Algerien: Bouteflikas Rückkehr in ein Land im Aufruhr

In Algier gingen erneut vor allem junge Leute auf die Straße, um gegen den altersschwachen Langzeitmachthaber zu demonstrieren.
In Algier gingen erneut vor allem junge Leute auf die Straße, um gegen den altersschwachen Langzeitmachthaber zu demonstrieren.(c) REUTERS (ZOHRA BENSEMRA)
  • Drucken

Die Protestwelle gegen den altersschwachen Langzeitmachthaber lässt sich auch mit allerlei Schikanen und Tricks nicht aufhalten. Am Sonntag wurde er in Genf abgeholt. Macht er den Weg frei für einen Ausweg aus der Krise?

Algiers/Tunis. Mitten in der Zeit des Aufruhrs schickte die algerische Führung am Sonntag ein Flugzeug nach Genf, um Präsident Abdelaziz Bouteflika, der sich dort seit Wochen in einer Klinik befindet, zurückzuholen. Währenddessen gingen in Algier erneut vor allem junge Leute auf die Straße, um gegen den altersschwachen Langzeitmachthaber zu demonstrieren. „Bouteflika, es wird keine fünfte Amtszeit geben!“, gaben sie ihrem Unmut darüber Ausdruck, dass der 82-Jährige am 18. April sich zum fünften Mal in Folge zum Präsidenten wählen lassen will. Die Empörung darüber treibt seit drei Wochen Hunderttausende Algerier auf die Straße.

Die Regierenden in Algier lassen sich inzwischen immer wieder etwas Neues einfallen, um die Protest klein und unter Kontrolle zu halten: Einmal wird der öffentliche Verkehr eingestellt, dann wieder wird der Beginn der Semesterferien verschoben, damit die Studenten die Universitätsstädte verlassen und nach Hause fahren. Während der Ferien dürfen sie nicht in Studentenheimen wohnen. Die Universitäten sind längst zu Hochburgen des Aufruhrs gegen Bouteflika geworden. Überhaupt bilden die jungen Leute die Speerspitze des Protests, weil sie auch am meisten unter der weitverbreiteten Korruption und der chronischen Misswirtschaft zu leiden haben. Ein Viertel der Algerier unter 30 Jahren findet keine Arbeit und hat derzeit auch keine Perspektive auf einen Arbeitsplatz.

Wer regiert das Land wirklich?

Die Protestwelle hat sich aber immer mehr ausgeweitet. Inzwischen sind auch Mitarbeiter von staatlichen und privaten Unternehmen in den Streik getreten, am Sonntag bleiben in Algier Läden und Märkte geschlossen, ganze Straßenzüge waren menschenleer.

Seit 20 Jahren steht der 82-jährige Bouteflika an der Spitze des ölreichen Mittelmeerstaates, in dem niemand weiß, wer die wirklichen Machthaber sind. „Le Pouvoir“, „die Macht“, nennt die Bevölkerung die Nomenklatura aus Generälen, Oligarchen und Politikern der Staatspartei FLN, die hinter den Kulissen des Staates die Strippen ziehen. Bouteflikas größter Verdienst war die Beendigung des Bürgerkrieges, der in den „dunklen Jahren“ von 1992 bis 2000 bis zu 200.000 Todesopfer gefordert hatte.

Und so versuchen derzeit Oppositionspolitiker wie Ex-Premier Ali Benflis mit Verweis auf die Verfassung einen Ausweg aus der brisanten Staatskrise zu suchen, in die sich Algeriens Machtelite durch die fünfte Bouteflika-Kandidatur hineinmanövriert hat. Dazu müsste der zwölfköpfige Verfassungsrat, in dem allerdings Palasttreue die Mehrheit haben, nach Artikel 102 den Präsidenten aus gesundheitlichen Gründen für amtsunfähig erklären. Für eine Übergangszeit von 90 Tagen wäre dann der Sprecher des algerischen Oberhauses, Abdelkader Bensalah, provisorischer Staatschef. Er könnte den Wahltermin vom 18. April in den Sommer verschieben und das politische Ringen um die Nachfolge Bouteflikas und damit den Generationswechsel an der Staatsspitze neu organisieren.

Grollend schaltete sich vergangene Woche erstmals auch die Armeeführung in die eskalierenden politischen Spannungen ein. Es gebe Kräfte, die wollten in das „dunkle Jahrzehnt“ des Bürgerkriegs zurück, orakelte Generalstabschef Ahmed Gaid Salah und warnte das Volk, es müsse wissen, wie man sich „in einem solchen speziellen Kontext“ zu benehmen habe. Er jedenfalls werde „die Sicherheit und Stabilität Algeriens“ garantieren. Die Antwort seiner Landsleute am Wochenende erfolgte postwendend. „Friedlich, friedlich“, riefen die Menschen in den Straßen. (red./m.g.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Bouteflika, wie ihn das algerische Fernsehen zeigt: offener Mund, glasige Augen, an den Rollstuhl gefesselt.
Außenpolitik

Algerien: Das Phantom deutet erstmals seinen Abgang von der Macht an

Der Druck von Hunderttausenden Demonstranten auf den greisen Langzeitpräsidenten, Abdelaziz Bouteflika, scheint Wirkung zu zeigen.
Tränengaseinsatz bei Massenprotest in Algier
Weltjournal

Ältestes Museum Algeriens bei Massenprotesten geplündert

195 Demonstranten wurden in Algier wegen des Verdachts auf Plünderungen und Vandalismus festgenommen.
Außenpolitik

Algerien: Ein Hauch von Arabischem Frühling

Mit einem „Millionenmarsch“ wollen aufgebrachte Algerier gegen die fünfte Amtszeit ihres gelähmten Präsidenten, Abdelaziz Bouteflika, protestieren. Die Regierung reagiert mit Zensur, Drohungen – und Polizeieinsätzen.
Abdelaziz Bouteflika ist seit 1999 im Amt, tritt aber kaum noch öffentlich auf.
Außenpolitik

Bouteflika reicht Kandidatur für Präsidentenwahl in Algerien ein

Der algerische Langzeit-Präsident Abdelaziz Bouteflika bewirbt sich trotz massiver Proteste nun offiziell für eine fünfte Amtszeit.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.