Wettbewerbsrecht: Kampf um den „Schienen-Airbus“

Ein Arbeiter von Alstom bei der Konstruktion einer TGV-Garnitur im südwestfranzösischen Werk Aytré.
Ein Arbeiter von Alstom bei der Konstruktion einer TGV-Garnitur im südwestfranzösischen Werk Aytré.(c) REUTERS (Regis Duvignau)
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Mit politischem Druck versuchen Siemens und Alstom, die Fusion ihrer Bahnsparten gegen den Willen der EU-Kommission zu erzwingen – doch vermutlich erfolglos.

Brüssel. Am Montagmorgen legte Joe Kaeser die Glacéhandschuhe ab. „Wer Europa liebt, der sollte seine Zukunft gestalten und sich nicht in rückwärts gerichteten Formeln verlieren“, richtete der Vorstandsvorsitzende von Siemens der EU-Wettbewerbskommissarin Margrete Vestager mit einer Twitter-Meldung aus. „Es muss bitter sein, wenn man technisch recht hat, aber für Europa doch alles falsch macht.“

Bei den zahlreichen Rechtsanwälten, die im Auftrag von Siemens die geplante Fusion der Bahn- und Signaltechniksparte mit jener des französischen Konkurrenten Alstom vorbereiten, dürfte die Lektüre dieses Tweets nicht zu einem freudvollen Start in die Arbeitswoche beigetragen haben. Denn dieser Tage, möglicherweise schon am Mittwoch, wird sich entscheiden, ob die Schaffung eines deutsch-französischen „Schienen-Airbus“, wie das Projekt in Anspielung auf das europäische Vorzeigeunternehmen in der Luftfahrtindustrie genannt wird, am Wettbewerbsrecht der EU scheitert oder nicht. Am Mittwoch tagen die 28 Mitglieder der Europäischen Kommission, schon tags zuvor klären ihre Kabinettschefs die Agenda. Und wie es schon vorab aus dem Berlaymont-Gebäude der Kommission heraussickerte, dürfte die Kommission ihre ablehnende Haltung nicht aufgeben.

Die chinesische Keule

Nein zur Fusion. Nein zur Schaffung eines europäischen Großkonzerns in Zugbau und Signaltechnik, der weltweit die Nummer zwei hinter dem chinesischen Staatskonzern CRRC wäre. Womit wir beim Kern dieses wirtschaftspolitischen Konflikts sind, nämlich der Bedrohung durch China.

Die Wirtschaftsminister Deutschlands und Frankreichs, Peter Altmaier und Bruno Le Maire, werden nicht müde zu betonen, dass der Zusammenschluss der Hersteller des französischen TGV und des deutschen ICE notwendig sei, um sich diesem chinesischen Konkurrenten in Europa und weltweit entgegenstellen zu können. CRRC ist, am Umsatz gemessen, doppelt so groß wie die beiden Unternehmen. Wie sollten sie also getrennt im Ringen um den Zuschlag zum Bau der Hochgeschwindigkeitszugnetze weltweit bestehen können? Doch dieses Argument verfängt bei der Kommission nicht. „Dieses vor allem französische Argument der chinesischen Bedrohung: Natürlich ist CRRC doppelt so groß, aber es hat null Einfluss auf den europäischen Markt“, sagte ein Vertrauter Vestagers zur „Presse“. Die Chinesen haben bisher keinen einzigen Meter Schiene in Europa verlegt, nicht einmal durch die Vorrunden von öffentlichen Ausschreibungen hätten sie es geschafft. „Dieses Unternehmen ist für Siemens und Alstom keine Bedrohung.“

Eine Sicherheitsfrage

Zudem müsse man die globalen Marktanteile realistisch betrachten: Mit dem kanadischen Hersteller Bombardier seien die beiden europäischen Konzerne weltweit die Top drei, denn den riesigen chinesischen Markt für Hochgeschwindigkeitszüge müsse man herausrechnen, da er für ausländische Bieter völlig geschlossen sei.

Ein weiteres Argument, das bei den Wettbewerbshütern in der Kommission auf offene Ohren stößt, kommt vom Verband der europäischen Infrastrukturmanager (EIM). Sämtliche Schieneninfrastruktur gilt nach der EU-Richtlinie 2016/1148 als „kritische Infrastruktur“. „Daher wäre der Ankauf von Know-how von außerhalb der EU in vielen Fällen für Infrastrukturmanager keine Option, auch aus Sicherheitsgründen“, hält der Verband in einem der „Presse“ vorliegenden Brief an die Kommission fest. Ein nationales Schieneninfrastrukturunternehmen hat der Kommission zudem vertraulich erklärt, wenn es dank einer Siemens-Alstom-Fusion nur mehr einen Anbieter für bestimmte Signaltechnik gäbe, müsste es aus Gründen der unternehmenseigenen Vorgaben erst recht im Nicht-EU-Ausland nach Lieferanten suchen: Denn zu groß wäre dann das Risiko, bloß von einem Anbieter abhängig zu werden.

Zu spät nachgebessert?

Bis 18. Februar läuft die Frist der Kommission. Sie wird schon früher entscheiden: Ein Angebot der beiden Konzerne vom Freitag, kleine Unternehmensanteile abzustoßen, sei „weit, weit nach der üblichen Frist“ gekommen, kritisierte Kommissarin Vestager am Wochenende. „Wenn Nachbesserungen so spät eingereicht werden, müssen sie wirklich, wirklich gut sein“, sagte ihr Vertrauter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2019)

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