Sie verdienen gut, reisen viel und verfügen über ausreichend Mitarbeiter. EU-Abgeordnete haben allerdings auch einiges mehr zu tun als ihre nationalen Kollegen. Sie agieren als Berichterstatter, suchen ständig Mehrheiten und Kompromisse.
Die Mitarbeiter drängen sich im kleinen Büro im zweiten Stock des Nebentrakts zur Morgenbesprechung. Es geht um die heutigen Abstimmungen, um die Pressearbeit, um wichtige Termine und Kontakte. Und um ein Treffen mit einer Besuchergruppe. „Die Arbeit hier ist mit keiner anderen parlamentarischen Arbeit vergleichbar“, erzählt eine langjährige EU-Abgeordnete. Immer seien mehrere Bälle in der Luft, sehr oft gehe es um Absprachen, um die Suche nach inhaltlichen Kompromissen.
Der riesige Apparat des Europaparlaments kann den einzelnen Abgeordneten erdrücken, aber umgekehrt kann dieser mit einigem Geschick auch auf den vielen Tasten dieses politischen Instruments seine eigene Melodie spielen. Dafür muss er sich auf die unbändige Dynamik dieser EU-Institution einlassen. Und der Aufwand dafür ist groß.
Die Bezahlung
Abgeordneten-Gehalt und Zulagen:
Grundgehalt: 8757,70 € (6824,85 € netto)
Tagegeld: 320 € pro Arbeitstag in Brüssel/Straßburg
Reisekosten: Abgeltung bis zum Höchstbetrag eines Flugs mit Business-Klasse
Reisekosten im Heimatland bis zu 4454 € pro Jahr
Büropauschale: 4513 € pro Monat
Gehalt für Mitarbeiter: Bis zu 24.943 € pro Monat (nicht über Abgeordnete, sondern direkt abgerechnet)
Rund 8700 Euro verdienen EU-Abgeordnete im Monat, dazu kommen Tagungsgelder, Büropauschale, Reisekosten und die Bezahlung von Mitarbeitern. All das schafft die Voraussetzung, die Arbeit als Parlamentarier zu bewältigen, sich auf Dutzende Sitzungen und Hunderte Entscheidungen pro Plenarwoche vorzubereiten. Es gibt die beiden Optionen, in diesem großen Apparat mitzuschwimmen oder -zugestalten. Einen Mittelweg gibt es nicht.
Hauptarbeit in Ausschüssen
Die Hauptarbeit der Abgeordneten erfolgt in den Ausschüssen. Dort werden politische Positionen und Vorschläge für neue EU-Gesetze erarbeitet. In der vergangenen Legislaturperiode waren 20 ständige Ausschüsse zu den unterschiedlichsten Themen tätig – von Landwirtschaft, Verkehr, Fischerei, Handel bis hin zur Haushaltskontrolle.
Jeder Ausschuss wird von einem erfahrenen Abgeordneten geleitet. Darüber hinaus wird für jedes behandelte Sachthema ein Berichterstatter im Ausschuss bestellt. Dieser leitet die jeweilige inhaltliche Arbeit. Er/sie kann selbst Vorschläge für Änderungen erarbeiten, muss aber gleichzeitig auf die Mehrheitsfähigkeit aller Details achten. Die Fraktionen entsenden Schattenberichterstatter, die den Kompromiss gemeinsam mit dem Berichterstatter aushandeln. Zudem bestellen die Fraktionen noch Koordinatoren, die für den Informationsfluss mit der jeweiligen politischen Gruppe verantwortlich sind.
Abstimmungen im Plenum
Findet der Ausschuss eine gemeinsame Linie, wird diese als Bericht dem Plenum des Parlaments vorgelegt. Die aus bisher 751 Abgeordneten bestehende Versammlung muss letztlich per Abstimmung darüber entscheiden, ob die Forderungen der Ausschüsse – etwa zu einer neuen EU-Verordnung – Realität werden. Auch hier können noch Änderungsanträge eingebracht werden.
