Festwochen: Als die Donaustädter schreiend gen Donaufeld zogen

(c) Wiener Festwochen/Elodie Grethen
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Von Cis nach Trans: Das städtische Festival ging auf Exkursion in die kulturell unterdotierte, die „andere“ Seite der Stadt – und brachte ein „Beat House“ in einen Gemeindebau, eine schwarze Fahne in eine Sportarena und laute Schreie auf ein weites Feld.

„Bleibt sauber!“, steht auf einer Tafel im Alfred-Klinkan-Hof in Kagran. Und: „Seid möglichst leise! Andere brauchen Ruhe.“ Eine Ausnahme von diesem Gebot wurde am Samstag verfügt, und zwar im Rahmen der Wiener Festwochen, die heuer mit einer Exkursion ihrer Community in die Donaustadt begannen. Zunächst eben in den Klinkan-Hof, den Künstlerin Anna Witt in ein „Beat House“ verwandeln wollte. Die aufgezeichneten Herzschläge der Bewohner sollten sich „zu einem kollektiven Sound vereinen“, steht im Programmheft: „Dem Sound der Stadt.“

Klingt ja cool, doch das Ergebnis klang weniger beeindruckend, am ehesten nach Eisenbahn. Einmal drang kurz Musik durchs halbstündige dumpfe Grollen: Falcos „Vienna Calling“. Ein gewitzter Bewohner hatte offenbar Mitmachkunst allzu demokratisch verstanden, hätte seinen Sound gern in den Sound der Stadt eingebracht, doch die kecke Störung wurde rasch abgestellt. Schade.

Fahne im Stroboskoplicht

„Wie ist noch Widerstand möglich in einem System, das es geschafft hat, jede Form von Opposition zu vereinnahmen?“ Diese düstere Frage, auch im Programmheft zu lesen, sollte die Mini-Performance „Relay“ erklären, die daraus bestand, dass fünf Stunden lang eine schwarze Fahne im Stroboskoplicht geschwungen wurde. Und das im grünroten Wien. Nein, wie anarchisch!

Geschwungen wurde sie in der nach einer Bank benannten Sportarena in Kagran, wo nicht nur das erste große Theaterstück der Festwochen (siehe „Presse"-Kritik über „Diamante") stattfand, sondern auch eine Eisdisco (immer super!), die Eröffnungsreden sowie ein paar Performances.

Wo der 21. Bezirk beginnt

Von denen eine großartig war, auch weil sie das Setting „Kulturmenschen aus Cisdanubien bringen Kultur nach Transdanubien“ intelligent persiflierte: Sarah Vanhee bat für ihr Happening „Undercurrents“ zu einer Wanderung über die Grenze. Nämlich von Donaustadt, dem 22. Bezirk, nach Floridsdorf, den 21., der dort, jenseits der Dückegasse, mit einem riesigen unbebauten Feld beginnt, das erst in der Ferne in den Floridsdorfer Bezirksteil Donaufeld übergeht. Eine Gstätten, wie der Wiener sagt, ein weites Land, offen auch für Spiel und Übermut. Diesfalls für gellende Stimmen: Vanhee ließ Menschen im Feld schreiten und schreien, erst Bewohner der Donaustadt, dann machten auch andere Festwochengäste mit. Ein archaisches Szenario, das Mythomanen zu sagenhaften Erklärungen provozierte: Haben sich die alten Donaustädter einst abends aufgemacht, um die Donaufelder schreiend in ihre Schranken zu weisen?

Erfrischt und teils heiser ging's zurück zur Arena, wo bald eine weitere Darbietung stattfand, bei der geschrien wurde: In „Corbeaux“ von der Marokkanerin Bouchra Ouizguen schütteln und schreien sich schwarzgewandetete Frauen (Krähen!) mit weißen Kopftüchern in eine Art kollektiven Trancezustand. Am Ende erstarren alle. Wie so häufig in der heutigen Performancekunst: Ein rational unverständliches Ritual, das aber emotional direkt berührt und über das Wesen von Ritualen grübeln lässt. Diesfalls vor dem großen Regen, der am Samstag abend fiel, auf der einen und auch auf der anderen Seite der Donau. Man sollte sie öfter überqueren.

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