Shell: "Hören wir auf, uns für Benzin zu entschuldigen"

Shell Hoeren fuer Benzin
Shell Hoeren fuer Benzin(c) Teresa Zötl
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Shell-Chefstratege Karl Rose erklärt im Gespräch mit der "Presse", wovon der Erdölgigant in 50 Jahren leben wird und warum sich das Unternehmen im Nahen Osten wohler fühlt als bei der Fotovoltaik.

„Die Presse“: Haben Sie eigentlich Angst vor dem Elektroauto?

Karl Rose: Nein. Es wird ja oft so dargestellt, dass Ölkonzerne gegen das Elektroauto seien. Das Elektroauto ist eine Entwicklung, die ich persönlich sehr begrüße. Aber es wird nicht innerhalb von ein bis zwei Jahren nur mehr Elektroautos geben. Daher ist das auch nichts, was uns Angst macht. Wir sind ein starkes Unternehmen und haben keine Angst vor der Zukunft.

Das Elektroauto wird aber den Verkauf von Diesel und Benzin reduzieren und Ihnen so direkt Geschäft wegnehmen.

Rose: Es wird Geschäft wegnehmen, das ist richtig. Öl und Gas werden aber auch in Bereichen abseits vom Transport benötigt. Daher bricht mit dem Elektroauto unser Geschäftsmodell nicht zusammen. Darüber hinaus darf man den langen Zeithorizont nicht vergessen. Nennenswerte Prozentzahlen am Autobestand wird es nicht vor 2030 geben.

Das sind aber schon Zeiträume, in denen Sie als Chefstratege von Shell denken dürften. Bis wann planen Sie eigentlich?

Rose: Bis circa 2050.

Und womit wird ein Energiekonzern wie Shell im Jahr 2050 vornehmlich sein Geld verdienen?

Rose:Da müsste ich sehr unseriös raten. Aber die Antwort dürfte bereits in der Frage liegen – mit Energie. Das Tankstellengeschäft ist zwar sehr bekannt, aber eigentlich schon heute einer der kleineren Bereiche. Wichtig bleibt natürlich die Förderung von Öl und Gas. Bei Letzterem wird die Bedeutung in der Stromproduktion sogar noch zunehmen. Darüber hinaus beschäftigen wir uns stark mit Biotreibstoffen, aber auch mit Wasserstoff oder Windkraft. Wir hatten sogar Aktivitäten im Solarbereich.

Warum haben Sie sich aus der Zukunftstechnologie Fotovoltaik wieder zurückgezogen?

Rose: Unser Rückzug aus der Fotovoltaik heißt nicht, dass wir nicht an die Zukunft dieser Technologie glauben. Im Gegenteil. Ich glaube, dass die Fotovoltaik eine sehr wichtige Rolle im Energiesystem spielen wird. Allerdings werden wir dabei nicht die Nummer eins oder Nummer zwei sein können. Und man sollte sich nur in den Bereichen engagieren, in denen man zu den Gewinnern zählen kann.

Was sagen Sie in diesem Zusammenhang zu dem Vorwurf, dass Ölkonzerne fertige Lösungen für Wasserstoff- oder Elektroautos hätten, diese aber unter Verschluss hielten, um ihr Geschäft nicht zu gefährden?

Rose: Das ist so ein Unsinn, dass ich dafür gar keine Worte habe. Es gibt unter den Vorständen keine Gespräche nach dem Motto: „Jetzt verhindern wir etwas“. So könnte man als Firma nie überleben.

Woher, glauben Sie, kommt das schlechte Image von Ölkonzernen?

Rose: So pauschal kann man das ja nicht sagen. Große Konzerne geben einzelnen Individuen aber oft das Gefühl, dass man keinen Überblick hat, was dort eigentlich passiert. Ein Großkonzern besteht aber auch aus ganz normalen Menschen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und versuchen, möglichst gute Entscheidungen zu treffen. Die Shell-Vorstände führen etwa privat oft ein richtig „grünes“ Leben.

Wie groß ist das Engagement von Shell in „grünen“ Technologien tatsächlich? Wie viel Ihrer Forschungsausgaben von rund 850 Mio. Euro pro Jahr gehen in diesen Bereich?

Rose: Im Detail kann ich das nicht sagen. Aber der Bereich Biokraftstoffe ist bei den Forschungsausgaben inzwischen richtig dominant, weil die Entwicklung sehr teuer ist. Dort sehen wir für uns aber auch das größte Potenzial.

Sind Biokraftstoffe Ihre Strategie, um der politischen Forderung nach einem sinkenden CO2-Ausstoß nachzukommen? Diese lässt sich ja nur erfüllen, wenn weniger fossile Energieträger verbrannt werden.

Rose: Zuerst einmal: Wir machen Produkte, die die Gesellschaft von uns will. Würden alle Erdölfirmen kein Benzin und keinen Diesel mehr produzieren, hätte die Welt ein großes Problem. Die CO2-Problematik geht nicht nur Shell etwas an. Das ist eine Frage, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen. Um die Klimaziele zu erreichen, müsste etwa Österreich bis 2050 völlig emissionsfreien Verkehr haben.

Der Kunde kann an der Tankstelle aber nur das kaufen, was angeboten wird.

Rose: Er hat aber auch kein Auto, das mit etwas anderem fahren würde. Diese Autos gibt es entweder noch nicht, oder sie werden vom Kunden schlicht nicht angenommen. Wir müssen aufhören, uns dafür zu entschuldigen, dass wir Benzin verkaufen. Natürlich verkaufen wir Benzin. Was sollen wir denn sonst verkaufen? Es ist eine verquere Logik zu sagen: „Ihr seid am CO2-Ausstoß schuld.“ Das sind wir überhaupt nicht. Die Lösung für das CO2-Problem müssen wir als Gesellschaft finden.

Wie könnte sie aussehen?

Rose: Es gibt nicht eine Lösung. Es wird ein Mosaik an Lösungen sein, das von Land zu Land verschieden aussehen wird: Zuckerrohr-Ethanol in Brasilien, Nuklearenergie in Frankreich und Wasserkraft in Österreich. Beim Treibstoff heißt das: In einigen Ländern wird es mehr Biosprit geben, in anderen mehr Elektroautos, und wieder andere Länder werden vorerst gar nichts machen. Darauf wird die Industrie entsprechend reagieren. Aber sie kann nicht reagieren, wenn die Gesellschaft nicht weiß, was sie will.

Der Klimaschutz ist ja nur eines der Probleme bei fossiler Energie. Ein anderes ist die Abhängigkeit von Ländern aus dem Nahen Osten. Wird diese 2050 geringer sein?

Rose: Wir werden ein anderes Energiesystem haben und wahrscheinlich neue Abhängigkeiten. Es gibt 30 seltene Rohstoffe, die man für „grüne“ Technologien braucht. Wo sind die zu finden? Nicht in den Industrienationen. Mit solchen Abhängigkeiten lebt die Welt schon lange. Shell investiert seit über 100 Jahren im Nahen Osten. Das ist unsere Kernkompetenz, da fühle ich mich wohl. Anders als bei der Fotovoltaik.

Zur Person

Karl Rose, geboren 1961 in Graz, begann nach dem Studium der Erdölwissenschaften an der Montanuni Leoben seine Karriere auf Bohrinseln in der Nordsee. Danach war er für Shell auf der ganzen Welt tätig. 2008 begann er seine Tätigkeit als Chefstratege des holländisch-britischen Ölkonzerns. Künftig wird Rose für das World Energy Council tätig sein, das sich mit dem Thema „nachhaltige Energieversorgung“ beschäftigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2010)

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