Frühlingserwachen

(c) Ute Woltron
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Die Sonne gewinnt täglich an Kraft, was nicht nur die Tierwelt in Frühlingsstimmung versetzt; doch nur dort, wo wilde Gärten noch Lebensraum bieten, können sie überleben

Mitte Februar. Sonnenschein und erste Frühlingsgefühle. Es die Jahreszeit, in der mein Großvater mit einem Kübel weißer Kalkfarbe und einem dicken Malerpinsel durch den Garten ging und die Stämme seiner geliebten Obstbäume mit einem sogenannten Weißanstrich tünchte.
Sie sahen danach zwar irgendwie befremdlich aus, und der Obstgarten wirkte in den Wochen, bis der Regen die Farbe wieder abgewaschen hatte, wie ein künstlicher Birkenhain, doch die Bäume standen an einem Südhang. Sie waren der vollen Sonne ausgesetzt und somit in Gefahr.

Wenn sich die Wärme der Frühlingssonne auf die dunkle Rinde legt und sie kräftig aufheizt, kann der Temperaturunterschied zwischen Schattenseite und Sonnenseite so groß werden, dass die Stämme aufreißen, was den Baum schwer schädigen, ja sogar umbringen kann. Die weiße Farbe schützt sie davor, denn sie reflektiert das Licht und reduziert die Hitze. Die Bäume gehen nicht so schnell in Saft, und auch einen zweiten Vorteil hat die Kalktünche: Sie tötet Larven und Eier diverser Schadinsekten ab, die in den Ritzen der Borke überwintern.

Den Weißanstrich gibt es zwar fertig zu kaufen, doch die traditionelle Methode ist einfach selbst herzustellen. An einem frostfreien Tag werden gelöschter Kalk und Wasser im Verhältnis von etwa eins zu fünf mit etwas Tapetenkleister gut vermischt, eine Viertelstunde stehen gelassen und dann aufgetragen. Besonders Sorgfältige bürsten die Baumstämme zuvor ab.

Vogelgesang. Dass die Sonne bereits höher steigt und an Kraft gewinnt, spüren nicht nur wir selbst, auch die Tiere kündigen den Frühling bereits recht deutlich an. Die Vögel haben ohnehin bereits vor Wochen begonnen, ihre Frühlingsgesänge anzustimmen und Nester zu bauen, und wenn es eines letzten Beweises bedurfte, dass der Winter schwächelt, so krabbelt dieser seit ein paar Tagen durch die Wohnung: Die Ameisen sind aufgewacht.

Über den Winter haben sie sich metertief in die Erde zurückgezogen, haben die Eingänge des Baus verrammelt und sind kollektiv in Winterstarre gefallen. Was jetzt herumkrabbelt, ist erst die Vorhut, aber immerhin. Die Ameise ist, wie der Vogelgesang, das Präludium zur warmen Zeit. Wer Glück hat, kann auch schon die ersten Zitronenfalter gaukeln sehen. Sie fliegen nur, wo sie die rechten Bedingungen vorfinden, etwa zu Faulbäumen, an denen sich die Zitronenfalterraupen laben, und Gärtnern, die ohne Giftspritzerei ihr grünes Reich im Griff behalten. Ein kleiner Perspektivwechsel in der Betrachtung kann hier nicht schaden. Wem gehört das da draußen eigentlich? Sicher nicht uns allein. Es ist höchste Zeit, den Garten auch aus der Sicht seiner Bewohner zu verstehen und ihn entsprechend zu gestalten.

Angesichts der Schwanzmeisen, die sich in Scharen in der alten Lärche einfinden und Insekten sowie Larven aus der Rinde picken, der Amseln und Drosseln, die sich an den mittlerweile vertrockneten Früchten von Wein und Mauerkatze gütlich tun, der Eichkätzchen, die Bucheckern jausnen und mit offensichtlichem Appetit die im Herbst vergessenen Äpfel verspeisen, wird einmal mehr klar, dass wir für die Fauna Verantwortung tragen und die Flora dementsprechend gestalten müssen.
Zu viel Lebensraum wurde gestohlen, kaum je an Ersatz gedacht. Deshalb wieder einmal der Aufruf an alle, die Gärten pflegen, und mögen sie noch so klein sein: Spritzt niemals Gift! Lasst ein paar Quadratmeter Wiese blühen. Pflanzt Obstbäume und heimische Sträucher. Entsagt dem allzu großen Säuberlichkeitswahn und lasst da und dort auch ein wenig Wildnis zu. Legt Komposthäufen an und bedenkt, dass in den oberen 30 Zentimetern eines einzigen Quadratmeters guter Gartenerde an die 1,6 Billionen Kleinstlebewesen zu Hause sind. Auch sie wollen gefüttert werden, etwa mit Gründüngung, Komposterde, Mulch, und sie danken es, indem sie den besten Humus produzieren.

Teilweise zu spät. Noch ist es zu früh, die trockenen Staudenreste abzuschneiden und den Garten auf Vordermann zu bringen, aber bis es demnächst so weit ist, bietet sich die Gelegenheit, genau zu überlegen, welche Pflanzen demnächst eingesetzt und wie der Garten tiergerecht gestaltet werden kann. Je mehr Gärtner nicht auf einen akkuraten Rasen, sondern auf das belebte, von Insekten durchschwirrte und von Haselmäusen durchturnte grüne Reich Wert legen, desto besser. Verbünden wir uns. Für manche Tierarten ist es bereits zu spät, schützen wir wenigstens, was wir Menschen noch nicht vernichtet haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2019)

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