Plastikkreislauf

Vom Mistkübel ins Mittelmeer

(c) Marin Goleminov, Presse
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Ein Albatros liegt verendet am Strand. In seinem Inneren befindet sich ein Sammelsurium von Flaschendeckeln, Gummibändern und weiteren Plastikteilen. (Was) hat der österreichische Durchschnittsverbraucher damit zu tun?

Die Produktion von Plastik boomt. Auch wenn sich Gesellschaft und Politik europaweit verstärkt dem Thema Plastikvermeidung und Recycling widmen, sieht die Lage international anders aus. In den vergangenen Jahren sind die Produktionszahlen stetig gestiegen. Waren es 2016 global 335 Millionen Tonnen neu produzierter Kunststoff, stieg die Zahl 2017 auf rund 348 Millionen Tonnen.

Und auch in Europa stiegen die Produktionszahlen in diesen Jahren von 60 Millionen Tonnen auf 64 Millionen Tonnen. Circa acht Millionen Tonnen des globalen Plastiks landen jährlich in den Weltmeeren und sammeln sich in sogenannten Plastikteppichen.


Die US-Behörde für Raumfahrt und Flugwissenschaft, Nasa, hat in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Ozean- und Wetterbehörde, NOAA, eine Grafik erstellt, um die Bewegungen und Ansammlungen von Plastik in den Ozeanen zu visualisieren. Hierfür wurden Wetterbojen genutzt, die über einen Zeitraum von 35 Jahren in die Ozeane gesetzt wurden. (Videoquelle: Greg Shirah und Horace Mitchell, Nasa Scientific Visualization Studio)

Ein Teppich? Eine Insel? Oder doch Plastiksmog?

Ein Meer aus Plastik, flächendeckend, ohne erkennbare Wasseroberfläche. Das ist wahrscheinlich das erste Bild, das einem in den Sinn kommt, wenn die Begriffe Plastikteppich oder Plastikinseln fallen. Insgesamt fünf dieser Plastikinseln existieren, allesamt jeweils verortet bei den fünf großen Ozeanstrudeln im Nord- und Südpazifik, Nord- und Südatlantik und im Indischen Ozean. Hierhin werden große und mikroskopisch kleine Plastikteile durch Wind und Strömungen getragen. Der größte und bisher am umfassendsten untersuchte Plastikmüllteppich befindet sich im Nordpazifik, der sogenannte Great Pacific Garbage Patch zwischen der kalifornischen Küste und dem Inselstaat Hawaii.

Auch wenn aufgrund der Größe des betroffenen Bereichs zwischen Hawaii und den Vereinigten Staaten genaue Angaben schwer zu treffen sind, wurde die Fläche des Great Pacific Garbage Patch zuletzt von Forschern des Projekts The Ocean Cleanup auf circa 1,6 Millionen Quadratkilometer geschätzt. Das entspricht ungefähr dem Zwanzigfachen der Fläche Österreichs. Zudem stellte die Non-Profit-Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Methoden und Technik zur Säuberung der Weltmeere zu entwickeln, in mehrjähriger Arbeit fest, dass circa 80.000 Tonnen Plastikmüll im nordpazifischen Ozeanwirbel treiben. Die Dichte pro Quadratkilometer beträgt hier eine Million Partikel.

Das Non-Profit-Institut 5 Gyres (übersetzt: Fünf Wirbel) hat sich ebenfalls mit dem Wirbel auseinandergesetzt und fand heraus, dass der größte Kunststoffanteil des Great Pacific Garbage Patch aus Mikroplastik besteht, das mit bloßem Auge häufig gar nicht zu erkennen ist. Die Bezeichnung Plastikteppich ist deshalb laut der Organisation irreführend. Es handle sich vielmehr um einen Plastiksmog. Auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, Unep, kritisiert die mittlerweile in Medien und Gesellschaft weit verbreitete Bezeichnung als Plastikteppich bzw. Patch (Deutsch: Flecken).

Europäische Meere und Binnengewässer betroffen

Nicht nur in den drei großen Ozeanen der Erde, sondern auch in den Flüssen und Meeren Europas konnte eine Umweltbelastung durch Plastikmüll nachgewiesen werden. Beispielsweise haben 2018 mehrere deutsche Umweltämter Mikroplastik in west- und süddeutschen Flüssen nachgewiesen, unter anderem auch in der Donau. Kein Wunder, ist Europa laut dem Statistikportal Statista mit jährlich rund 64 Millionen Tonnen doch zweitgrößter Plastikproduzent nach China. 

Im Mittelmeer ist die Lage durch hohes Touristenaufkommen und mangelndes Abfallmanagement besonders verheerend. Da es außerdem von drei Kontinenten umschlossen wird, findet im Mittelmeer nur ein geringer Wasseraustausch mit den Ozeanen statt. Die Konzentration an Mikroplastik übersteigt hier laut WWF-Angaben mit 1,25 Millionen Mikroplastikpartikeln pro Quadratkilometer mittlerweile sogar die Konzentration an Plastikfragmenten im Great Pacific Garbage Patch. Auch in Nordeuropa hat das Plastikproblem bereits die angrenzenden Meere erreicht. So schätzt der Naturschutzbund Nabu, dass jährlich bis zu 20.000 Tonnen Plastikmüll in die Nord- und Ostsee gelangen.

Insgesamt geht die Umweltorganisation WWF davon aus, dass die europäischen Meere jährlich mit bis zu 500.000 Tonnen Makroplastik und bis zu 130.000 Tonnen Mikroplastik belastet werden.

