Stille als einzige Strömung

Der Nordkette entgegen: Auf die Skispringer wartet in Innsbruck immer ein gewaltiger Ausblick.
Der Nordkette entgegen: Auf die Skispringer wartet in Innsbruck immer ein gewaltiger Ausblick.(c) REUTERS (LISI NIESNER)
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Vierschanzentournee. Ryōyū Kobayashi gewann die Qualifikation auf dem Bergisel und gilt auch im dritten Bewerb als Favorit. Acht ÖSV-Adler springen mit, Cheftrainer Andreas Felder bleibt ruhig.

Innsbruck. Es herrscht eine beklemmende Stimmung, wenn man in ein fast leeres Stadion blickt – und die Partie, Pardon: in diesem Fall das Qualifikationsspringen auf dem Bergisel, ist längst im Gange. Kaum Stimmung, kein Fahnenmeer, auch das Warten auf Signalhupen oder „Ziiiieh“-Schreie kann manchmal länger dauern, als man glauben will. Nur 4200 Zuschauer hatten sich in Innsbrucks stolze Skisprung-Arena verirrt. Heute sollen es zumindest 12.000 sein, wenn der dritte Tourneebewerb ansteht (live 14 Uhr, ORF eins).

Ob sie einen Adler-Sieg feiern werden, bleibt abzuwarten. Weder die vergangenen Resultate noch die Sprünge aus der Qualifikation geben Anlass zur Hoffnung, dass die Athleten von Cheftrainer Andreas Felder auf ihrer Heimschanze den Weg aus der Krise finden. Acht ÖSV-Springer sind qualifiziert, in der Qualifikation bestätigte nur Daniel Huber als Vierter (126 Meter) seine Form. Kraft (9.; 120,5), Aschenwald (19.; 122), Hayböck (26.; 113), Aigner (27.; 118), Hörl (37.; 109,5), Fettner (46.; 109) und Leitner (50.; 110) haben weiterhin viel Luft nach oben. Favorit ist einmal mehr ein anderer. Ryōyū Kobayashi gewann die Qualifikation (126,5) und freute sich über 5000 Euro Prämie.

Ein Krisenmanager

Der Japaner hebt heute mit einem Vorsprung von 2,3 Punkten auf den Deutschen Markus Eisenbichler ab, umgerechnet sind das 1,28 Meter. Hauchdünn, doch würde einer der Seinen diesen Vorteil mitbringen, Felder wäre wohl nicht mehr ganz so stoisch unterwegs wie jetzt. Besonnen bis trocken referiert der Tiroler, 56, seit Wochen über Arbeit, Training oder Sprünge. Es mutet monoton an, denn seine Stimme kennt weder Höhen noch nimmt sie Fahrt auf, weil er etwas emotionalisierter würde schildern wollen. Nichts bringt den „Krisenmanager“, ehemaligen Weltmeister (1987) und Gewinner von 25 Weltcupspringen aus der Ruhe.

Selbst die Frage, ob er denn der Richtige sei für diese Aufgabe, entlockte ihm keine Regung. All die Kritik, die auf ihn in seiner zweiten Amtszeit als Cheftrainer (davor 1995 bis 1997) gerade niederprasselt, perlt von ihm ab wie von einer Teflonpfanne.

Ob Polemik von Vorgänger Alexander Pointner („Wieso steht er nicht wie alle anderen auf dem Trainerturm? Das ist der Regieplatz!“) oder mediale Schelte, er schluckt jedes Wort. Nicht unerwähnt bleiben darf aber, dass Felder vorab nichts versprochen hatte. Keine Höhenflüge, Trendwenden oder Neueinsteiger. Der „g'rade Michel“, als der er gilt, arbeitet lieber. Still, ehrlich, laut ÖSV-Chef Mario Stecher auch „gut und in die richtige Richtung“. Sonst säße er nicht mehr hier.

Auch Goldberger jammerte

Dass aber Siege und Ergebnisse fehlen, versetzt die verklärte österreichische Sportseele in Wallung. Ein Punkt ist jedoch in dem Wahn um die Seriensiege der Superadler in Vergessenheit geraten: Es gab doch auch eine Zeit davor – und in der siegten jahrelang weder Goldberger noch Höllwarth, Widhölzl, Loitzl oder Horngacher. Besonders erinnerlich blieb dem „Presse“-Berichterstatter das stete Wehklagen von Andreas Goldberger. Ihn plagte das gleiche Phänomen, mit dem sich jetzt etwa Stefan Kraft herumschlägt: dass Seriensieger wegen Regeländerungen, neuen Materials oder neuer Techniken plötzlich ins Leere springen, nichts mehr zusammenbringen. „Goldis“ Stehsatz fiel immer, immer wieder: „I möcht so gern no amoi g'winna.“

Felder, der die Einsamkeit und Ausflüge in seinem Campingbus liebt, macht weiterhin keine Versprechungen, lehnt Brechstangen oder heillose Panikreaktionen entschieden ab. Dass Kraft („Ein Rennpferd“) in Garmisch die Nerven durchgegangen waren, sei ein Fehler gewesen. Den werde er nicht wiederholen, schon gar nicht in Innsbruck. Felder wolle auch keinem Springer eine Auszeit für Extratrainings geben oder einen gar austauschen. Warum denn? Es seien die „besten Springer Österreichs“ am Start.

Markus Schiffner verpasste wie die der nationalen Gruppe angehörenden Thomas Hofer, David Haagen und Andreas Kofler den Startplatz. Beklemmend, wenn man am Bergisel so um sich blickt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2019)

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