Oman: Die Oper aus 1001 Nacht

Berge, Meer.  Muscat hat alles, Gebirge, Strände, Souk. Touristen
Berge, Meer. Muscat hat alles, Gebirge, Strände, Souk. Touristen (c) unsplash/Anfal Shamsudeen
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Wie vertragen sich islamische Strenge und europäische Leidenschaft? Am Beispiel Oman und seines Opernhauses zeigt sich: Es geht. So halbwegs.

Der Sultan geht in seinem Palast umher – und lauscht Verdis Klangkaskaden. So genau wissen wir das natürlich nicht, aber wir dürfen es vermuten, denn in seinem Opernhaus ist Qabus ibn Said, der nächstes Jahr seinen Achtziger feiert, seit der Eröffnung 2011 mit Puccinis „Turandot“ nicht mehr gewesen. Seine Untertanen flüstern, dass er aber zu Hause gern Oper hört, wie er überhaupt ein Schöngeist zu sein scheint. In der Königlichen Oper von Muscat bleibt sein Platz stets frei, die Nachbarlogen sind der Sultansfamilie und hohen Würdenträgern vorbehalten.

Unter den arabischen Staaten wirkt der Oman wie eine Insel der Seligen, Bildungs- und Gesundheitssystem funktionieren, ebenso die Infrastruktur. Es gibt gut ausgebaute Straßen, was vor allem Touristen schätzen, die meist begeistert aus dem Land am Golf zurückkommen. Die Landschaft ist sehr vielfältig, teils grün, teils wüstenhaft, es gibt schöne Strände, Museen und eben das Opernhaus. Unsere Gruppe sieht „Lakmé“ von Léo Delibes, 1883 in Paris uraufgeführt, ein großer Erfolg, heute eine Rarität. Bekannt ist vor allem das „Blumenduett“, auch, geradezu ein Ohrwurm. Freilich: Auch Anna Netrebko und Elīna Garanča haben diese zauberhafte Arie gesungen. In Muscat wurde das Stück dreimal gegeben, als erste Eigenproduktion mit vielen Partnern, die Aufführung wird danach auch in Shanghai oder Sydney gezeigt.

Heiß. Der Großteil des Landes ist Wüste. Die Temperaturen klettern bis auf 50 Grad.
Heiß. Der Großteil des Landes ist Wüste. Die Temperaturen klettern bis auf 50 Grad.(c) unsplash/Annso El Sayed

Die Opernkritiker sind von der Aufführung mittelmäßig begeistert, aber „Lakmé“, eine italienisch dominierte Produktion, passt perfekt nach Muscat: Eine indische Priesterin verliebt sich in einen britischen Offizier, doch ihr Vater trachtet dem Engländer nach dem Leben, dieser wiederum muss zurück zum Militärdienst. Lakmé und Gérald haben nur eine kurze Zeit zusammen, sie verstecken sich im Wald, sie pflegt ihn. Kitsch. Ja, es ist eine rührende Geschichte mit schönen Melodien und Anklang an Puccinis 1904 uraufgeführte „Madama Butterfly“. Aber in „Lakmé“ werden durchaus gravierende Konflikte verhandelt, können verschiedene Lebensmodelle und Philosophien zusammenkommen? Gérald ist mit der Gouverneurstochter Ellen verlobt, einem modernen Mädchen, das liebevoll, aber nicht ohne Berechnung den feschen Offizier gekapert hat. Dem steht Lakmé gegenüber in ihrer reinen Unschuld und Naivität. Frédéric, Géralds Freund und Kollege in der britischen Kolonialarmee, die Indien besetzt hat, kann dessen romantische Gefühle nicht verstehen, er sorgt dafür, dass Gérald aus seinem Traum aufwacht und sich an seine Pflichten erinnert.

Goldschmuck und Blumenmeer. Liebe spielt im Oman keine große Rolle, Ehen sind arrangiert, Geld soll Geld heiraten, das kennt man auch bei uns, aber hier ist das sehr streng. Die Szenen in der Oper auf dem Markt, die Händler, die hinter den Engländern herlaufen, das kann man auch im Souk von Muscat erleben. Atmosphärisch gehört der Oman zu den reichen Golfstaaten, die Geschäfte mit üppigem Goldschmuck erinnern an Dubai. Das Gold ist eine Art Lebensversicherung für die Frauen.