Um in diesem multiplen Entscheidungsprozess die Übersicht zu wahren und auf alle diese Abstimmung vorbereitet zu sein, braucht jeder Abgeordnete Assistenten, die ihn mit den wichtigsten Entwicklungen und Positionen, den Sachinformationen und Interessenlagen versorgen. Abwägen muss jeder Mandatar letztlich seine Entscheidung selbst. Von seiner Fraktion erhält er lediglich eine Empfehlung zur Abstimmung. Einen Klubzwang, so wie etwa im österreichischen Nationalrat, gibt es im EU-Parlament nicht. Um die eigene Position mehrheitsfähig zu machen, sind auch deshalb laufende Kontakte zu vielen anderen Abgeordneten – und nicht nur zu jenen der eigenen politischen Gruppe – notwendig. Die Treffen finden meist in den Büros, in den Cafés und in der Kantine des Europaparlaments statt. In strukturierter Form gibt es Sitzungen der Fraktionen zu den wichtigsten Entscheidungen des Hauses.
16-Stunden-Tag
Viele Abgeordnete verbringen ihren gesamten Arbeitstag im Parlament. Er beginnt frühmorgens und endet oft erst nach 16 Stunden am späten Abend. Dazwischen finden immer wieder Sitzungen in Ausschüssen, mit Parteikollegen, Fraktionskollegen und Mitarbeitern statt. Insbesondere als Berichterstatter müssen weitere Termine mit Vertretern des Rats der EU und der EU-Kommission wahrgenommen werden. Per Telefon oder bei den Aufenthalten in der Heimat werden die wichtigsten Positionen mit den Parteien und Interessenvertretungen abgestimmt. Insbesondere in den Plenarwochen stehen die Abgeordneten zudem für Gespräche mit Medienvertretern zur Verfügung.
All das klingt strukturiert und bürokratisch. Doch die Arbeit von EU-Abgeordneten ist darüber hinaus noch vielfältiger. Denn letztlich agieren sie als direkt gewählte Volksvertreter. Sie müssen dafür sorgen, dass ihre Arbeit auch in der Heimat wahrgenommen wird, dass sie beispielsweise bei ihren Aufenthalten in Österreich den Kontakt zu ihren Wählern aufrechterhalten – an öffentlichen politischen Diskussionen teilnehmen, ihre Vernetzung erweitern.
130 Flüge jährlich
Viele der für jeweils fünf Jahre gewählten Abgeordneten mieten sich in Brüssel eine eigene Wohnung. Sie pendeln von hier aus einmal im Monat nach Straßburg und regelmäßig in ihre Heimat. Andere übernachten rund 200 Tage im Jahr in Hotels oder Appartements, reisen wöchentlich nach Hause zu ihren Familien. Dann geht es am Montag nach Brüssel, am Donnerstag wieder zurück. Geschätzte 130 Flüge oder Zugfahrten pro Jahr sind für aktive Abgeordnete zu absolvieren. „Das ist körperlich äußerst anstrengend“, berichtet ein ehemaliger österreichischer Abgeordneter, der über ein Jahrzehnt in Brüssel und Straßburg tätig war. Die Zeit will er dennoch nicht missen: „Die Arbeit war fast immer spannend.“
Die Fraktionen
EVP: Fraktion der Europäischen Volkspartei (z. B. ÖVP, CDU/CSU, Forza Italia)
S&D: Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (z. B. SPÖ, SPD, PSOE, SMER)
ECR: Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (Tories, PiS, Dansk Folkeparti)
ALDE: Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (z. B. FDP, NEOS, en Marche)
GUE/NGL: Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/ Nordische Grüne Linke (z.B.
Die Linke, Podemos, Front de Gauche)
Grüne/EFFA: Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz (z.B. Die Grünen, Bündnis 90/Grüne, Europe Écologie, Green Party)
EFDD: Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (UKIP/Brexit-Party, Movimento 5 Stelle)
ENF: Europa der Nationen und der Freiheit (z. B. FPÖ, Rassemblementnational, Vlaams Belang, Lega)