert, die Vetternwirtschaft blüht. Für Forschung ist so gut wie kein Geld da, die Universitäten sind überfüllt. Wer kann, der „flieht" ins Ausland. Doch Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft hat Berlusconi bisher keine gesetzt. Trotz großspuriger Ankündigungen, einer satten Mehrheit im Parlament und einer schwachen Opposition.

Keine Spur auch von einer strafferen Haushaltspolitik. Die Staatsverschuldung liegt nach wie vor bei sagenhaften 118 Prozent des BIP. Von den groß angekündigten und dringend notwendigen Reformen - Pensionsreform, Gesundheitsreform, Verwaltungsreform - hat die Regierung bisher keine einzige in Angriff genommen. Nur bei der Justiz- und Verfassungsreform macht Berlusconi Druck. Denn davon kann er persönlich profitieren.

Trotzdem: Bei den Regionalwahlen konnte sich das konservative Lager in sechs der 13 zur Abstimmung stehenden Regionen behaupten. Vier von ihnen konnte es sogar den Linken wegschnappen. Wie ist das möglich? Ist Berlusconi wirklich ungreifbar? Ist er inzwischen schon so fest im politischen Establishment verwurzelt, dass er sich sogar totale Abstinenz von der Sachpolitik leisten kann?
Die Antwort lautet diesmal: Nicht wegen Berlusconi hat sich das rechte Bündnis behauptet. Sondern trotz des Premiers konnte es die Wahl gewinnen.

Das zerstrittene, programmlose Linksbündnis mit seinen grauen Führungspersönlichkeiten war keine wirkliche Konkurrenz für den Premier und für viele keine Alternative. Zahlreiche Wähler sind denn auch daheimgeblieben. Dass die Beteiligung am Urnengang bei 64 Prozent lag, ist für Italien ein historischer Negativrekord. Neben den Wahlverweigerern sind die radikalen Kräfte die wirklichen Sieger dieses Urnengangs: nicht nur die rechtspopulistische Lega Nord, die vor allem mit Parolen gegen Ausländer und gegen das korrupte Rom lockt. Achtungserfolge haben auch deklariert „apolitische" und stark auf einzelne Personen konzentrierte Gruppierungen errungen, wie jene des Starkomikers Beppe Grillo.

Die niedrige Wahlbeteiligung und der Sieg der Populisten zeigen: Gewonnen hat diesmal in Italien die Politikverdrossenheit. Aus der Wahl geht das Bild eines müden „bel paese" hervor, das von den ständigen Querelen in Rom erschöpft ist. Ein Italien, das nicht mehr an Lösungen durch die Politik glaubt. Das entweder gar nicht mehr wählt oder wenn, dann um seinem Frust Luft zu machen.

Genau aus diesem Grund hat Berlusconi keinen Grund zum Jubeln. „Jetzt können wir Reformen umsetzen", hat er angekündigt. Wünschenswert wäre es natürlich, dass er die Chance seines erstarkten Bündnisses nützt und dies wirklich tut. Realistisch ist wohl eher, dass er eine andere Ankündigung wahr macht: „Wir werden so weitermachen wie bisher." Italien könnte kaum etwas Schlimmeres passieren.


susanna.bastaroli@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2010)

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