Singulär. Das Opernhaus von Muscat setzt verstärkt auf Eigenproduktionen.
Singulär. Das Opernhaus von Muscat setzt verstärkt auf Eigenproduktionen.(c) ROHM/Michel El Gemayel

Noch einen Augenblick zurück zu „Lakmé“: Im Oman, der rund vier Millionen Einwohner hat, wohnen auch viele Ausländer, Hilfskräfte, Expatriats, Techniker, etwa deutsche Ingenieure, und es gibt eine große indische Community, die sich an der Oper mit Elementen aus dem Hinduismus, allerdings, der Entstehungszeit gemäß, nicht sehr tiefschürfenden, erfreuen dürfte. Davide Livermore hat „Lakmé“ mit viel Gespür inszeniert, Gio Forma und Mariana Fracasso gestalteten Bühne und Kostüme. Die Aufführung erfreut mit einem symbolhaften Blumenmeer auf Video (D-Wok), von Hellrosa über Rot wandelt sich die Beleuchtung schließlich in Blau. Das Opernhaus selbst ist orientalisch-prunkvoll, vom Holz aus Myanmar bis zu den Lustern von Swarovski. Besonders bequem sind die Fauteuils. Auch die Wiener Staatsoper war schon zu Gast, mit Massenets „Werther“ und „Figaros Hochzeit“ von Mozart (in der Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle von 1972!). Ja, das stört hier keinen.

Im Oman gibt es Zensur, vieles, was die europäische Oper ausmacht, ist hier nicht erlaubt: Sex, Umarmungen, nackte Haut, Gewalt. Religiöse Symbole aller Religionen sind verboten. Ausländerinnen können zwar westliche Kleidung tragen, in den Hotels gibt es Alkohol, man sieht einheimische Frauen Auto fahren und Wasserpfeife rauchen. Die meisten Inländerinnen tragen aber Burka, man sieht manchmal nicht einmal die Augen. Und es kommt vor, dass zu leicht bekleidete Besucherinnen ebenfalls einen schwarzen Mantel anziehen müssen, sie bekommen ihn von der Oper geliehen.

Während unserer Reise war auch der frühere Staatsoperndirektor Ioan Holender in Muscat, er drehte dort für seine „kulTour“ auf Servus TV. Wer Holender kennt, ist verblüfft, wie sanftmütig er sich auf diesen Kulturreisen gibt, in Muscat nimmt er aber im Gespräch mit dem „Schaufenster“ kein Blatt vor den Mund: „Hauptdarstellerin Svetlana Moskalenko war sehr gut, alle anderen zweit- und drittklassig, das Orchester viel zu laut, die Inszenierung war naiv.“ Das Stück kennt der bald 84-jährige Holender, Sänger, Agent und Staatsoperndirektor von 1992 bis 2010 war, „sehr gut, weil in den 1950er-Jahren wurde ,Lakmé‘ in Rumänien viel gespielt, die Oper galt als marxistisch und antiimperialistisch“.

Monumental. Das Royal Opera House Muscat ist Teil eines größeren Kulturkomplexes.
Monumental. Das Royal Opera House Muscat ist Teil eines größeren Kulturkomplexes.(c) Michel El Gemayel/RHOM

Großes Budget, schweres Parfum. Wie beurteilt Holender, der viel herumkommt, die Ausbreitung von Musiktheater in orientalischen Ländern? Wird sich die europäische Oper durchsetzen? „Nein“, sagt er, wiewohl er gleich hinzufügt, dass Muscat ein besonderer Platz sei, „der sich als neues Tokio etablieren könnte, alle waren schon da, Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, Placido Domingo. Selbst bei solchen Stars ist aber das Haus, das über 1000 Plätze hat, keineswegs voll.“ Ein Wiener Opernball, wie er inzwischen in vielen Ländern beliebt ist, würde sich in Muscat gut machen, meint Holender, freilich seien da die strengen Bekleidungsvorschriften, und „Musik wird ja hier in den Schulen nicht einmal unterrichtet“. In Kairo habe es Schwierigkeiten mit der Drehgenehmigung für ihn gegeben, berichtet Holender, die Dubai-Oper sei ein multifunktionales Kulturzen­trum. Die vom Schah in Teheran etablierte Oper ist vor allem lokaler Musik vorbehalten. Michel Gemayel, Marketingchef der Muscat-Oper, und Generaldirektor Umberto Fanni sehen die Chancen der Oper in Nahost anders als Holender. Gemayel ist selber ein gutes Beispiel für gelungenen Kulturtranser. Der Libanese mit Liebe zu Frankreich, der mehrere Sprachen spricht, hat drei Söhne mit einer Koreanerin. Seit fünf Jahren ist der Genueser Fanni in Muscat. Werden die beträchtlichen Budgets, die Opernhäuser in Nahost für Gastspiele aufbringen können – für den Staatsopernimport nach Muscat war angeblich eine halbe Million Euro wohlfeil –, etwa den in Bedrängnis geratenen italienischen Opernhäusern helfen? Diese Frage beantwortet Fanni eher gewunden: „Wenn das eine nicht geht, muss man das andere tun. Man muss sich in jeder Situation und in jeder Lebenslage etwas einfallen lassen.“