Vom österreichischen Mistkübel in die Weltmeere

Doch inwiefern hat dies alles etwas mit dem Konsumverhalten der Österreicher zu tun? Schließlich sieht der gewöhnliche Umgang mit Müll hierzulande doch so aus: Man schmeißt seinen Müll nicht auf die Straße, sondern trennt ihn in Verpackungsmaterial, Flaschen, Papier, Restmüll und vielleicht sogar Bioabfall. Alles wird in entsprechenden Tonnen entsorgt, die Müllabfuhr kommt einmal in der Woche und leert die jeweiligen Behälter. Sind Österreicher dennoch dafür verantwortlich, dass eine Schildkröte im Pazifischen Ozean erstickt, weil ihr ein kleines Stück Plastikgabel in der Luftröhre stecken geblieben ist?

Schon durch sein Essverhalten hat der österreichische Verbraucher Einfluss auf das Plastikvorkommen in den Ozeanen. Beispielsweise kommt Wildlachs häufig aus dem nordöstlichen Atlantik oder Chile. Das marine Ökosystem wird hier nicht nur durch verabreichte Antibiotika in Aquakultur-Zuchtanlagen und Überfischung aus dem Gleichgewicht gebracht, sondern auch durch verloren gegangene Fangnetze, die aus Nylon bestehen. Diese verbleiben in den Ozeanen und werden zu Fallen für Wale, Seerobben und Schildkröten. Dazu zerstören absinkende Netzreste auf dem Meeresgrund laut Unep Korallen und andere Organismen. Organisationen wie der WWF empfehlen daher, möglichst nur Fisch aus regionalen Gewässern zu verzehren.

Daneben gelangen auch kleine Teile wie der eben einmal fallen gelassene Zigarettenstummel, Mikrokügelchen aus Kunststoff, die in Reinigungsmitteln und Kosmetika enthalten sind, und Fasern von synthetischen Textilien in die Kanalisation. Die oftmals nicht einmal millimetergroßen Partikel können in den Abwasserkläranlagen nicht herausgefiltert werden und landen so in Flüssen, Seen und schließlich Meeren. Bereits 2015 hat eine Studie des österreichischen Umweltbundesamtes ergeben, dass jährlich vermutlich 40 Tonnen Plastik in die Donau gelangen. „Zwar gibt es keine direkte Verbindung von Österreich in den Pazifik, der Plastikmüll, der in die Donau gelangt, landet aber letzten Endes zumindest im Schwarzen Meer und belastet die dortige Umwelt“, so Florian Kozak, Pressesprecher von WWF Austria.

Nicht zuletzt zählt auch der weltweite Massentourismus zu den großen Plastikmüllfaktoren. Denn auch wenn der österreichische Tourist im Urlaub in Südostasien sein benutztes Plastikbesteck im Optimalfall in den nächsten Mistkübel wirft, kann er nicht sicher wissen, ob dieses auf einer Müllhalde oder eben in Gewässern, Ozeanen und schließlich im Körper einer Meeresschildkröte landet.

„Vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern gibt es beim Abfallmanagement große Defizite“, sagt Marion Huber-Humer, Leiterin des Instituts für Abfallwirtschaft an der Wiener Universität für Bodenkultur. „Müll landet hier auf der Straße und wird durch Wind und Regen in die Kanalisation, Flüsse und schließlich Meere gespült.“ Eine Studie aus dem Jahr 2015, auf die sich auch Unep bezieht, bestätigt dies. Aus der amerikanischen Studie geht hervor, dass vor allem Plastikabfall aus südostasiatischen Ländern in großen Mengen in die Ozeane gespült wird. Allein aus China gelangen so jährlich 8,82 Millionen Tonnen Plastikabfall in den Ozean, gefolgt von Indonesien (3,22 Millionen Tonnen), den Philippinen (1,88 Millionen Tonnen) und Vietnam (1,83 Millionen Tonnen).

Doch auch in den Ländern, in denen die Abfallwirtschaft augenscheinlich problemlos funktioniert, liegt es an den Verbrauchern, ihren Konsum unter die Lupe zu nehmen. Alltägliche Güter wie Smartphones, Kleidung, Fernseher oder Spielzeug bestehen häufig zu großen Teilen aus Kunststoff. Viele dieser Waren werden in eben solchen Schwellenländern mit mangelhafter Abfallwirtschaft produziert und anschließend auf dem Seeweg nach Europa geliefert. Regelmäßig verlieren Frachtschiffe allerdings Ladung, im Jänner 2019 ganze 270 Container während eines Sturms in der Nordsee. So entsteht praktisch eine Doppelbelastung, durch Kunststoffabfall vom Land und auf dem Meer.

Abfallwirtschaft in Österreich und Europa

27,1 Millionen Tonnen Plastikabfall sind 2016 in Europa angefallen, rund 298.000 Tonnen allein in Österreich. Im Durchschnitt wurden europaweit 31,1 Prozent recycelt, 41,6 Prozent in Energie umgewandelt und 27,3 Prozent deponiert. Der Europäischen Kommission ist das noch zu wenig, zumal Chinas Importstopp von Plastik Anfang 2018 die Lage verschärft hat. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die EU allein 87 Prozent ihres Plastikmülls dorthin verschifft. Um den nun entstandenen riesigen Überschuss an Plastikmüll verwerten zu können, hat die Europäische Kommission im Jänner 2018 ein neues EU-Kreislaufwirtschaftspaket verabschiedet.

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