Oberösterreich: Polizist erschießt 84-Jährigen

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Jener 84-Jährige, der von einem Polizisten erschossen wurde, galt als freundlich und zurückgezogen. Die vermeintliche Waffe, mit der er einen Zeitungskolporteur und zwei Polizisten bedroht hatte, war eine Attrappe.

LAAKIRCHEN. Christa Attwenger hat die Schüsse gehört. Trotz des Verkehrslärms: Höchstens drei, vier Sekunden lagen zwischen dem ersten und dem zweiten Schuss, sagt die Nachbarin von Josef Sch. Der Pensionist wurde Mittwochfrüh vor seinem Haus in Laakirchen in Oberösterreich von einem Polizisten erschossen. Christa Attwenger sagt, sie sei eine Nachteule und schlafe immer sehr unruhig, deshalb sei sie sicher: Die Schüsse fielen exakt um 2.22Uhr, sie habe noch auf den Radiowecker geschaut, dann gehorcht, ob sie Sirenen höre, Feuerwehr oder Rettung, aber da war nichts. Dann habe sie sich wieder hingelegt.

In diesen Minuten starb der Pensionist. Der 84-Jährige soll zuvor zwei zu dem Einsatz gerufene Polizisten mit einer Waffe, die der Pi 38, einer Pistole aus dem Zweiten Weltkrieg vom Kaliber neun Millimeter täuschend ähnlich ist, bedroht haben. Die Polizisten geben an, der Mann habe die Waffe, von der sie noch geglaubt haben, sie sei echt, nicht weglegen wollen, er habe auch auf Zurufe nicht reagiert.

Durch Seitenfenster bedroht

Die Vorgeschichte: Als die beiden Polizisten Mittwochfrüh auf Streife waren, ging in der Bezirksleitstelle Gmunden der Anruf eines Zeitungskolporteurs der „Oberösterreichischen Nachrichten“ ein. Er meldete, dass ein älterer Mann ihn durch das heruntergelassene Seitenfenster mit einer Waffe bedroht habe. Der Zeitungskolporteur war zu diesem Zeitpunkt erst zwei Wochen im Dienst, er kannte die Gegend und die Adressen der Abonnenten noch nicht und fuhr in den an drei Seiten von Thujen und Maschendrahtzaun begrenzten Vorgarten des Pensionisten, um das Straßenschild zu lesen. Am Krückstock sei dann der gehbehinderte Mann auf ihn zu gekommen, er habe eine auf ihn gerichtete Waffe in dessen Hand erkannt, weshalb er flüchtete und die Polizei verständigte.

Warum die Bezirksdienststelle dann nicht wie in solchen Fällen üblich das Sondereinsatzkommando Cobra verständigt oder zumindest Verstärkung gerufen hat, und ob der Einsatz der Schusswaffe gerechtfertigt war, überprüfen derzeit aus Gründen der Objektivität aus dem Nachbarbundesland beorderte Beamte des Landeskriminalamts Steiermark.

Fest steht schon jetzt: Ein Warnschuss ging in den Boden, der nächste traf Sch. in die Brust, die Kugel durchschlug seinen Körper und blieb in der mit Tapeten bezogenen Wand hinter der hölzernen Haustür stecken.

Über die Motivation des Pensionisten, zu einer Attrappe der Pi 38 zu greifen, herrschte zunächst Unklarheit. Er sei niemals aggressiv gewesen, sagt Nachbarin Attwenger. Soweit sie wisse, war er keiner, der sich gerne mit Kriegsrelikten oder Waffen umgab. Vielleicht, mutmaßt die Frau, habe der betagte Mann Angst gehabt. Die zwei Kameras im Eingangsbereich sollten Einbrecher abschrecken, womöglich habe er auch ein Verbrechen befürchtet.

Sch., der früher in der hiesigen Papierfabrik gearbeitet hatte, lebte jedenfalls nach dem Tod seiner Frau vor einigen Jahren sehr zurückgezogen in dem Haus direkt an der stark befahrenen Weinstraße. Isoliert sei er aber nicht gewesen, sagt Attwenger; seine Tochter habe ihn täglich zum Mittagessen abgeholt, seit er sich vor einiger Zeit nicht mehr zutraute, selbst mit seinem Moped zu ihr zu fahren. In seinem Haus habe auch sein etwa vierzigjähriger Enkelsohn gelebt. Ruhig soll Josef Sch. gewesen sein und freundlich, sagt seine Nachbarin.

Was ist passiert?

Herauszufinden, was am Mittwoch nach 2.15 Uhr vor dem unauffälligen Mansardenhaus in der Weinstraße passiert ist, liegt nun bei den Steirer Ermittlern. Drei ihrer dunklen Dienstaudis parkten gestern auf dem sonnigen Rasen im Vorgarten, mit der Welser Staatsanwältin besahen sie die fünf nummerierten weißen Kreidekreuze, die acht Markierungen in Neongelb. Wo stand der Polizist, der den tödlichen Schuss abgab, wo die abgestellten Autos, wohin genau ging der erste Schuss?

Die beiden Streifenpolizisten werden psychologisch betreut und sollten noch gestern befragt werden. Geplant ist auch eine Rekonstruktion des Vorfalls.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2010)

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