Zum Beispiel ein Parfum des Briten Roja Dove, der 20 Jahre bei Guerlain beschäftigt war, bevor er sich mit seiner eigenen Marke selbstständig machte. Dove, ist ein Meister der Selbstinszenierung, allein seine Erscheinung wirkt spektakulär. Sein Parfum für die Oper von Muscat, ein Flakon kostet angeblich über 200 Euro, riecht schwül, als Europäer würde man das Klischee arabisch bemühen, das Duftwasser ist eine Mischung aus vielen Ingredienzien, darunter Rosen aus Grasse, Zeder oder Myrte (zusammen mit Weihrauch ein geläufiger Duft im Oman) – und jetzt kommt’s, das Parfum wurde während „Lakmé“ in der Oper versprüht.

Feudal. Das Operngebäude
Feudal. Das Operngebäude (c) flickr/Riyadh Al Balushi (CC BY 2.0)

Und doch ist nicht alles Gold, was glänzt im Oman, das Klima ist teilweise unfreundlich, im Sommer hat es 50  Grad, während des Ramadan muss selbstverständlich die Oper geschlossen bleiben. Der Sultan regiert absolutistisch, im Hafen liegen seine riesigen Jachten, von außen kann man seinen Palast betrachten, doch er selbst, der gottähnlich Verehrte, der oft als erfolgreicher Vermittler in der zerstrittenen arabischen Welt auftritt, weilt oft in seinen Villen in Europa. Was geschieht, wenn er nicht mehr da ist? Darüber wird nicht gern gesprochen, und doch ist es vorherbestimmt: Qabus ibn Said, der nur kurz verheiratet war und keine Kinder hat, bestimmt seinen Nachfolger selbst, für den Fall, dass nach seinem Tod die Familie innerhalb einer bestimmten Frist nicht zu einer Einigung kommt.

Operndirektor Fanni ist voller Pläne, demnächst kommt ein arabischer Stoff und 2020/21 „Rigoletto“ in der Regie des 96-jährigen Franco Zeffirelli, Meister darin, Schönheit zu feiern. Da muss man selbst bei einer finsteren Tragödie keine Angst haben. Fanni ist gern im Oman, aber ewig wird er nicht dort bleiben, wie er am Ende des Gesprächs auf hartnäckiges Nachfragen bekennt: „Ich vermisse meine Frau und meine Heimat.“ Holender empfiehlt dem Royal Opera House ein eigenes Orchester, der Sultan hat ein Symphonie-, aber kein Opernorchester, und einen Chor. Als Opernglobetrotter, wo war er am liebsten? Da muss Holender nicht lang nachdenken: „In Glyndebourne, in Perm, bei Teodor Currentzis, und in Tiflis.“ Aber für wohlhabende Opernweltreisende ist Muscat, die Oper aus 1001 Nacht, sicher eine Station.

Compliance: Die Reise wurde vom RHOM und aec imagine unterstützt.

Infos

Royal Opera House Muscat: Der markante Bau entstand nach Plänen des britischen Architekturbüros Wimberly ­Allison Tong and Goo (WATG). Eröffnet wurde es am 14. Oktober 2011 mit Puccinis „Turandot“.
www.rohmuscat.org.om

Anschauen: Neben dem Opernhaus befindet sich die Opera Galleria mit einem Museumsladen, Gastonomie und Luxus-Geschäften. Zum Kulturkomplex gehören auch ein Kulturzentrum und eine Kleinkunstbühne.
Alt Muscat, die von Bergflanken begrenzte historische Stadt.
Die Sultan-Qabus-Moschee ist weltweit eine der größten.

Info:omantourism.gov.om/

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